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# taz.de -- Luftmessstation in der Lüneburger Heide: Hier ist die Luft rein
> Wie viel Quecksilber ist in der deutschen Luft, wie viel Ozon, wie viel
> Feinstaub? Die großflächige Belastung der Luft ermittelt das
> Umweltbundesamt.
Bild: Sehen aus wie kleine Kühlschränke: Die Messgeräte des Waldhofs
Lüneburger Heide taz | Kalt umfängt sie Maik Schütze, als er aus seinem
Elektroauto aussteigt. Sie ist noch feucht, die Sonne hat gerade erst
begonnen sie, die Wiese und den Wald aufzuwärmen. Sie, die hier so rein wie
möglich gehalten wird. Sie, die Luft, hier in der Lüneburger Heide.
Schütze ist für die Luftmessstationen im Norden Deutschlands
verantwortlich, kontrolliert und wartet die Technik. Regelmäßig fährt er
deshalb auf die Station Waldhof. Die liegt auf einer von Bäumen und
Sträuchern gesäumten Lichtung. Mittendrin ein kleines Haus, davor das
Messfeld. Verschiedene Apparate stehen im steppigen Heidegras. Wie kleine,
weiße Kühlschränke. Manche tragen helmartige Köpfe.
Schütze feuchtet seinen Finger mit Spucke an, geht auf eines der
Schränkchen und fasst an die Sensoren darauf. „Um den Regen zu simulieren“,
sagt er. Flupp. Flupp. Flupp. Hinter ihm klappen Deckel auf. Sie gehören zu
Niederschlagssammlern, die sich öffnen, sobald ihre Sensoren nass werden,
und sich danach wieder schließen. Sie sollen schließlich nur den Regen
sammeln – keine Stäube oder gar Vogelkot.
Der Waldhof ist eine von sieben Messstationen des [1][Umweltbundesamts]
(UBA). Während die Bundesländer mittels automatisch betriebener
Messcontainer an zahlreichen Standorten die Grenzwerte der Luftbelastung
bewachen, hat das UBA seit 1974 die Aufgabe, die großräumige Belastung zu
erfassen. Ihre Stationen messen deshalb möglichst unbelastete, sogenannte
„reine Luft“. Fernab von Ballungsräumen, von Kraftwerken und
Hauptverkehrsachsen. Über weite Entfernungen und Landesgrenzen hinweg. Und
sie messen Stoffe darin, die Menschen und Ökosystemen schaden können. Das
schreiben unter anderem die Genfer Luftreinhalte-Konvention und die
EU-Luftqualitätsrichtlinie allen Mitgliedstaaten der EU vor. Denn in
Reinluftgebieten fallen Schadstoffe auf, die grenzüberschreitend über den
Luftpfad transportiert werden.
Die Standorte des UBA-Messnetzes sind auf einer Karte verzeichnet, die im
Häuschen der Station hängt. Sie verteilen sich über Deutschland, befinden
sich mal in der Höhe, mal im Flachland, von Westerland bis zur Zugspitze.
Alle vermessen und sammeln sie täglich Proben, die in den Laboren
ausgewertet werden.
## Der warme Messraum ist das Herz der Station
Der Waldhof misst neben meteorologischen Daten wie Luftdruck, Niederschlag
und Windstärke vor allem auch Feinstaub und seine Inhaltsstoffe. Die
Luftmassen, die hier ankommen, geben ein Bild über die Luft der gesamten
norddeutschen Tiefebene. Sie werden im wohlig warmen Messraum, dem Herzen
der Station, erfasst. Ein Apparat steht über dem anderen, ihre Displays
zeigen Zahlen an, es brummt und es tickt.
