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# taz.de -- Institut für Nachhaltigkeitsforschung: Ein erfolgreiches Experiment
> Vor 11 Jahren wurde das Potsdamer Institut für transformative
> Nachhaltigkeitsforschung gegründet. Eine neue Anbindung wird gesucht.
Bild: Das IASS begleitet den Umbau des Lausitzer Braunkohlereviers
Was auffällt, ist die fehlende Debatte. Noch nie hatte das Thema
Nachhaltigkeit eine solch breite Akzeptanz wie heute. Aber über die Zukunft
des bedeutendsten deutschen Instituts für Nachhaltigkeitsforschung, des
IASS in Potsdam, findet gegenwärtig keine Diskussion statt.
Das Gutachten des [1][Wissenschaftsrates] vom April ist in der
Nachhaltigkeitsszene, bei Ökoforschern und Umweltorganisationen, bislang
ohne Resonanz geblieben. Dabei steht in der Politik Ende des Monats eine
folgenschwere Entscheidung an.
Bei seiner Gründung 2010 war das Institut mit dem unaussprechlichen Namen
„Institute for Advanced Sustainability Studies“ (IASS) – behelfsweise
eingedeutscht in „Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung“ –
ein wissenschaftliches Experiment.
Damals hatte die Nachhaltigkeit in der Wissenschaft noch nicht das Gewicht
gefunden, das sie heute besitzt, schon gar nicht in der interdisziplinären
Kombination von Natur- mit Gesellschaftswissenschaften. Forschungsauftrag
des IASS ist es, wie es in der Selbstbeschreibung heißt, „gesellschaftliche
Wandlungsprozesse hin zur Nachhaltigkeit zu verstehen, zu befördern und zu
gestalten“. Es nehme damit „eine besondere Rolle an der Schnittstelle
zwischen Forschung und Transfer“ ein.
Wissenschaft und Beratung wurden unter dem IASS-Dach vereint, um
„Erkenntnisse und neue Lösungswege aus der Wissenschaft in Politik,
Zivilgesellschaft, Wirtschaft und andere Gesellschaftsbereiche zu tragen
und reale Veränderungsprozesse reflexiv zu begleiten“, so die Mission.
## Finanzierung von Bund und Land
An ihr arbeiten in einer Potsdamer Kaiserzeitvilla kurz vor der Glienicker
Brücke nach Berlin heute 130 Experten unterschiedlicher Fachrichtungen. Im
Haushaltsjahr 2019 erhielt das IASS eine Grundfinanzierung von insgesamt
9,7 Millionen Euro, die zu 85 Prozent aus dem Bundesministerium für Bildung
und Forschung (BMBF) und zu 15 Prozent vom Land Brandenburg kam. Weiter
warb das Institut Drittmittel im Umfang von 7,3 Millionen Euro ein.
Um zuerst zu sehen, was rauskommt, wurde als organisatorische Notlösung das
Mittel der Projektförderung für zehn Jahre gewählt. Auch die Person des
Gründungsdirektors war ein Novum in der Wissenschaftspolitik: Mit [2][Klaus
Töpfer, dem einstigen Bundesumweltminister und langjährigen Leiter des
Umweltprogramms der Vereinten Nationen] wurde ein ausgewiesener politischer
Kopf berufen, dessen wissenschaftliche Meriten als Professor für
Raumforschung und Landesplanung allerdings schon länger zurücklagen. Die
Energiesparte des IASS wurde in den ersten Jahren von dem italienischen
Physik-Nobelpreisträger Carlo Rubbia geführt.
Mit der [3][ersten Begutachtung durch den Wissenschaftsrat im Jahre 2014]
wurden einige Mängel beim Aufbau wissenschaftlicher Exzellenz im
angestrebten „Advanced“-Maßstab deutlich, die von der neuen Führungsgruppe
unter dem [4][Stuttgarter Soziologen Ortwin Renn] beherzt in Angriff
genommen wurden. Co-Direktorin Patrizia Nanz übernahm die wissenschaftliche
Begleitung und Mitgestaltung des Strukturwandels [5][im Braunkohlerevier
Lausitz, unter anderem durch Bürgerforen und Interviews mit Akteuren vor
Ort]. Insgesamt 20 inhaltliche Profilpunkte wurden etabliert – zu viele,
wie jetzt der Wissenschaftsrat befand.
Wie weit das IASS seinem Transferauftrag gemäß mittlerweile in die
gesellschaftliche Diskussion über Nachhaltigkeit vorgedrungen ist, lässt
sich an zwei aktuellen Beispielen illustrieren. Beim Ökumenischen
Kirchentag Mitte Mai in Frankfurt saß Ortwin Renn zusammen mit
Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem politischen Hauptpodium. Die Debatte,
auch mit Vertreterinnen von Fridays for Future, kreiste um die Bekämpfung
des Klimawandels. Kann Technik unser Wohlstandmodell retten oder braucht es
drastische Einschnitte in das Konsumverhalten?
## Wichtig sind positive Visionen
Renn plädierte für ein gesellschaftliches wie politisches
„Gemeinschaftswerk“, das beide Richtungen kombiniert. „Ja, es wird
schmerzhaft sein, es ist wie eine Pubertät, wir müssen da einfach durch“,
diagnostizierte der IASS-Chef. Aber danach sei ein besseres Leben möglich.
