| # taz.de -- Rechte für Geimpfte: Quarantäne als Gratwanderung | |
| > Weil das Heim unter Quarantäne steht, darf ein Sohn seine demente Mutter | |
| > nicht besuchen. Doch die Hamburger Sozialbehörde macht Hoffnung. | |
| Bild: Nicht einfach, der Einsamkeit bei Quarantäne im Altenheim zu entgehen | |
| Hamburg taz | Die Ausgangssituation ist denkbar einfach: ein Sohn möchte | |
| seine an Demenz erkrankte Mutter [1][im Altenheim besuchen]. Aber nichts | |
| ist einfach zu Coronazeiten, wenn der Wohnbereich, in dem die Mutter lebt, | |
| wegen eines Coronafalls unter Quarantäne steht. | |
| Es ist so wenig einfach, dass selbst die Hamburger Sozialbehörde in einer | |
| Stellungnahme zu emotionalen Begriffen wie „besondere Herausforderung“ | |
| greift und von „größeren Anstrengungen seitens des gesamten Umfelds“ | |
| schreibt, die zu leisten seien. Aber wie diese Anstrengungen aussehen | |
| könnten, darüber besteht keine Einigkeit. | |
| Für Matthias Schmidt ist nicht nachvollziehbar, warum er seine Mutter, die | |
| in einem Altenheim der Malteser in Hamburg lebt, nicht besuchen darf: | |
| schließlich sei sie geimpft, ein PCR-Test negativ und jeder Besucher werde | |
| ebenfalls getestet. Zumal er gar nicht darauf besteht, das Altenheim zu | |
| betreten, sondern seine Mutter lediglich nach draußen abholen will. | |
| Dass das Heim versucht, seiner Mutter die Situation möglichst erträglich zu | |
| machen, stellt Schmidt überhaupt nicht in Abrede: eine Pflegerin rief extra | |
| an, um ihm davon zu berichten, dass sie mit seiner Mutter ein Fotoalbum | |
| angesehen hat. Es gab auch Bemühungen, Kontakt herzustellen: so haben | |
| Pflegekräfte die Mutter im Rollstuhl ans Fenster geschoben, damit der Sohn | |
| von außen rufen konnte, und sie haben Telefonate ermöglicht. | |
| ## Die demente Mutter braucht emotionale Zuwendung | |
| Aber: aufgrund der fortgeschrittenen Demenz hätten sie diese Situationen | |
| eher überfordert, schließlich kann seine Mutter schon lange nicht mehr | |
| sprechen. Was sie brauche, sei ein direkter Kontakt, Berührungen, | |
| emotionale Zuwendung. Dass das nicht möglich sei, erscheint ihm „nicht | |
| verhältnismäßig“ und das gesamte Vorgehen „intransparent und auf | |
| „obrigkeitsstaatliche Weise“ durchgeführt. | |
| Die schlechte Kommunikation – das Gesundheitsamt hat den Quarantänebescheid | |
| nicht an Schmidt als Betreuer seiner Mutter sondern an die 94-Jährige | |
| geschickt, er erfuhr formell erst vier Tage nach Beginn von der Isolation – | |
| ist da nur eine Fußnote. | |
| Was sein Anliegen ist, fasst er extra noch einmal in einer E-Mail zusammen: | |
| „Uns geht's darum zu verdeutlichen, wie absurd, widersprüchlich und auf | |
| Kosten welcher Personen die gegenwärtige Rechtslage ist – dass hier in | |
| einem seelenlosen Verwaltungsakt und trotz nachweislichem Impf- und | |
| Teststatus Menschen einfach isoliert und ihnen elementare Rechte verwehrt | |
| werden können.“ Und das in einer Situation, in der alle über | |
| Erleichterungen für Geimpfte sprechen. | |
| ## Die Rechtslage scheint eindeutig | |
| Nun sind sich andererseits sowohl die Malteser als Träger des Altenheims | |
| als auch die Hamburger Sozialbehörde, der das Gesundheitsamt untergeordnet | |
| ist, einig in der Beurteilung der Rechtslage: In der Quarantäne darf, so | |
| die Sozialbehörde „kein Besuch empfangen werden“. Auf Seiten der Malteser | |
| klingt da sogar Bedauern mit: „Wir würden gern mehr ermöglichen“, sagt Ol… | |
| Jabs, die Pressesprecherin der Malteser Wohnen & Pflegen GmbH. | |
| „Generell haben unsere Pflegeeinrichtungen keine Spielräume im Umgang mit | |
| Quarantäneanordnungen, da das Gesundheitsamt darüber entscheidet“, schreibt | |
| sie auf Anfrage der taz. „Die Umsetzung der Quarantäne gestalten | |
| Gesundheitsamt und Einrichtung gemeinsam und wägen dabei stets ab, wie sich | |
