# taz.de -- Diskussion um Benzinpreise: Bobos und viele Parteisekretäre | |
> Populistische Phrasendrescherei verhindert vernünftige politische | |
> Debatten. Selbst Freunde der Aufklärung denken manchmal wie | |
> Propagandisten. | |
Bild: Bobo Kurz setzt auf Polemik statt auf Aufklärung | |
Es ist Wahlkampf, und da beginnen plötzlich alle wie „spin-doctors“ zu | |
denken. Spindoktoren-Denken hat ein paar einfache Wahrheiten: Erstens, | |
reduziere komplexe Themen auf einfache Phrasen, die sich alle merken | |
können. Zweitens, vermeide Themen, die zu kompliziert sind, und drittens, | |
vermeide Themen, bei denen es der Gegner leichter hat als du, sie auf | |
einfache, leicht verständliche Phrasen zu reduzieren. Denn letztlich gehe | |
es nur um Meinungsmanipulation mittels eingängiger Slogans und Bilder. | |
Im deutschen Wahlkampf wird jetzt über den Benzinpreis gesprochen, oder | |
genauer, über die CO2-Bepreisung fossiler Brennstoffe. Die Grünen sind | |
naheliegenderweise dafür, die Steuer auf Benzin und Diesel zu erhöhen, denn | |
wenn die ökologische Umsteuerung funktionieren soll, wird es auch darum | |
gehen, schädliche Anreize zu reduzieren. Und da wittern alle ihre Chance. | |
Die Sozialdemokraten, die die Klimakatastrophe ja auch verhindern wollen, | |
wettern, dass die Grünen den normalen einfachen Leuten das Autofahren | |
verteuern wollen, weil sie kein Herz für das gemeine Volk haben. [1][16 | |
Cent mehr auf den Liter, das kann ja nur abgehobenen Bobos einfallen], die | |
ihre Wege mit dem schicken Fahrrad fahren und sich sonst, ohne mit der | |
Wimper zu zucken, ein 30-Euro-Taxi leisten. | |
So weit, so dumm. Klar, man kann das so machen wie Emmanuel Macron, der den | |
Menschen, die sowieso jeden Cent umdrehen müssen, auch noch das Autofahren | |
verteuerte und sich den Gelbwesten-Aufstand einhandelte. Aber es gibt | |
natürlich verschiedenste andere Modelle. Man kann Steuern auf fossile | |
Brennstoffe einnehmen und damit das Autofahren verteuern, die Einnahmen | |
daraus aber als Steuergutschriften an jeden Bürger und jede Bürgerin | |
zurückgeben. | |
Wenn man dabei Unterprivilegierte auch noch „bevorzugt“ – durch Modelle, | |
wie wir sie aus der progressiven Besteuerung kennen – dann wird für | |
diejenigen nichts teurer, wenn sie weiterhin das Auto brauchen, aber es | |
wird für sie billiger, wenn sie häufiger mit den Öffentlichen fahren. | |
Natürlich ist das nicht für jeden möglich, aber für sehr viele Leute ist es | |
sehr wohl möglich. Bei denen kann man damit eine Steuerungswirkung | |
erzielen. Und für jene, die ihr Auto benötigen, wird es nicht teurer. | |
## Vertrottelte Debatten | |
Damit wären wir aber in der ruhigen, vernünftigen Debatte über komplexe | |
Sachfragen – und weg von der Phrasendrescherei. Wenn es aber nur um Slogans | |
und um simple „symbolische Positionierung“ geht, dann wird das ernsthafte | |
Diskutieren zunehmend unmöglich. Oder, wenn ich auch mal versimpeln darf: | |
Dann werden die Politdebatten zunehmend vertrottelt. In Österreich haben | |
wir auch gerade einen solchen Fall. Die Sozialdemokratie hat kommende Woche | |
einen Parteitag und deshalb [2][ein Konzept für ein modernes | |
Staatsbürgerschaftsrecht vorgelegt]. | |
Das sieht schnellere Einbürgerung für jene vor, die seit sechs Jahren legal | |
hier leben und ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können | |
(Mindestsicherungsbezieher sind also ausgeschlossen). Die teuren Gebühren | |
für die Einbürgerung sollen abgeschafft oder reduziert werden, denn die | |
können für eine vierköpfige Familie schnell ein paar Tausend Euro betragen, | |
die gerade die migrantische Arbeiterklasse schwer zusammensparen kann. | |
Und die in Österreich geborenen Kinder sollen – ähnlich wie in Deutschland | |
– mit der Geburt die Staatsbürgerschaft erhalten, wenn ihre Eltern legal | |
und seit einigen Jahren hier leben. Eine absolut notwendige Debatte, da | |
Österreich eines der restriktivsten Staatsbürgerschaftsgesetze hat, was auf | |
die Dauer zwei große Probleme schafft. Erstens ein Gerechtigkeitsproblem: | |
Der Manager kriegt schnell die Staatsbürgerschaft, die Putzfrau, die sein | |
Büro wischt, kann sie sich aber nicht leisten. Das führt dann zweitens zu | |
einem Zweiklassensystem mit dem Ergebnis, dass die Hälfte der | |
Arbeiterklasse heute kein Wahlrecht mehr hat. Und das ist dann ein | |
Demokratieskandal. | |
## Millionen Parteisekretäre | |
Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich ihnen berichte, dass das eher nicht | |
zu einer klug abwägenden Diskussion über das Für und Wider aller Aspekte | |
führte, sondern zu wildem populistischem Geschrei, dass die Linken die | |
Staatsbürgerschaft „entwerten“ (Bundeskanzler Sebastian Kurz) oder das | |
Wahlvolk „austauschen“ wollen. Aber auch von den Fürsprechern moderner | |
Einbürgerungspolitik wurden die Sozis nicht unterstützt. Sie warfen ihnen | |
vor, dass sie unnötig ein Thema in die Debatte bringen, das ihren Gegnern | |
wieder erlaube, die „Ausländerkarte“ zu spielen. | |
Die [3][Aufklärung] hat es schwer, wenn schon die Freunde der Aufklärung | |
sich angewöhnt haben, wie Propagandisten zu denken und nicht auf die Kraft | |
des Arguments hoffen, sondern sich damit abgefunden haben, dass es nur mehr | |
um Meinungsmanipulation geht. Man sagt ja gerne scherzeshalber, bei uns | |
gebe es Millionen Fußballnationaltrainer. Es gibt bei uns aber offenbar | |
auch Millionen Parteigeneralsekretäre. | |
20 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Streit-ueber-hoehere-Benzinpreise/!5774943 | |
[2] /Einbuergerungsrecht-in-Oesterreich/!5775046 | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Aufkl%C3%A4rung | |
## AUTOREN | |
Robert Misik | |
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