| # taz.de -- Neues Stereolab-Album: Anorganische Chemie | |
| > Härte als schöpferische Kraft: Die neue Platte von Sterolab lässt Brüche | |
| > deutlich hören. Erst im Albumformat entwickelt sich ihr schmutziger | |
| > Klang-Wäschehaufen zu wahrer Größe. | |
| Bild: Leicht verstrahlt: Stereolab. | |
| Neben My Bloody Valentine, Pram und einigen versprengten schottischen | |
| Krach-Trotzkisten sind Stereolab die einzige Popband aus Großbritannien, | |
| die sich in ihren massenkompatiblen Songs immer wieder gegen die eigene | |
| Artschool-Tradition wenden. Man sieht das schon an der | |
| Lavalampen-Coverästhetik ihres neuen Albums "Chemical Chords" und man hört | |
| das auch ihren ähnlich plundrigen Tontrauben an. | |
| Erst im Albumformat wächst ihr schmutziger Wäschehaufen aus gleißendem | |
| Licht und Melodien, Loops und krausen Gedanken zu wahrer Größe. Eine | |
| Buddyband sind sie aber nicht. Zwischen den Bandmitgliedern - allen voran | |
| die französische Sängerin Laetizia Sadier und der Gitarrist Tim Gane - ist | |
| viel Platz. Und wo einst die tödlich verunglückte Stereolab-Gitarristin | |
| Mary Hansen wirkte, klafft heute eine Leerstelle. | |
| Mehrmals in ihrer Karriere gerieten Stereolab in die Krise, vielleicht | |
| gehört ihre Bewältigung einfach zum Bandprogramm. Auch auf "Chemical | |
| Chords" hört man die Brüche und Fallstricke deutlich, da ist nichts | |
| reibungslos oder klingt abgedroschen professionell, denn das Songmaterial | |
| ist - zum Glück - nicht zu Ende formuliert. "Fractal Dream of a Thing" oder | |
| "Pop Molecule" heißen zwei der insgesamt 16 anorganischen Skizzen, die | |
| ihren Druck irgendwo zwischen Hookline, Groove und Gemütslage entwickeln | |
| und im Mix atombombensicher gemacht werden. In sich wirken die Songs so | |
| zwar geschlossen, aber sie gehorchen keiner übergeordneten Dramaturgie, | |
| außer der Logik des Überflusses. Rockmusik war immer verschwendungssüchtig. | |
| Und diese Sucht erzeugen Stereolab mit einfachen Stilmitteln, einem | |
| Schlagzeugwirbel oder einer Trompetenfanfare; im Detail zeigt sich das | |
| Vergnügen, aber auch der nackte Wahnsinn. | |
| Das Stereolab-Klangideal liegt hörbar in den Sechzigern und Siebzigern. | |
| Aber natürlich ist an "Chemical Chords" nichts retro - die Ereignisse sind | |
| nicht wegen der Geschichte da, sondern umgekehrt. Stereolab haben sich in | |
| ihrer Musik jedoch ungläubiges Staunen bewahrt. Wie Kinder, die sie in der | |
| Popmoderne waren, bauen sie sich auch die Songs. Offensichtlich können sie | |
| den Zukunftsglauben jener Ära heute nicht eins zu eins nachahmen. Dieses | |
| Problem ist als Arbeitshypothese von "Chemical Chords" beibehalten. | |
| Andererseits klingt die folgerichtige Sentimentalität nicht | |
| bedeutungsschwer, ihre eigene Vergänglichkeit holt die Band an die | |
| glitzernde Oberfläche. Stereolab mögen privilegiert sein, prominent sind | |
| sie nicht. Und sie haben auch keinen Status von älteren Rockanimals geerbt. | |
| Ganz bestimmt nicht wiederholen Stereolab deren Fehler. Es genügt zu | |
| wissen, dass Fehler begangen wurden: Man könnte sich Stereolab nicht als | |
| gürtelschwingende Headliner auf einem großen Festival vorstellen, aber sie | |
| haben schon Songs über den Zustand des Gürtelschwingens ("Wow and Flutter") | |
| komponiert. Stile und Gedanken erarbeiten sich Stereolab langsam wie eine | |
| Lesegruppe, bei Bedarf verwerfen sie das Erlernte schnell. | |
| Wenn der englische Sozialist George Bernard Shaw einst für den totalen | |
| Gesang im Werk von Richard "the Meister" Wagner schwärmte, so halten es | |
| Stereolab mit den Ambientschlaufen, die sich aus der Musik der | |
| Krautrockband Neu! ergeben haben. | |
| Als gute Internationalisten weisen ihre Sehnsüchte aber in alle Richtungen: | |
| Vom LaborrattenrocknRoll der Velvets hin zum LSD-getränkten Barockpop des | |
| kalifornischen Labels A&M. Von der Cognacgläser-Klangwelt französischer | |
| Chansonsängerinnen zum taumelnden Dronesound des Technolabels "Oslo". | |
| Irgendwo zwischen Brakhage und bricolage, zwischen easy und uneasy wird | |
| Härte in den Händen von Stereolab zu schöpferischer Kraft. JULIAN WEBER | |
| 15 Aug 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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