# taz.de -- Ibiza-Affäre in Österreich: Innenpolitische Bombe | |
> Österreichs Kanzler Sebastian Kurz soll vor einem Untersuchungsausschuss | |
> gelogen haben. Nun droht ihm eine Anklage. Das wäre ein Novum. | |
Bild: Ein Lügner? Österreichs Kanzler Kurz auf dem Weg zum U-Ausschuss im Jun… | |
WIEN taz | Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) soll gelogen | |
haben. Eigentlich nichts Ungewöhnliches für Spitzenpolitiker. Doch wer vor | |
einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss die Unwahrheit sagt, dem | |
drohen bis zu drei Jahre Haft. Genau deswegen ermittelt die Wirtschafts- | |
und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen Kurz und seinen Kabinettschef | |
Bernhard Bonelli von Amts wegen. | |
Konkret geht es um drei mutmaßliche Falschaussagen, als [1][Kurz am 24. | |
Juni 2020 im Untersuchungsausschuss hinsichtlich einer mutmaßlichen | |
Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung als Auskunftsperson befragt | |
wurde]. Der Ausschuss wurde 2020 eingerichtet, um zu prüfen, inwieweit | |
Regierungsmitglieder spendablen Konzernen unternehmerfreundliche Gesetze | |
zusagten. | |
Solches wird im berüchtigten Ibiza-Video suggeriert. In einem heimlich | |
aufgenommenen Film verspricht der ehemalige Vizekanzler Heinz-Christian | |
Strache (FPÖ) einer [2][vermeintlichen russischen Oligarchin] | |
Staatsaufträge und Unterstützung beim Kauf der auflagenstarken Kronen | |
Zeitung. | |
Die mutmaßlichen Falschaussagen betreffen die Bestellung des Kurz-Intimus | |
Thomas Schmid zum alleinigen Vorstand der Holding ÖBAG, die die staatlichen | |
Anteile an strategischen Unternehmen – derzeit etwa 26 Milliarden Euro – | |
verwaltet. | |
## Gerüchte bestätigt | |
Kurz selbst ging Mittwochvormittag an die Öffentlichkeit und bestätigte | |
Gerüchte, dass gegen ihn ermittelt werde. Es gehe aber nicht um einen | |
Korruptionsvorwurf, wollte er gleich klargestellt wissen. Angesichts der | |
Geringfügigkeit des angeblichen Vergehens werde das vor einem Einzelrichter | |
abgehandelt. Dem würde er gerne seine „Sicht der Dinge“ vorlegen. Dass er | |
verurteilt werden könne, will er sich „beim besten Willen nicht | |
vorstellen“. | |
Kurz hatte damals angegeben, er sei darüber informiert gewesen, dass Schmid | |
diese Position anstrebe, habe mit ihm aber nicht darüber gesprochen oder | |
sich gar aktiv eingeschaltet. Damals konnte Kurz nicht damit rechnen, dass | |
im Zuge einer Hausdurchsuchung bei Schmid dessen Handy beschlagnahmt wurde. | |
Dieses Mobilgerät sollte sich als Goldgrube für die Justiz und Quelle | |
fortgesetzter Peinlichkeiten für die ÖVP erweisen. Schmids Versuch, die | |
Daten rechtzeitig zu löschen, war so dilettantisch, dass die Ermittler | |
nicht nur den gesamten etwa 300.000 Postings umfassenden SMS- und | |
Whatsapp-Verkehr wiederherstellen konnten, sondern auch über 2.000 intime | |
Fotos. | |
Über die mit Bussi-Emojis garnierten Chats lacht inzwischen ganz | |
Österreich. Wenig witzig finden sie Kurz, Schmid und Finanzminister Gernot | |
Blümel, ebenfalls einer der engsten Vertrauten des Kanzlers. Geht doch | |
daraus hervor, wie Schmid, der damals als hoher Beamter im | |
Finanzministerium tätig war, die Ausschreibung für den hoch dotierten | |
Posten auf sein Profil zurecht schnitt und die Mitglieder das | |
Aufsichtsrates der ÖBAG, die ihn statutengemäß wählen sollten, zum Teil | |
selber aussuchen konnte. | |
## Gut vernetzt und steuerbar | |
Unter anderem schrieb Kurz: „Kriegst eh alles, was du willst“, worauf | |
Schmid antwortete: „Ich liebe meinen Kanzler!“ Das lässt sich schwerlich | |
mit Kurz' Aussage vereinbaren, er sei „nur am Rande“ informiert gewesen. | |
Über eine für den Aufsichtsrat vorgesehene Frau meldete Schmid als | |
wichtigste Qualifikation, sie sei in der ÖVP Niederösterreich gut vernetzt | |
und „steuerbar“. | |
Sollte es zur Anklage kommen, was angesichts der Faktenlage wahrscheinlich | |
ist, wäre das ein Novum in der österreichischen Politik. Noch nie war ein | |
amtierender Kanzler mit einer Anklage konfrontiert. Gegen Werner Faymann | |
(SPÖ) war 2013 ein Ermittlungsverfahren wegen einer Inseratenaffäre | |
eingestellt worden. Der Innenpolitik-Redakteur Stefan Kappacher vom ORF | |
spricht von einer „innenpolitischen Bombe“. | |
Wenig später musste Kurz eine zweite Niederlage einstecken. Der | |
Verfassungsgerichtshof (VfGH) trug ihm auf, die von der Opposition | |
eingeforderten Unterlagen aus dem Kanzleramt an den U-Ausschuss zu liefern. | |
Kurz hatte versichert, dass alle relevanten Dokumente bereits übergeben | |
oder gelöscht worden seien. Das ließ er dem VfGH von allen 692 Angestellten | |
seines Hauses per E-Mail bestätigen. | |
Der ließ sich mit dieser Provokation allerdings nicht abspeisen und stellte | |
ein Ultimatum. Jetzt will Kurz liefern. Finanzminister Blümel hatte die von | |
ihm verlangten Akten erst ausgehändigt, als der VfGH den Bundespräsidenten | |
darum bat durchzugreifen. | |
## 63.000 ausgedruckte Seiten | |
Allerdings bekamen die Parteien keinen Datenträger, sondern über 63.000 | |
wild durcheinander abgeheftete ausgedruckte Seiten, die mit der | |
zweithöchsten Geheimhaltungsstufe versehen waren. Die Opposition spricht | |
von Verhöhnung. | |
Der U-Ausschuss, der nach Bekanntwerden des berüchtigten Ibiza-Videos | |
eingerichtet wurde, hat zunehmend die ÖVP im Fokus. Entsprechend nervös | |
reagieren die Getreuen des Kanzlers. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka | |
hat vor einigen Tagen wohl nicht zufällig angeregt, die Wahrheitspflicht im | |
U-Ausschuss abzuschaffen. Andere hochrangige ÖVP-Funktionäre finden diesen | |
Vorschlag zumindest diskutierenswert. | |
12 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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