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# taz.de -- Konzert von Françoiz Breut in Berlin: Majestätische Trägheit
> Es geht also: Die französische Sängerin Françoiz Breut gastierte am
> Montagabend mit ihrer Band in Berlin im Biergarten des Festsaals
> Kreuzberg.
Bild: Françoiz Breut am Montagabend im Biergarten des Festsaal Kreuzberg in Be…
Das Mikrofon übersteuert penetrant, als der Berliner Veranstalter Ran Huber
am sommerlich warmen Montagabend das Publikum zur „inoffiziellen Eröffnung“
des Biergartens im Festsaal Kreuzberg begrüßen möchte. Einzelne Personen
und Minigrüppchen sitzen plaudernd an Tischen, dazwischen viel Platz. Huber
flucht, legt das Mikrofon beiseite und richtet seine Worte ohne
PA-Verstärkung an die Anwesenden. Sie werden unter Wahrung des gebotenen
Abstands höflich beschwiegen. Ähnlich teilnahmslos muss es sein, wenn ein
Koch für Geschäftsleute zum Lunch gedämpfte Teigtaschen zubereitet.
Zumindest für mich ist es das erste Konzert seit September 2020, das erste
Konzert in Berlin seit mehr als 16 Monaten, ein bisschen aufregender dürfte
es also schon sein. Mit Maske wird man durchs leere Kaminzimmer des
[1][Festsaals] bugsiert, vorbei an Desinfektionsmittelspendern und
Spurpfeilen auf dem Boden geht es nicht in den Check-in-Bereich, sondern in
eine plastikbestuhlte Open-Air-Arena, die mit Gitterzäunen blickdicht
abgesperrt ist. Wenigstens blendet die tiefstehende Sonne!
Lebt der alte Holzmichel noch? Aber ja, er hat sogar noch mehr auf dem
Kerbholz, [2][„Mes péchés s’accumulent]“, um es mit einem der eleganten
Songtitel der französischen Künstlerin Françoiz Breut zu sagen. Breut,
früher auch Brrr genannt, hatte bereits als Illustratorin und
Comiczeichnerin einen Namen, bevor sie Popstar wurde. Mit ihrer
dreiköpfigen Band ist sie aus der Wahlheimat Brüssel gekommen und beginnt
in Kreuzberg eine kleine Konzertreise durch Deutschland.
## Langsam in Fluss kommen
Zunächst ohne die Sängerin starten Drummer Roméo Poirier, Keyboarder Marc
Melià und der Gitarrist François Schulz instrumentale Lockerungsübungen. Da
Melià bei seinen Synthesizern gleichzeitig Melodien und Bassfiguren
übernimmt, dauert es ein, zwei Songs, bis die drei Musiker in Fluss kommen.
Das macht erst mal überhaupt nichts, zumal, als Breut die Bühne entert und
durch angenehm eckige Verrenkungen zwischen Qigong und Beckengymnastik ihre
Musiker weiter in die Präzision zwingt.
Eines von Breuts Alleinstellungsmerkmale, sind die langsamen, manchmal auch
quälend langsamen Elegien und Balladen, die ihre Musiker zwingt, Noten
wegzulassen, noch behutsamer und noch dynamischer zu spielen, wozu die
Breut nie zu aufgesetzt singt, manchmal auch säuselt.
## Das Procol Harum-Prädikat
Uptempo können ja alle, aber die majestätische Trägheit von Breut, die sich
am Montagabend nach wenigen Minuten betont umständlich herausschält und
Hände auch zum Schwitzen bringt, die hat schon Procol-Harum-Prädikat.
Speziell Gitarrist Schulz setzt die Töne enorm kunstvoll, und historisch
genau, mal an Yéyé-Beat, mal an Curt Kirkwood (Meat Puppets) und [3][Tim
Gane (Stereolab)] gemahnend.
Da sind wir schon beim großen Missverständnis. Hierzulande gilt die
51-jährige Breut immer noch als Neuerin des Chansons. Was zu Beginn ihrer
Karriere, Ende der Neunziger, mehr Sinn gemacht hat, als sie sich noch von
Künstlerkollegen wie Dominique A Musik und Texte komponieren ließ.
Natürlich steht Breut inzwischen in einer Ahnenreihe von französischen
Chanteusen wie Françoise Hardy und Patricia Kaas.
Oft wird zur Beschreibung ihres Sounds noch das verruchte Adjektiv
„elektro“ hinzugefügt, fertig ist eine Instantvorstellung von französisch…
Liedkultur, angesiedelt zwischen Frischkäse, Baskenmütze und dem
„Amélie“-Film. Dabei wird an ihren Alben (etwa „Zoo“ von 2016, entstan…
zusammen mit Adrian Utley von Portishead) und am Montagabend sofort
anschaulich, dass ihr Sound und auch ihre Texte vor allem auch vom Transit
leben: Von der Flucht aus dem Kokon Chanson hinüber zur angloamerikanisch
geprägten Popkultur.
Es erinnert manchmal daran, wie sich Boris Vian einst die USA vorgestellt
hat. Wenn Gitarre und Keys bei dem Song „La danse des ombres“ am
Montagabend sich aneinanderschmiegen, klingt es sogar etwas creepy, dann
wird die Atmosphäre auch rockistischer, als es die Kunstform Chanson
erlaubt.
„Are you comfortable“, fragt Breut schließlich die ziemlich zurückhaltend…
Zuschauer, da ist das Konzert schon bald um. „Ah, too comfortable“ fügt sie
bedauernd hinzu. Seit Corona sind wir zu Hardcore-Rumsitzern geworden und
dieses passive, auch latent aggressive Rumsitzen und der Dinge harren, es
nervt gewaltig.
Spät, aber nicht zu spät purzeln dann die Songs von Breuts neuem Album
„Flux flou de la foule“, – es ist dies die Refrainzeile aus ihrem Hit
[4][„Dérive urbaines dans la ville cannibale“] und der Auftaktsong „Juste
de passage“, auch er kann als gute Beschreibung des Abends herhalten: Immer
auf dem Sprung. Die Typen, die schon nach zwei Songs wissen, wie das
Konzert klingt und ständig durchs Bild laufen, vermisst wurden sie nicht.
Die Konzertsaison beginnt nun, der Anfang mutete noch etwas vorsichtig an,
war aber schon ziemlich gut.
15 Jun 2021
## LINKS
[1] /Feuer-in-Konzertort/!5062795
[2] https://www.youtube.com/watch?v=sJW26A3x_Jw
[3] /Neues-Stereolab-Album/!5177388
[4] https://www.youtube.com/watch?v=LJYdntIg8wQ
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Konzert
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Chanson
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Festival Transmusicales
Schwerpunkt Europawahl
Chanson
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