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# taz.de -- Nach dem Bamf-Skandal: Ermittlung gegen Staatsanwälte
> Während der Ermittlungen gegen die Bremer Bamf-Leiterin hat die
> Staatsanwaltschaft sexistische Gerüchte über sie lanciert. Der Chef war
> mit dabei.
Bild: Ein Ort des Plauderns und Schweigens: In diesem Gebäude sitzt die Bremer…
Bremen taz | Gegen den Leiter der Bremer Staatsanwaltschaft Janhenning Kuhn
wird strafrechtlich ermittelt. Außer ihm werden auch eine
Oberstaatsanwältin, Claudia H., der Dezernent „Johannes F.“, der die
Anklageschrift [1][im Bamf-Verfahren federführend] verfasst hatte, sowie
der Pressesprecher der Ermittlungsbehörde, Frank P. als Beschuldigte
geführt im Verfahren mit dem schönen Aktenzeichen 1 Js 1/21.
Der Schrägstrich wird von Jurist*innen als „aus“ gelesen: Es ist [2][der
erste Fall im Jahr 21], in dem die Generalstaatsanwältin, Kirsten
Graalmann-Scheerer und ihr kleiner Stab ermitteln. Sie hat nämlich Mitte
April von ihrem Devolutionsrecht Gebrauch gemacht – also der im
Gerichtsverfassungsgesetz verankerten Möglichkeit, jeden Fall der ihrer
Aufsicht unterstellten Staatsanwaltschaft [3][an sich zu ziehen.] „Das
überlegt man sich bei 70.000 Verfahren im Jahr sehr gut“, sagt
Graalmann-Scheerer der taz. „Das kommt außerordentlich selten vor.“
Hier aber hatte es sich als notwendig erwiesen. Denn kurz vor dem Auftakt
des Prozesses über die Vorgänge an der Bremer Außenstelle des Bundesamts
für Migration und Flüchtlinge (Bamf) vorm Landgericht Mitte April war
endlich herausgekommen, wer im März 2019 [4][an einem rechtswidrigen
Gespräch mit einem „Zeit online“-Journalisten teilgenommen hatte]. Bei dem
Gespräch war die ehemalige Bremer Bamf-Leiterin Ulrike B. vorverurteilt und
durch ehrenrührige Geschichtchen diffamiert worden. Anonym. Trotzdem wurden
sie dann von „Zeit online“ ohne Gegenprobe in die Welt geblasen und von
Agenturen, Verlaufsmedien und Qualitätspresse ebenso ungeprüft
vervielfältigt. Dass der „Zeit online“-Journalist so bedingungslos seiner
Quelle traute, ist nachvollziehbar: Kuhn höchstselbst, der Leitende
Oberstaatsanwalt, also Chef der Ermittlungsbehörde, war damals mit von der
Partie gewesen.
## Unzulässig vorverurteilt
Diffamiert ist hier der bessere, weil rechtlich weichere Ausdruck: Ob es
sich um [5][Verleumdung] – Paragraf 187 des Strafgesetzbuchs – oder um die
Verletzung von Privatgeheimnissen nach Paragraf 203 gehandelt hat, müssen
die Ermittlungen ja noch klären. „Das wird alles umfassend geprüft“, stel…
Graalmann-Scheerer klar. „In jeder in Betracht kommenden Hinsicht.“ Auch
bleibt zu untersuchen, ob Kuhn seine Finger im Spiel hatte, als das erste
Ermittlungsverfahren gegen die schwatzhaften Staatsanwälte im Dezember 2019
eingestellt worden war – sang-, klang- und komplett ergebnislos.
Als weisungsbefugter Chef der Staatsanwaltschaft kann Kuhn den Umfang der
Recherchen seiner Dezernent*innen steuern und auch ihr Ende erzwingen.
