# taz.de -- Helferin über ihre Arbeit im Impfzentrum: „Die Verletztlichkeit … | |
> Hanna Schmidt* arbeitet im Hamburger Impfzentrum. Der taz hat sie | |
> erzählt, wie sie dort die Fragilität des Menschen erlebt. Ein Protokoll. | |
Bild: Ebenso in einer neuen Situation wie die Impflinge: die MitarbeiterInnen i… | |
Im Hamburger Impfzentrum zu helfen – das habe ich aus einem unmittelbaren | |
Impuls heraus entschieden. Die Stadt Hamburg suchte ja MitarbeiterInnen, | |
die die Impfberechtigung der Menschen prüfen und ihre Daten erfassen, gegen | |
Bezahlung. Ich wusste: „Das ist etwas noch nie Dagewesenes, da will ich | |
dabei sein. Ich möchte sehen, wie die Stadt diese Aufgabe, diese | |
Mangelverwaltung meistert.“ | |
Der zweite Impuls war ein humanitärer. Ich arbeite schon länger | |
ehrenamtlich in der Sterbebegleitung und befasse mich überhaupt viel mit | |
der Verletzlichkeit des Menschen. Und das [1][Impfzentrum] soll ja helfen, | |
diese Fragilität – in diesem Fall in Bezug auf Corona – zu lindern. | |
Andererseits komme ich hier mit vielen Menschen in Berührung, die leidend | |
sind und schwere Vorerkrankungen haben. Das habe ich bei meiner Arbeit sehr | |
schnell bemerkt. Natürlich kann das auch eine etwas gefilterte Wahrnehmung | |
sein, denn anfangs kamen ja die Hochbetagten, die über 80-, dann die über | |
70-Jährigen. Und als ich sah, wie mühsam sie gingen, wie sie sich unter | |
Schmerzen auf den Stuhl vor meinem Schalter setzten, wurde mir wieder klar, | |
wie unsere Gesellschaft Gebrechlichkeit oft verdrängt. | |
Inzwischen kommen aber auch Jüngere – VerkäuferInnen und BusfahrerInnen zum | |
Beispiel. Und es ist schon frappierend, wie viele freimütig und ungefragt | |
erzählen, dass sie eine Krebsdiagnose oder einen Herzinfarkt hatten. | |
Verdammt viele berichten davon, und in dieser Dichte bemerkt man das im | |
üblichen Umfeld nicht. Dabei ist diese Verletzlichkeit immer da. | |
## Wir sind die Ermöglicher | |
Sie alle kommen mit der Hoffnung, geimpft zu werden, und wir an den | |
Schaltern sind wie die „Türöffner“, an denen sich zeigt, ob jemand heute | |
geimpft wird. Diese Entscheidung treffen wir nicht eigenmächtig oder | |
willkürlich, im Gegenteil: Jeden Tag vor Schichtbeginn sagen uns unsere | |
Vorgesetzten, ob weitere Gruppen jetzt impfberechtigt sind, und wir | |
erhalten entsprechende Listen, wie sie von der Gesundheitsbehörde und der | |
Ständigen Impfkommission vorliegen. | |
Dazu bekommen wir immer wieder die Botschaft, die auch auf unseren T-Shirts | |
und Jacken steht: „Hamburg impft“. Wir sind nicht Verhinderer, sondern | |
Ermöglicher. Wir wollen impfen! Und die sich ständig ändernde | |
Kategorisierung, die Prioritätsgruppen, gibt es nur, weil [2][zu wenig | |
Impfstoff] da ist. | |
Meine Aufgabe besteht nun darin zu prüfen, ob das Attest, die Bescheinigung | |
einer Firma, einer Schwangeren oder einer pflegebedürftigen Person | |
vorliegt. Ob der Impfling in Schleswig-Holstein wohnt und auch dort | |
arbeitet – dann kann er oder sie in Hamburg leider nicht geimpft werden. | |
Oder ob dieser Mensch in Hamburg arbeitet, zum Beispiel in einem Beruf der | |
sogenannten kritischen Infrastruktur. Dann können wir impfen. | |
Aber nicht jeder Fall liegt so klar, und da beginnt der Ermessensspielraum: | |
Wenn Arzt oder Ärztin auf dem Attest Prioritätsgruppe 3 angekreuzt hat – | |
die zu diesem Zeitpunkt noch nicht dran war –, der Mensch aber einen sehr | |
gebrechlichen Eindruck macht: Wurde dann wirklich bewusst diese Priorität | |
angekreuzt? Im Zweifel frage ich meine KollegInnen oder Vorgesetzte. Die | |
sind immer präsent – auch dann, wenn der Impfling die „Abweisung“ nicht | |