| individuelles Bewohnerwohl und Infektionsschutz am besten vereinen lassen“. | |
| Genau diese Abwägung treibt, so wirkt es zumindest, alle um, die mit dem | |
| Thema befasst sind – privat oder beruflich. Denn dass die Isolation sich | |
| negativ auf Menschen mit Demenz auswirkt, die die Situation nicht verstehen | |
| können, ist „unstrittig“, sagt Bernhard Holle vom Vorstand der Deutschen | |
| Gesellschaft für Pflegewissenschaft (DGP). Es sei eine „sehr schwierige | |
| Situation, für die es nicht die eine Lösung gibt“. | |
| Deshalb empfiehlt die DGP in ihrer Leitlinie zur sozialen Teilhabe in der | |
| stationären Altenhilfe unter den Bedingungen der COVID-19-Pandemie: „Die | |
| Dauer und die Ausprägung der Quarantänemaßnahmen sind deshalb vor dem | |
| Hintergrund der Risiken und Nachteile individuell zu bestimmen. | |
| Orientierung für die Einschätzung der Risikoprofile von Verdachtsfällen | |
| bieten die Kriterien des RKI“. | |
| Das RKI wiederum berücksichtigt in seiner aktuellen Empfehlung bereits | |
| Quarantäne-Ausnahmen für Geimpfte – nicht aber für Geimpfte in Altenheimen: | |
| „durch diese“ könne „die Weitergabe von Infektionen auf ungeimpfte Bewoh… | |
| und Bewohnerinnen, ungeimpftes Personal sowie ungeimpfte Besucherinnen und | |
| Besucher erfolgen“. | |
| Aber auch das RKI landet wieder bei den Schwierigkeiten einer Abwägung | |
| zwischen Schutz der Betreuten und MitarbeiterInnen vor einer Infektion | |
| und den „möglichen negativen psychosozialen Auswirkungen“: Dies sei „ger… | |
| auch unter dem Aspekt einer sich ständig wandelnden Situation, eine | |
| schwierige Gratwanderung“. | |
| ## Widerspruch sinnlos | |
| Matthias Schmidt möchte den Verlauf dieser Gratwanderung korrigieren und | |
| hat die Hamburger Rechtsanwältin Babette Tondorf gebeten, die Möglichkeit | |
| eines Widerspruchs oder eines Eilverfahrens gegen die Quarantäne-Anordnung | |
| zu prüfen. Doch dies ist, selbst wenn in der Sache erfolgreich, wenig | |
| hilfreich: „Durch den Zeitablauf hat sich die Quarantäne dann ohnehin | |
| erledigt“. Das wäre auch bei Schmidts Mutter der Fall, deren Quarantäne am | |
| 3. Mai endet. | |
| Erledigt hat sich das Thema dennoch nicht, denn das Ende von | |
| Quarantänemaßnahmen ist bislang nicht in Sicht. Tondorf verweist auf ein – | |
| in dem zugrundeliegenden Einzelfall zwar abschlägiges – aber wegweisendes | |
| Urteil des baden-württembergischen Verwaltungsgerichts zu Ausnahmen für | |
| Geimpfte von infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen. Dort heißt es | |
| ausdrücklich, dass der Verordnungsgeber sofort im Sinne der Freiheitsrechte | |
| der Bewohner:innen handeln muss, sobald belastbare wissenschaftliche | |
| Aussagen zur Übertragung des Corona-Virus durch Geimpfte vorliegen. | |
| Viel näher liegt da die Perspektive, die die Hamburger Sozialbehörde | |
| eröffnet: seit der vergangenen Woche, so schreibt deren Sprecherin Anja | |
| Segert, gebe es auf Grundlage des Beschlusses der | |
| Gesundheitsministerkonferenz „für vollständig geimpfte Bewohnerinnen und | |
| Bewohner von Pflegeeinrichtungen die Möglichkeit, Ausnahmeregelungen zu | |
| treffen und keine Quarantäne zu anzuordnen“. Jeder Einzelfall werde | |
| gesondert durch die Gesundheitsämter betrachtet, das Vorgehen richte sich | |
| unter anderem „nach der Durchimpfungsquote in der jeweiligen Einrichtung | |
| und danach, ob es sich um ein Ausbruchsgeschehen handelt“. | |
| Und noch ein kleiner Lichtblick: „In diesem Zusammenhang möchten wir auch | |
| darauf hinweisen, dass sich die Zahlen der positiv Getesteten in den | |
| Pflegeeinrichtungen auf einem sehr niedrigen Niveau befinden: Aktuell sind | |
| in insgesamt fünf Einrichtungen lediglich fünf Bewohnerinnen und Bewohner | |
| mit dem Coronavirus infiziert. | |
| 2 May 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
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