„Auch Saharastaub kommt hier an“, sagt Schütze. Man könne die Körnchen m…
dem bloßen Auge sehen, wenn sie auf die Filter gelangen. Oder im Winter die
Braunkohle aus dem Osten. Oder einen Vulkanausbruch wie den auf Island
2010. „Alles hinterlässt Rückstände in der Luft.“ An einer Pinnwand in
seinem Büro hängen Daten der letzten Jahre. Der Zeitpunkt der jährlichen
Osterfeuer ist eingezeichnet. Mal schlägt der Graph genau zur Zeit der
Osterfeuer aus, mal nicht. Es komme schließlich immer auf die Windrichtung
an, erklärt Schütze, auf das Wetter, ob es geregnet hat.
Der Elektrotechniker zeigt die Kurven der Daten, die die Geräte im Messraum
gerade erfassen, auf seinem Rechner. „Hier eilt das Ozon in der Luft der
Sonne schon ein bisschen nach“, sagt er und deutet auf die nach oben
kletternde Kurve. An einem sonnigen Tag wie heute, steige das Treibhausgas
und die Luftfeuchtigkeit sinke, 30 Prozent zeigt der Zähler an.
„Hier, das ist das Quecksilber“, erklärt Schütze. Das giftige Schwermetall
kann durch den Regen von der Luft über den Boden und das Grundwasser bis in
die Meere gelangen, und von den Fischen dann auf unsere Teller und in
unsere Mägen. Es wird deshalb vor allem nahe des Meeres gemessen. Es sei
weniger geworden, die Schadstoffe gingen in den letzten Jahrzehnten
insgesamt runter, der Gehalt des schädlichen Ammoniaks aus der
Landwirtschaft stagniere, sagt Schütze. „Man hat hier halt schon saubere
Luft.“ Nur wenn es lange nicht geregnet hat, sei die Luft belastet.
Enthalte viele Stäube. Allergiker:innen wissen, was er meine.
Und die Messstationen in der Höhe zeigen noch etwas. Der Anteil eines Gases
steigt kontinuierlich: Kohlendioxid, Treiber des Klimawandels.
Regelmäßig schlagen die Kurven auf Schützes Bildschirm aus. Das seien die
Funktionskontrollen der Geräte, erklärt er. Sie kontrollieren sich
automatisch selbst, und das alle 25 Stunden. Schütze schaut dann über die
Daten, checkt, ob sie Sinn ergeben, ob ein Gerät gewartet oder neu
kalibriert werden muss. Manchmal sehe er den Zahlen an, dass die
Landwirtinnen und Landwirte der Umgebung am Pflügen waren. Dann teile er
der Zentrale mit, dass sie den Tag als „auffällig“ markieren sollen.
Ganz in der Nähe des Waldhofs verläuft die ehemalige Grenze zur DDR. Die
Station wurde 1970 ursprünglich eingerichtet, um die grenzüberschreitenden
Luftverunreinigungen zwischen den beiden deutschen Staaten zu erfassen.
„Luft kennt eben keine Grenzen“, sagt Schütze. Neben ihm dampft es aus
einer Kaffeetasse, zwei Wurstsemmeln warten. Auf dem Tisch liegt eine
getrocknete Rose von Jericho, ein Globus steht in der Ecke. Schütze zeigt
runde Filterpapiere, die noch von vor der Wende stammen und Schadstoffe aus
der Luft von damals fischten. Ihre Farben reichen von Hellgrau bis fast
Schwarz.
Rund dreißig Geräte sind auf dem Waldhof im Einsatz, manche von ihnen
analysieren die Luft, andere sammeln Proben fürs Labor. Mindestens zwei
Drittel des Tages ist ein:e Mitarbeiter:in vor Ort, damit, falls etwas
klemmt, der Schaden schnell repariert werden kann und trotzdem ausreichend
Daten für einen gültigen Messwert vorhanden sind.
Einer von ihnen ist Andreas Schwerin. Er war schon dabei, als der Waldhof
noch Radioaktivität gemessen hatte. Inzwischen ist dafür das Bundesamt für
Strahlenschutz verantwortlich und Schwerin in Altersteilzeit.
