# taz.de -- Grüne Außen- und Sicherheitspolitik: Unbedingt abwehrbereit | |
> Robert Habeck erntet viel Kritik für seinen Vorstoß, der Ukraine Waffen | |
> zu liefern – auch intern. Was ist von den Grünen außenpolitisch zu | |
> erwarten? | |
Bild: Auf Stippvisite: Grünen-Chef Robert Habeck am vergangenen Dienstag in de… | |
Seine Reise an die Front in der Ukraine hat Robert Habeck tief beeindruckt. | |
Scharfschützen erschössen ukrainische Soldaten an der Grenze, erzählte er | |
danach. Russische Sniper, so hätten es ihm Ukrainer berichtet, hätten ihren | |
eigenen Fingerabdruck. „Einige schießen direkt in die Stirn, einige | |
schießen immer ins Auge.“ Aber was folgt aus solchen Grausamkeiten eines | |
Konflikts direkt vor der Haustür der EU? Habeck, der mit Schutzweste und | |
Helm ein zerstörtes Dorf besichtigte, machte einen für einen Grünen | |
überraschenden Vorschlag. Waffen zur Verteidigung, also Defensivwaffen, | |
könne man der Ukraine „schwer verwehren“, sagte er am Dienstag im | |
Deutschlandfunk. | |
Ein Aufschrei folgte, Spitzenleute von CDU, SPD und Linken übten heftige | |
Kritik. Auch einzelne, fachpolitisch versierte Grüne gingen auf Distanz. | |
Zwar sind die Grünen schon lange keine pazifistische Partei mehr, aber sie | |
fordern eine restriktive Linie bei Rüstungsexporten, die besagt: keine | |
Waffen in Kriegsgebiete. Wollte Habeck wirklich Luftabwehrgeschütze oder | |
Panzerabwehrraketen an die Ukraine liefern lassen, wie sich der Botschafter | |
des Landes wünschte? Es folgte ein Eiertanz der Grünen-Spitze. Aus | |
„Defensivwaffen für die Ukraine“ (Habeck am Dienstag) wurden erst | |
„Nachtsichtgeräte und Verletztentransporte“ (Habeck am Mittwoch) und | |
schließlich die Unterstützung der unbewaffneten und zivilen OSZE-Mission, | |
die den Konflikt in der Ostukraine seit 2014 beobachtet (Kanzlerkandidatin | |
Annalena Baerbock am Mittwochabend). | |
Bei den Grünen erlebe man „Selbstfindung auf der internationalen Bühne“, | |
spottete SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Falls Habeck die Grünen mit | |
Blick auf eine Regierungsbeteiligung als außenpolitisch erwachsen | |
hinstellen wollte, ging das gründlich schief. | |
Was zu einer größeren Frage führt: Welche Außen- und Sicherheitspolitik | |
wäre eigentlich von einer Kanzlerin oder Außenministerin Annalena Baerbock | |
zu erwarten? Die Grünen verstehen sich als dezidiert proeuropäische Partei, | |
die an vielen Stellen für eine stärkere europäische Integration und | |
Zusammenarbeit eintritt – auch in der Militärpolitik. Baerbock wirbt für | |
eine gemeinsame europäische Armee, in der sich Fähigkeiten einzelner | |
Staaten ergänzen sollen. Auffällig ist auch die klare Westbindung: Die | |
Grünen von heute sind Transatlantiker. „Wir fühlen uns den USA | |
freundschaftlich verbunden“, sagte der Außenpolitiker Jürgen Trittin. Es | |
gebe eine große, historisch begründete und kulturelle Nähe. „Mit keinem | |
anderen Land der Welt haben wir, trotz Differenzen, so viele | |
Interessenüberschneidungen.“ | |
Baerbock verbrachte als Schülerin ein Austauschjahr in Florida, eine | |
Erfahrung, von der sie heute noch gerne erzählt. Neulich trat sie bei der | |
US-Denkfabrik [1][Atlantic Council] auf – um einem CNN-Journalisten in | |
fließendem Englisch grüne Politik zu erklären. Die Grünen glaubten, sagte | |
sie, eine starke EU und eine starke transatlantische Beziehung – auch | |
