| # taz.de -- Pressefreiheit in Myanmar: Journalismus am Abgrund | |
| > In Myanmar hat der Militärputsch die Arbeit von Journalist:innen | |
| > lebensgefährlich gemacht. Unbezahlte „Bürgerreporter“ füllen Lücken. | |
| Bild: Im März 2021 ziehen Polizei und Militär in Yangon los, um einen Protest… | |
| Berlin taz | Nach mir wird gefahndet wegen angeblicher Aufwiegelung. | |
| Zweimal hat ein vom Militär kontrollierter Sender das schon verbreitet“, | |
| berichtet ein renommierter birmesischer Journalist der taz. Er nannte sich | |
| schon während der letzten Militärdiktatur Sithu Aung Myint und behielt das | |
| Pseudonym bei, was sich seit dem Putsch vom 1. Februar als weise | |
| Voraussicht erwies. | |
| Der für seine Kommentare bekannte Mittvierziger versteckt sich derzeit in | |
| Yangon in einer dafür gemieteten Wohnung. Die verlässt er nur äußerst | |
| selten und wenn, ändert er vorher sein Aussehen. „Für ‚Aufwiegelung‘ gi… | |
| es bis zu drei Jahre Haft,“ erklärt Sithu Aung Myint. „Ich könnte aber au… | |
| schon die Folter beim Verhör davor nicht überleben.“ Erste Journalisten | |
| sind bereits verurteilt worden. | |
| Bis zum Putsch arbeitete Sithu Aung Mying für ein großes Multimediahaus. | |
| Das gehört einem Freund des Militärs. „Schnell wurde klar, dass ich kein | |
| kritisches Wort über die Generäle und ihr brutales Vorgehen gegen | |
| friedliche Demonstranten schreiben kann. Da habe ich gekündigt.“ Jetzt | |
| kommentiert er nur noch bei [1][Facebook], für eine Onlinezeitung sowie für | |
| den birmesischen Dienst von Voice of America. | |
| Er verlor vier Fünftel seines Einkommens, womit er noch Glück hatte. | |
| „Pressekonferenzen und Vor-Ort-Recherchen sind für mich jetzt tabu“, sagt | |
| er. Sithu Aung Myint schaut jetzt nur noch Livestreams, recherchiert im | |
| Internet und kommuniziert über Messengerdienste. „Es wurde sehr schwierig, | |
| als zeitweilig das Internet gekappt war.“ Gelegentlich kann er Freunde um | |
| kleine Recherchen bitten. | |
| Längst ist es lebensgefährlich, über Demonstrationen wie die täglichen | |
| Flashmobs zu berichten. Vom Militär als Journalist identifiziert zu werden | |
| heißt Festnahme und Schläge. Eine professionelle Kamera dabeizuhaben ist | |
| eine Einladung an die Scharfschützen des Militärs. Schon Filmen mit dem | |
| Handy ist riskant. Journalist:innen, die sich nicht vom Regime korrumpieren | |
| lassen wollen, hätten nur drei Optionen, meint der freie Journalist mit dem | |
| langjährigen Pseudonym Kyaw Soe: „Nach Thailand fliehen, in Myanmar ständig | |
| den Ort wechseln oder sich einer bewaffneten ethnischen Gruppe | |
| anschließen.“ | |
| ## Publizieren im Untergrund | |
| Kyaw Soe arbeitete in der südlichen Stadt Maylamyine für eine Lokalzeitung | |
| und für die frühere Exil-Multimediagruppe [2][Democratic Voice of Burma | |
| (DVB)]. Beide publizieren jetzt nur noch online im Untergrund. „Ich habe | |
| beschlossen unterzutauchen und in einer anderen Stadt zu arbeiten. Dafür | |
| musste ich aber meine Familie verlassen.“ | |
| Aus Angst per Handy geortet zu werden, schaltet er es meist aus und nutzt | |
| eine neue SIM-Karte. „Meiner Familie habe ich gesagt, sie soll mein | |
| Facebook-Profil beobachten. Gibt es Postings von mir, bin ich nicht im | |
| Gefängnis.“ Doch lebe er in ständiger Angst. „Bellt nachts ein Hund, musst | |
| du fluchtbereit sein. Findet das Militär heraus, dass du Journalist bist, | |
| nehmen sie dich mit.“ | |
| Bezahlt wird Kyaw Soe für seine Arbeit nicht mehr. Viele Informationen | |
| einschließlich Handyvideos von Übergriffen des Militärs schicken ihm jetzt | |
| sogenannte Bürgerreporter. Das sind meist journalistisch unerfahrene | |
| Demonstrant:innen mit Smartphones. „Es geht um Aufklärung der | |
| Öffentlichkeit und darum zu dokumentieren, was lokal passiert“, sagt er. | |
| Sechs Bürgerreporter, mit denen er kooperiert hat, wurden schon | |
| festgenommen. | |
| ## Die Redaktionen arbeiten in einer Grauzone | |
| Mit den Bürgerreportern verwischt die Grenze zwischen Journalismus und | |
| Aktivismus. „Wir müssen alles, was wir berichten, mehrfach gegenchecken“, | |
| sagt eine birmesische Korrespondentin in Yangon, die für eine ausländische | |
| Zeitung schreibt. „Bürgerreporter verbreiten auch unüberprüfte | |
| Nachrichten.“ Sie habe zwar noch ihren Job, doch konnte ihr der | |
| ausländische Verlag wegen des anhaltenden Streiks in Myanmars Banksektor | |