Im Laborraum der Messstation zieht er sich Handschuhe an. Eines der Geräte,
das draußen auf dem Messfeld Teilchen aus der Luft sammelt, muss man sich
so vorstellen: Unten ein großer weißer Kasten mit Tür, auf ihm sitzt ein
metallenes Gebilde, das an einen Ritterhelm erinnert. Wenn das Gerät
angeschaltet ist, wird Luft durch kleine Löcher darin angesaugt, über ein
Rohr zu den Filtern im Inneren des Kastens gebracht, auf denen die Teilchen
aus der Luft hängenbleiben.
Damit das einwandfrei funktioniert, zieht sich Schwerin im Laborraum der
Messstation Handschuhe an. Er greift nach einer Form, unter anderen
Bedingungen ließe sich darin gewiss gut ein Frankfurter Kranz backen. Sie
ist mit Silikonfett eingerieben und quasi das Kopfstück dieser Ritterhelme.
Allerlei Dinge, die dem angesaugten Luftstrom, der durch die Schlitze der
Helmköpfe kommt, nicht folgen, bleiben träge in ihrem Fett kleben: winzige
Fliegen, wuschelige Pollen und dunkle Staubpünktchen. Je nach
Geschwindigkeit und Auslenkung des Luftstroms werden so die Partikel
aussortiert, die größer als 10, 2,5 oder 1 Mikrometer sind und nicht auf
den Filtern im Inneren des Kasten landen sollen.
Mit einer Zange öffnet Schwerin dann einen grauen Ring aus Aluminium,
reinigt einen zweiten Ring und holt einen Filter aus Quarz aus einem
Alufolienpaket hervor. Klingt teuer und ist teuer, aber Unerfahrene könnten
ihn mit einem ausgestanzten Stück Raufasertapete verwechseln. Den Filter
setzt Schwerin dann sorgsam in den Ring ein, legt den grauen Ring herum und
spannt alles zusammen. Die Hände weiterhin in den Handschuhen trägt er die
Konstruktion nach draußen. Er öffnet die Tür des weißen Kastens und legt
den Filter in die Vorrichtung in dessen Inneren hinein.
## Vierundzwanzig Stunden Beprobung
Mehrere Filter stapeln sich darin, oben ein schmaler Minicomputer, das
Gebläse der Turbine surrt. Schwerin drückt auf das Touchscreen-Feld des
winzigen Computers. Bald wird der frisch eingesetzte Filter mit der Luft,
die durch die Schlitze in den Helmköpfen angesaugt wird, 24 Stunden lang
beprobt werden. 720 Kubikmeter Luft werden an ihm vorbeiziehen. Dann wird
er auf eine weitere Messstation des Umweltbundesamtes geschickt und dort im
Labor ausgewogen. Ein Schritt von vielen für all die Daten, die erhoben
werden und die anzeigen, wie es um unsere Luft steht.
2020 war laut UBA das am geringsten mit Feinstaub belastete Jahr seit
Beginn der Feinstaubmessungen Ende der 1990er Jahre. Allerdings seien die
Grenzwerte dafür mehr als zwanzig Jahre alt und sollten an die neuesten
Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation angepasst werden, findet das
Institut.
Andreas Schwerin kommt aus dem Braunkohlegebiet der Lausitz. Er weiß, wie
Luftverschmutzung aussieht. Er hat erlebt, wie sie den Schnee schwarz
färbte. Was er auf den Filtern heute sieht, sei nichts dagegen, sagt er.
„Das mit der Luft ist eine Erfolgsstory.“ Zumindest hier, in der reinen
Luft des Waldhofs, fern von Autolärm, rauchenden Industrieschornsteinen und
Großstadtgetümmel, kann man es an den kräftigen Pflanzen sehen. Und in den
Lungen spüren.
13 Jun 2021
## LINKS
[1] https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie
## AUTOREN
Stella Schalamon
## TAGS
Luft
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