basierend auf der Nato – seien der gemeinsame Boden, auf dem die Zukunft | |
gebaut werde. | |
## Verhältnis zur Nato hat sich entspannt | |
Die warmen Worte sind kein Zufall, Beispiele für die grün-amerikanische | |
Freundschaft gibt es viele. So hat sich zum Beispiel ihr Verhältnis zur | |
Nato, die sie noch in den 90ern auflösen wollten, entspannt. Im Entwurf für | |
das Wahlprogramm wird das Militärbündnis als „unverzichtbarer Akteur“ | |
bezeichnet, der die Sicherheit Europas garantiere und der | |
Renationalisierung der Sicherheitspolitik entgegenwirke. | |
Zwar lehnen die Grünen das Zweiprozentziel ab, weil sie es für zu abstrakt | |
und statisch halten. Aber eine gut ausgestattete und ausreichend | |
finanzierte Bundeswehr finden sie notwendig. „Wir müssen uns da ehrlich | |
machen. Ja, in manchen Bereichen muss man mehr investieren, damit Gewehre | |
schießen und Nachtsichtgeräte funktionieren“, sagte Baerbock der | |
Süddeutschen Zeitung im November 2020. | |
Was in den USA ebenfalls wohlwollend gesehen wird, ist ihre Haltung zu Nord | |
Stream 2. Die Grünen wollen die Gaspipeline am liebsten schnell stoppen. | |
Sie führen dabei klimaschutzpolitische Gründe an, etwa den, dass die | |
Pipeline die Abhängigkeit von fossilem Erdgas auf Jahrzehnte zementiere. | |
Aber ihnen geht es auch um Geopolitik, um die Abhängigkeit von Putins | |
Russland und um die Sorge der osteuropäischen Nachbarn. Habeck wies diese | |
Woche richtigerweise darauf hin, dass die Pipeline in der Ukraine als | |
Bedrohung gesehen werde. | |
Auch bei Einsätzen der Bundeswehr machten sich die Grünen locker. Nicht | |
nur, dass sie 1999 unter Außenminister Joschka Fischer bekanntlich die | |
deutsche Beteiligung am völkerrechtswidrigen [2][Kosovokrieg] durchsetzten, | |
sie stimmten 2001 auch dem Einsatz in Afghanistan zu oder später dem | |
Mali-Engagement. Seit Jahren diskutieren die Grünen, wie mit Blockaden des | |
UN-Sicherheitsrats umzugehen ist. Jener kommt nicht oder nur langsam zu | |
einem einheitlichen Votum, da zu seinen ständigen Mitgliedern neben den | |
USA, Frankreich und Großbritannien auch Russland und China zählen. | |
Für sein Werben für den Kosovokrieg traf Joschka Fischer damals ein | |
[3][Farbbeutel]. Um das Ja der Basis zu bekommen, spielte er sogar auf | |
Auschwitz an. Solche Debattenschärfe wäre heute nicht mehr denkbar. Die | |
Grünen von heute ticken pragmatischer. Im Entwurf für das Wahlprogramm | |
skizzieren sie einen Weg, wie Kriegseinsätze auch ohne Mandat des | |
UN-Sicherheitsrats legitimiert werden könnten. Da heißt es: „Wenn der | |
Sicherheitsrat im Falle von schwersten Menschenrechtsverletzungen anhaltend | |
blockiert ist, soll die Generalversammlung an seiner Stelle über | |
friedenserzwingende Maßnahmen mit qualifizierter Mehrheit beschließen.“ | |
## Mitunter wagemutiger als die Union | |
Die ehemalige Friedenspartei ist jedenfalls nicht wiederzuerkennen: Die | |
Grünen wären in einer rot-rot-grünen Koalition nicht die Tauben, sondern | |
die Falken – was sie wollen, ist etwas anderes als sozialdemokratische | |
Friedenspolitik à la Rolf Mützenich. Manchmal sind sie sogar wagemutiger | |
als die Union: Die aktuelle Bundesregierung lehnt Waffenexporte in die | |
Ukraine ab, auch weil sie den Konflikt nicht anheizen will. „Eine | |
Aufrüstung der Ukraine würde Russland als Vorwand für eigene Truppen auf | |
