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# taz.de -- Die Wahrheit: Revolution am Grill
> Einmal im Leben einen dieser futuristisch aussehenden Grills aus der
> Werbung kaufen – der Neid aller Nachbarn und Freunde ist einem gewiss.
Bild: Der Farbforscher Austin Roorda in seinem Element
Diese verdammten Prospekte! Immer versuche ich, sie ungelesen wegzuwerfen,
sie direkt vom Briefkasten in die Altpapiertonne wandern zu lassen. Doch
nicht selten blitzt ein unwiderstehliches Angebot aus dem Wust von Flyern
und Zeitungsbeilagen hervor. Wie neulich der Katalog mit den Gasgrills. Die
multifunktionalen und hochästhetischen Objekte, die eher an futuristische
Heimorgeln erinnern, faszinierten mich sofort. Sie trugen verheißungsvolle
Namen wie Genesis II EX-335 oder Spirit SP 3000. Ich wusste: Widerstand ist
zwecklos. Noch am selben Tag bestellte ich den Revolution 930 MaxX.
„Grillen neu erleben“, versprach dieser im Prospekt. Vier lange Tage hallte
das Versprechen in meinem Kopf nach, bis der DHL-Laster endlich vorfuhr.
Ich staunte nicht schlecht, als der Fahrer ein badewannengroßes Paket aus
dem Laderaum zerrte. Es war die neue Badewanne von Frau Sakic aus dem
Zweiten, von der sie mir erzählt hatte. Wenig später zog der Bote dann das
Paket des Revolution 930 MaxX aus dem Wagen. Es war sogar noch etwas größer
als das Paket der Nachbarin.
Ich bat den Lieferer, es auf meinen Balkon zu befördern, da ich keinen
eigenen Garten besitze. Nachdem ich den Grill in sechsstündigem
Handumdrehen zusammengebaut hatte, füllte er gut zwei Drittel der
Balkonfläche. Sein Edelstahl strahlte noch prächtiger als auf den Fotos.
Ein kurzer Listencheck ergab, dass alles vorhanden war: Gasflasche, Zange,
Deckel, Keulenhalter, Smart-Grilling-Hub mit Smartphone-Connect,
Pizzastein, Pökelwanne, Bierlösch-Düsen, Sushiband, Lavalampe,
Raclette-Pfännchen, Blitzableiter, Fußball-Liveticker, Wetteranzeige, Rost.
Mein Freund Marius, der eine eher höhlenmenschartige Form des Grillens
praktiziert, rümpfte erwartungsgemäß die Nase, als ich ihm mein neues
Schmuckstück präsentierte. Wozu man den ganzen Schnickschnack denn brauche,
moserte er. Nachdem ich uns eine Packung Thüringer und zwei
„ja!“-Kräuterbutter-Baguettes mit dem Revolution 930 MaxX zubereitet hatte,
musste er jedoch eingestehen, dass sie „erstaunlich gut gelungen“ waren.
Tja.
Es scheint, als wäre meine Anschaffung ein echter Glücksgriff. Gut, hin und
wieder lachen Passanten, wenn sie mich neben meinem leicht
überproportionierten Prachtstück auf dem Balkon sehen. Doch wenn die Sonne
untergeht und ich im Ambient-Light der Grillwanne zwölf verschiedene Sorten
Gezi-Grillkäse brate, läuft ihnen neidisch das Wasser im Munde zusammen.
Männer sollten sich der Tatsache bewusst sein, dass die Nichtanschaffung
eines modernen Gasgrills ein Hindernis bei der Selbstverwirklichung
darstellen kann. Und für jene, die bei den stattlichen Preisen erst einmal
zusammenzucken: Sie sind es allemal wert! Das werden auch die Gläubiger und
Gerichtsvollzieher einsehen, wenn sie bei mir klingeln und kurz darauf von
den besten Kräuterbutter-Baguettes ihres Lebens gnädig gestimmt werden.
22 Jun 2021
## AUTOREN
Leo Riegel
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Grillen
Neid
Freunde
Forschung
Entwicklungszusammenarbeit
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Feudalismus
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