| schon lange kein Gehalt mehr überweisen. | |
| Auch sie und Kyaw Soe halten sich von offiziellen Ereignissen fern aus | |
| Angst vor Festnahme durch das Militär. Die Uniformierten sehen Journalisten | |
| nicht als vierte Gewalt, sondern als Feinde. Schon direkt nach dem Coup gab | |
| es Anweisungen der Generäle, dass die Medien nicht vom Putsch oder Regime | |
| sprechen sollten. Am 8. März wurde den ersten fünf Medien, darunter DVB, | |
| die Lizenz entzogen. Mit der Myanmar Times und Voice hatten schon zwei | |
| andere aufgegeben. Bei der Times waren viele Journalist:innen in den | |
| Streik getreten, als der Eigentümer sie verpflichten wollte, über die erste | |
| Pressekonferenz der Junta zu berichten, welche die Redakteure boykottieren | |
| wollten. | |
| Inzwischen drängt das jetzt von einem General geführte | |
| Informationsministerium die Medien dazu, sich neu zu registrieren. Doch | |
| viele zögern, weil sie die Generäle nicht mit ihren Daten und Adressen | |
| versorgen wollen. Die Redaktionen arbeiten seitdem in einer Grauzone, wenn | |
| nicht schon längst illegal. Eine [3][Facebookseite], die über in Myanmar | |
| inhaftierte Journalisten informiert, zählt bisher 87 Festnahmen inklusive | |
| 31 Freilassungen sowie drei Verurteilungen zu zwei- bis dreijähriger Haft. | |
| ## Flucht, Razzien und Abschiebungen | |
| Die meisten Festnahmen gab es bei Demonstrationen oder Razzien von | |
| Redaktionsräumen. So drang das Militär in die Räume des seitdem | |
| geschlossenen Senders [4][Kamayut] ein und nahm leitende Redakteure fest. | |
| Die Verhaftung des US-Amerikaners [5][Danny Fenste]r am 24. Mai am | |
| Flughafen von Yangon war ein Schock. Denn gegen den Redakteur von Frontier | |
| Myanmar lag bis dahin nichts vor und ausländische Journalisten hatten | |
| bisher unbehelligt ausreisen können. | |
| „Ich wollte auch nach Thailand“, berichtet die schon zitierte | |
| Korrespondentin. „Aber seit Danny Fenster überraschend am Flughafen | |
| festgenommen wurde, ist mir das Risiko zu groß.“ | |
| Der für seine Berichte über die Vertreibung der Rohingya preisgekrönte | |
| Journalist [6][Mratt Kyaw Thu] floh im April über Land nach Thailand. Mit | |
| einem Schengen-Visum von Spaniens Botschaft in Bangkok konnte er nach | |
| Frankfurt fliegen. In Deutschland hatte er an einem Programm des | |
| Goethe-Instituts teilgenommen und eine Mitarbeit bei der Deutschen Welle | |
| und der taz in Aussicht. Doch die Bundesregierung half nicht und schob ihn | |
| nach Spanien ab. | |
| ## Misstrauen der Bevölkerung | |
| Nicht nur das Militär bedroht Myanmars Journalist:innen; auch das | |
| Misstrauen der Bevölkerung schränkt sie ein: Mehrfach gaben sich Spitzel | |
| des Regimes als Pressevertreter aus, verbreiteten Misstrauen und Fake | |
| News. „Wir müssen jetzt immer erst um das Vertrauen der Menschen kämpfen“, | |
| berichtet eine Kollegin. Schon unter der weggeputschten Regierung von Aung | |
| San Suu Kyi waren Journalisten verhaftet worden und Myanmar nicht über | |
| Platz 140 von 180 Ländern in der [7][Rangliste der Pressefreiheit von | |
| Reporter ohne Grenzen] hinausgekommen. Dazu kam 2020 Corona. „Durch die | |
| Pandemie verlor die Hälfte der Journalisten ihre Jobs“, schrieb eine jetzt | |
| arbeitslose Videoreporterin der taz. Nach dem Putsch seien jetzt 80 Prozent | |
| der Journalisten ohne Arbeit. | |
| „Unser größtes Problem ist die permanente Unsicherheit“, klagt eine | |
| Redakteurin von [8][Frontier Myanmar]. „Wir publizieren nur noch online – | |
| ohne Autorenzeilen. Aus Sicherheitsgründen gehen wir nicht mehr in unsere | |
| Redaktionsräume. Wir wollen weitermachen, aber die Bedingungen sind | |
| unerträglich.“ | |
| 19 Jun 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://web.facebook.com/sithu.aungmyint | |
| [2] https://english.dvb.no/ | |
| [3] https://web.facebook.com/groups/953399941862726 | |
| [4] https://myanmar-now.org/en/news/security-forces-raid-kamayut-media-office-i… | |
| [5] https://cpj.org/2021/05/myanmar-arrests-us-editor-danny-fenster-at-yangon-a… | |
| [6] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/myanmar/alle-meldungen/meldung/freethe… | |
| [7] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2021 | |
| [8] https://www.frontiermyanmar.net/en/ | |
| ## AUTOREN | |
| Sven Hansen | |
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