Renn: „Wir brauchen dafür aber positive Visionen, am besten so ansteckend
wie das Coronavirus.“
Beispiel 2: In der aktuellen Titelgeschichte des Spiegel über die
Transformationsambivalenz der deutschen Gesellschaft (und Wählerschaft)
wird der IASS-Direktor mit jüngsten Befunden seiner Untersuchung zur
„sozialen Akzeptanz der Energiewende“ zitiert. 80 Prozent der Bürger seien
dafür, aber nur 40 Prozent wollten dafür mehr zahlen. Ein höherer
Spritpreis – so ein Befund der repräsentativen Befragung – werde sich nur
durchsetzen lassen, wenn die Kostenbelastung „sozial fair verteilt“ werde,
etwa durch Kompensationen via „Energiegeld“. Für die Verschärfung der
Klimagesetze oder die Formulierung der Wahlprogramme sind aktuell nur
wenige Forschungsbefunde so politikrelevant wie die Studien aus Potsdam.
Den politischen Impact hatte der Wissenschaftsrat indes nicht primär im
Blick, als er in den letzten Monaten das IASS auf Herz und Nieren prüfte.
[6][Der Rat stellt fest,] dass Ausrichtung und Ansatz des Instituts
„wissenschaftlich und gesellschaftspolitisch von großer Bedeutung“ und
„einzigartig in der Forschungslandschaft in Deutschland“ seien. Das IASS
habe „ein für die wissensbasierte Politik- und Gesellschaftsberatung
überzeugendes Profil“ entwickelt.
Wörtlich schreibt der Wissenschaftsrat: „Angesichts des großen politischen
Bedarfs an den Transferleistungen des IASS und der anhaltenden
Leistungssteigerung im wissenschaftlichen Bereich appelliert der
Wissenschaftsrat an das BMBF und das Land Brandenburg als Förderer, einen
geeigneten institutionellen Rahmen für das Institut zu finden.“
Das ist die offene Frage, die derzeit aber nur im internen Kreis der
Wissenschaftspolitprofis diskutiert wird. Das BMBF, das einen erheblichen
Teil in Institute der Großforschung, namentlich der
[7][Helmholtz-Gemeinschaft (HGF)] steckt, hat auch schon eine Präferenz.
Die Anbindung an das Geoforschungszentrum (GFZ), das ebenfalls seinen Sitz
in Potsdam hat und zur Helmholtz-Gemeinschaft gehört.
## Einbindung ins GFZ
„Die fachliche Anbindung des IASS an die HGF-Programme insbesondere im
Forschungsbereich ‚Erde und Umwelt‘ und die rechtliche Einbindung ins GFZ
bieten die besten wissenschaftlichen und strategischen
Entwicklungsperspektiven“, erklärte das BMBF jetzt in einer Antwort auf
eine parlamenarische Anfrage der Bundestags-Grünen.
„Die komplementäre Verbindung steht zugleich für einen deutlichen Mehrwert
im Wissenschaftssystem“, meint das Karliczek-Ministerium. „Sie setzt ein
klares Signal, wie an den komplexen Frage- und ambitionierten
Zielstellungen im wachsenden Feld der Nachhaltigkeit ganzheitlich
zusammengearbeitet werden kann“.
Eine andere Organisationslösung, nämlich die Anbindung an die
Leibniz-Gemeinschaft, kommt wegen der langwierigen Aufnahmeprozesse eher
nicht in Betracht. Frühestens 2025 könnte das möglich sein. Wenn sich aber
im kommenden Jahr Direktor Renn aus Altersgründen in den Ruhestand
verabschieden will, soll für den oder die Nachfolgerin das IASS seine neue
Heimat schon gefunden haben.
Kai Gehring, forschungspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion,
ist der Meinung, dass das IASS als transformative Wissenschaftseinrichtung
erhalten werden und dazu „mit einer dauerhaften Institutionalisierung
Planungssicherheit und langfristige Perspektiven“ bekommen sollte. „Mich
wundert allerdings“, erklärt Gehring auf Anfrage der taz, „dass das Thema
im Bundesforschungsministerium offenbar jahrelang auf Wiedervorlage lag,
aber jetzt in aller Kürze – und parallel zur Fertigstellung der
Stellungnahme des Wissenschaftsrats – ein Plan vorliegt, der noch einige
Fragen aufwirft“. Anstelle der Übernahme durch das GFZ gehört für den
Grünen-MdB „jetzt ein kluger Vorschlag auf den Tisch, der die besondere
Rolle des IASS berücksichtigt und dem Institut die notwendige
Unabhängigkeit und Agilität für seine transformative Forschung sichert“.
Überdies haben – wie häufig in der Forschungspolitik – die Finanzpolitiker
ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Im Bundestag steht nächste Woche am
25. Juni die Sitzung des Rechnungsprüfungsausschusses an, der über den
BMBF-Vorschlag zu befinden hat. Es ist die letzte Parlamentswoche vor der
Bundestagswahl. Wird keine Entscheidung getroffen, kommen alle Planungen
zur Transformation des Transformationsinstitutes ins Rutschen.
„Der IASS-Vorstand sieht der Entscheidung zugunsten einer gesicherten und
zukunftsfähigen Perspektive des Instituts zuversichtlich entgegen“,
verlautet von dort. Wie auch sonst ist der Zukunftsblick der
Nachhaltigkeitsforscher positiv gestimmt.
18 Jun 2021
## LINKS
[1] /Gesellschaftliche-Verantwortung/!5663657
[2] /Klaus-Toepfer-ueber-den-Atomausstieg/!5123989
[3] https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/4204-14.html
[4] /Risikoforscher-zu-Coronafolgen/!5736697
[5] /Forscherin-ueber-Nachhaltigkeitsplattform/!5639962
[6] https://www.wissenschaftsrat.de/download/2021/8956-21.html
[7] https://www.helmholtz.de/wissenschaft-und-gesellschaft/gesundheit-ist-auch-…
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
## TAGS
Forschungspolitik
Potsdam
Nachhaltigkeit
Transformation
BMBF
Bürgerbeteiligung
Citizen Science
Nachhaltigkeit
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