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# taz.de -- Ende des Zweiten Weltkriegs: Die letzte Schlacht
> 100.000 Soldaten wurden hier Opfer des Irrsinns zwischen Deutschland und
> der Sowjetunion. Ein Besuch in der Gedenkstätte Seelower Höhen.
Bild: Die Gedenkstätte Seelower Höhen mit Ehrenmal für die sowjetischen Sold…
Könnte diese Erde erzählen, es wäre eine Geschichte des Grauens. Von
sattgrünen Höhen blicke ich auf weites und sehr flaches Land, das
Oderbruch. Eine karge, dünnbesiedelte Gegend. Vom 16. bis 19. April 1945
fand hier die letzte und militärisch betrachtet sinnloseste Schlacht des
Krieges statt, der im Juni 1941 mit dem Angriff auf die Sowjetunion zum
Weltkrieg geworden war. Im April 45 war sein Ausgang längst besiegelt.
Doch die Wehrmacht wollte sich nicht ergeben und auch Stalin drängte seine
Generäle zu einem symbolträchtigen Einmarsch in Berlin, am Kampftag der
Arbeiterklasse, dem 1. Mai. Dieser machtpolitische Irrsinn kostete gut
Hunderttausend Soldaten das Leben, Zivilisten nicht eingerechnet.
Drei sowjetische Fronten mit mehr als einer Million Soldaten, 3.000 Panzern
und fast 20.000 Artilleriegeschützen marschierten von Nordosten, Osten und
Südosten über die Oder auf den schmalen Höhenzug zu. 120.000 deutsche
Soldaten, viele davon halbe Kinder, eilig im Volkssturm zusammengerufen,
standen ihnen gegenüber. Damit wurde diese Schlacht zur größten auf
deutschem Boden während des Zweiten Weltkrieges.
Die Gedenkstätte Seelower Höhen hatte an diesem Pfingstsonntag zum ersten
Mal seit Monaten wieder geöffnet. Während wir auf den coronabedingt
zeitlich organisierten Einlass ins Museum warteten, sah ich mir das Gelände
zwischen zwei Eingangssäulen an, auf denen links 1941 und rechts 1945
steht. Dahinter ein T34-Panzer, eine 152-Millimeter-Haubitze und eines der
gefürchteten Katjuschageschütze, die die Deutschen Stalinorgel nannten.
Montiert auf von den amerikanischen Alliierten gelieferten Lkws.
## Reste der Schlacht
Kaum vorzustellen, dass die Landschaft mit Tausenden dieser Kriegsmaschinen
übersät war. Es bedurfte 2.500 Güterzügen, um allein die Granaten der
ersten Tage an die Oder zu transportieren. Und wie wurden so viele Soldaten
verpflegt und Verwundete versorgt? Wo verrichten sie ihre Notdurft? Bis
heute bergen Archäologen um Seelow Reste der Schlacht und des Alltags der
Soldaten.
Wenn man zum Ehrenmal für die sowjetischen Soldaten hochsteigt, gekrönt von
einem gelbgold glänzenden Rotarmisten, der wie eine Kirchturmkuppel über
der Landschaft thront, den Fuß auf einem wie ein Spielzeug wirkenden
deutschen Panzer, passiert man die Gräber von Sowjetsoldaten, viele davon
namenlos. Der einzige frische Kranz, vermutlich niedergelegt zum Tag der
Befreiung, stammt von der DKP Brandenburg. In einer Ecke des Ehrenhains
steht ein riesiger alter Scheinwerfer. Mit 140 Lichtkanonen dieser Art
ließen die Sowjets im frühen Morgen das Schlachtfeld ausleuchten, was
dummerweise auch die eigenen Panzer blendete. Überhaupt schien die
Konzentration von Mensch und Maschine nicht nur von Vorteil, sondern ein
Hindernis gewesen zu sein.
Alle drei bis fünf Meter kämpfte in der ersten Frontlinie ein sowjetischer
Soldat. Mit großen Verlusten hielten die Deutschen die Höhen über vier
schier endlos lange Tage. Danach war der Weg frei bis nach Berlin. Zurück
blieben Tausende Unterstände, Kriegsgräben, riesige Einschlagkrater und
darin verschüttete Leichen.
Das Museum zeigt einen historischen Dokumentationsfilm zu den militärischen
Ereignissen, Kriegsausrüstung beider Seiten, die später ihr Upcycling in
Milchkannen, Kochtöpfen und Kochsieben fand, sowie filmische Interviews mit
Zeitzeugen. Auch wie der „Verein zur Bergung Gefallener in Osteuropa“ bis
heute sterbliche Überreste von Soldaten beider Seiten exhumiert. Bis heute
finden sich Spätfolgen des Krieges in der Landschaft: Jedes Jahr werden 400
Tonnen Altmunition entfernt.
Berührt hat mich eine kleine Ausstellung im Eingangsbereich: „Liebe Mutti!
– Zeilen aus dem Krieg“. 30 bis 40 Milliarden Feldpostbriefe und -karten
von und an deutsche Soldaten wurden in den Kriegsjahren transportiert,
Zehntausende haben ihre Adressaten nie oder erst nach Jahren oder gar
Jahrzehnten erreicht. Aus Angst vor dem Inhalt blieb so mancher Brief
ungeöffnet.
30 May 2021
## AUTOREN
Sabine Berking
## TAGS
Museum
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Kampf
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Schwerpunkt AfD
Zeitzeugen
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
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Spielfilm
Schwerpunkt Tag der Befreiung
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