der Krim, in der Ostukraine sowie an der russisch-ukrainischen Grenze | |
benutzen“, sagte der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt dem RND. | |
Zumindest einen Tag lang, als unklar war, ob Habeck Defensivwaffen – etwa | |
Panzerabwehrraketen oder Minenräumboote – an die ukrainische Armee liefern | |
würde, überholten die Grünen die Union rechts. Sein Vorstoß wurde in der | |
Partei unterschiedlich eingeschätzt. Ex-Parteichef Cem Özdemir sprang | |
Habeck bei. „Ich kann an Roberts Äußerungen nichts Falsches erkennen“, | |
sagte er der Rhein-Neckar-Zeitung. Russland könne sich nicht einfach | |
völkerrechtswidrig Teile der Ukraine wie ein Filetstück rausschneiden und | |
irgendwann das nächste Land okkupieren. Als Vorsitzender wollte Özdemir | |
seine Partei 2014 zu mehr Offenheit bei Waffenexporten bewegen. Die Kurden | |
im Nordirak, argumentierte er damals, könnten die brutale IS-Miliz nicht | |
„mit der Yogamatte unterm Arm“ besiegen. | |
Andere Grüne ärgerten sich über Habecks Vorstoß. „Schlecht vorbereitet“, | |
„unpräzise ausgedrückt“ und „verstolpert“ sind Analysen, die man in d… | |
Fraktion auch zu hören bekommt. Trittin distanzierte sich, ebenso Katja | |
Keul, die abrüstungspolitische Sprecherin der Fraktion. So viel Dissens war | |
bei den sonst geschlossen auftretenden Grünen seit Monaten nicht mehr zu | |
beobachten. Es war schließlich die Kanzlerkandidatin persönlich, die | |
Habecks vagen Vorstoß glatt zog. | |
Habeck habe eine Unterstützung der unbewaffneten zivilen OSZE-Mission in | |
der Ukraine verlangt, sagte sie am Mittwochabend bei Sandra Maischberger. | |
„Robert Habeck hat heute Morgen ja genau klargestellt, dass es nicht um | |
Defensivwaffen geht, sondern – wie wir auch schon vor Kurzem deutlich | |
gemacht haben – um Munitionsräumung, um die Bergung von verwundeten | |
Personen, Zivilisten, mit gepanzerten Fahrzeugen und auch um die Frage der | |
Unterstützung der OSZE-Mission.“ | |
Gut, dass sie auf die OSZE-Mission hinwies, denn die hatte Habeck, anders | |
als Baerbock behauptete, zuvor mit keinem Wort erwähnt. Hinter ihren Worten | |
konnten sich jedenfalls wieder alle versammeln. Zentral sei, dass die | |
OSZE-Mission ausreichend Material habe, dazu gehörten zum Beispiel zivile | |
Aufklärungsdrohnen, sagte Katja Keul. Auch gegen die Lieferung von | |
Minensuchgeräten bestünden keine Einwände. „Ich bin froh, dass wir die in | |
Partei und Fraktion unumstrittene Position klargestellt haben, keine | |
Kriegswaffen in Kriegsgebiete zu liefern.“ Auch Trittin rüstete ab. „Ich | |
glaube nicht, dass Robert den grünen Diskurs in eine andere Richtung | |
schieben wollte.“ Annalena Baerbock habe zu Recht darauf hingewiesen, dass | |
er die Wünsche der Ukraine – Schnellboote, Panzerabwehrraketen – keineswegs | |
unterstützt habe. | |
Ein Streit auf dem anstehenden Parteitag, der in zwei Wochen das | |
Wahlprogramm beschließen soll, fällt nun wohl aus. Aber wie die Grünen in | |
einer Regierung mit heiklen Fragen umgehen, lässt sich schwer vorhersagen. | |
Wahrscheinlich kommt es auf den Einzelfall an. | |
28 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.atlanticcouncil.org/ | |
[2] https://monde-diplomatique.de/artikel/!5584546 | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=Z_SNAZRKot0 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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