akzeptiert und nach dem Chef fragt. Wobei ich zum Glück noch nie selbst | |
erlebt habe, dass Abgewiesene aggressiv wurden. | |
## Klug mit Erwartungen umgehen | |
Aber ich kann die Enttäuschung aller Abgewiesenen verstehen. Ich sage mir | |
jedes Mal vor Schichtbeginn: Diese Menschen kommen voller Hoffnung. Wir | |
müssen hier klug mit den Erwartungen der Menschen umgehen. Darum begegnen | |
wir ihnen freundlich, erklären ihnen jeden Schritt, denn auch für sie ist | |
die Situation gänzlich neu. Staatliche Verteilaktionen gibt es nur in | |
sozialen Notlagen, nach Naturkatastrophen, bei Hungersnöten oder nach | |
Kriegen. | |
In Deutschland hatten wir so etwas zum Glück lange Zeit nicht. Die Menschen | |
sind also verunsichert, aufgewühlt, und wir müssen ihnen die Scheu nehmen, | |
müssen ihnen die Abläufe erklären und geschmeidig gestalten. Wir müssen | |
flexibel sein und sehen, wo Bedarfe sind: Die Menschen warten vor den | |
Schaltern, dann komme ich ins Spiel, es folgt die ärztliche Beratung, dann | |
die Impfung und die Ruhephase, dann das Auschecken. Wir müssen die Menschen | |
im Blick behalten, KollegInnen leiten sie durch die großen Hallen. Da kann | |
man nicht sagen: „Ich habe keine Lust“ oder „Das soll jemand anderes tun�… | |
Sondern man tut, was gerade nötig ist, und ich habe den Eindruck, dass alle | |
Mitarbeitenden das verinnerlicht haben. | |
Überhaupt ist die Struktur hier angenehm hierarchiefrei: Wir alle duzen uns | |
– auch Laien wie ich mit ÄrztInnen und behördlichen Vorgesetzten, die wir | |
nie zuvor gesehen haben. Alle sind ständig präsent und vermitteln uns, dass | |
wir keine Scheu haben sollen. Entsprechend flexibel können wir auch mit den | |
Impflingen umgehen. Neulich zum Beispiel kam ein 17-Jähriger, der nicht | |
wusste, dass er einen Erziehungsberechtigen mitbringen muss. Ich habe ihm | |
gesagt: „Es ist Nachmittag, versuchen Sie doch, Vater oder Mutter zu | |
erreichen, und kommen Sie heute Abend wieder.“ | |
Denn auch das gehört zur Flexibilität, zur Offenheit: nicht darauf zu | |
pochen, dass jemand exakt um 10.12 Uhr kommt, wie auf seiner | |
Benachrichtigung angegeben. Am selben Tag sollte man aber schon erscheinen, | |
so viel Termintreue ist wichtig. Denn das Zentrum ist auf 7.000 und auch | |
schon mal bis zu 10.000 [3][Impfungen] pro Tag ausgelegt, und größere | |
Abweichungen stören die Abläufe erheblich. | |
## Starker Teamgeist | |
Trotzdem empfinde ich das Impfzentrum nicht als anonymen Massenbetrieb. | |
Natürlich ist das hier kein gemütliches Caféhaus, und ich muss stringent | |
arbeiten. Ich kann auch nicht eine halbe Stunde lang prüfen, ob der- oder | |
diejenige wirklich in der angegebenen Firma arbeitet. Denn erstens liegt ja | |
die Bescheinigung vor, und zweitens steht es mir nicht an, das zu | |
hinterfragen. Trotzdem bleibt gelegentlich Zeit für einen Scherz, wenn ich | |
spüre, dass mein Gegenüber dafür empfänglich ist. | |
Überhaupt sind viele Impflinge freudig überrascht, wie gut alles | |
funktioniert, oft loben sie uns – einfach in die Anonymität hinein, als | |
Rädchen im Getriebe, als Team. Und genau das macht mich so zufrieden mit | |
meiner Arbeit hier: dass die Leitung es geschafft hat, in dieser temporär | |
zusammengestellten, bunt gemischten Gruppe einen starken Teamgeist zu | |
schaffen. Und auch wenn es pathetisch klingt: Es ist gut, Teil dieses | |
Ganzen zu sein. Für mich ist das Impfzentrum eine wichtige – und auch | |
beglückende – soziale Erfahrung. | |
*der Name wurde von der Redaktion geändert | |
1 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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