Zwar muss sich auch ein Staatsanwalt nicht selbst belasten. Wer allerdings
verhindert, [6][dass ein anderer für seine Missetaten durch die Justiz
belangt wird], macht sich strafbar. „Die strafrechtlichen Ermittlungen sind
massiv verschleppt worden“, so der Vorwurf von Ulrike B.’s Anwalt Johannes
Eisenberg.
Seine Beschwerde gegen die Einstellung immerhin war erfolgreich gewesen. In
der Folge war erneut die von Kuhn geleitete Staatsanwaltschaft dazu
verdonnert, nach Schuldigen in ihren eigenen Reihen zu suchen. Denn dass
bei dem seltsamen Gespräch aktiv Recht gebrochen wurde, ist unstrittig: Das
hatte das Verwaltungsgericht Bremen schon im Mai 2019 erkannt, als es in
der Sache von Ulrike B.'s Anwalt angerufen worden war. „Die Äußerungen
überschreiten die Grenzen staatsanwaltlicher Äußerungsbefugnisse gegenüber
der Presse“, heißt es im Beschluss vom 7. Mai 2019. Die Staatsanwaltschaft
hat ihn nicht angefochten. Das heißt, sie hat eingesehen, dass die darin
getroffenen Feststellungen zutreffen.
Mit ihren Äußerungen hatten die beteiligten Staatsanwälte laut
Verwaltungsgericht „unzulässig in die Privatsphäre“ von Ulrike B.
eingegriffen und sie unzulässig vorverurteilt. So hatten sie dem
Journalisten gegenüber geprahlt, über „zahlreiche Beweise für eine
kriminell kollusive Zusammenarbeit“ zu verfügen und von einer unabwendbaren
Haftstrafe geraunt. Insgesamt ging es beim Gespräch laut Verwaltungsgericht
darum, „ein ehrenrühriges Bild“ von Ulrike B. zu entwerfen. Demzufolge
hätte sie ihre Amtspflichten verletzt, „um einem der beteiligten Anwälte zu
gefallen, ohne dass er ihre Zuneigung erwiderte.“
Der plumpe Sexismus dieser Story macht noch immer sprachlos. „Diese
Veröffentlichung war noch einmal wie ein Tritt in den Unterleib“, hatte
Anwalt Eisenberg am 16. April am ersten Verhandlungstag des Prozesses gegen
Ulrike B. an den unsäglichen Vorgang erinnert. Von Gefängnis war da selbst
seitens der Anklage gar nicht mehr die Rede. Gar keine Strafe hat das
Gericht am Ende verhängt. Eingestellt worden ist das Verfahren, [7][gegen
eine empfindliche Geldbuße]. Das ist der Preis, den Ulrike B. hat zahlen
müssen, um jetzt endlich ihr beamtenrechtliches Verfahren vorantreiben zu
können. Und in Ruhe gelassen zu werden.
## Erst plaudern, dann schweigen
Richtig ein bisschen sauer wird der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft
Bremen, Frank P. „Dazu werden Sie hier keinen vors Mikrofon kriegen“,
raunzt er auf die Bitte, einen Kontakt zum Leiter der Ermittlungsbehörde
Janhenning Kuhn herzustellen. Oder selbst was zu sagen, schließlich ist er
ja auch ein Verdächtiger. Nicht mal ein Hintergrundgespräch, [8][ein ganz
vertrauliches?]
Frank P. lässt den Anrufer kaum ausreden: „Das Verfahren liegt allein bei
der Generalstaatsanwältin“, motzt er, und das stimmt. Aber es geht ja nicht
um den Stand des Verfahrens. Im Journalismus ist es guter Brauch, auch
diejenigen zu befragen, denen vorgeworfen wird, strafbare Handlungen
vollzogen zu haben – wie eben ihm, Claudia H., dem Dezernenten mit
tragischem Namen, und ihrem Chef, Oberstaatsanwalt Janhenning Kuhn. Was
trieb ihn dazu, die Grenzen seiner Äußerungsbefugnisse so schmählich zu
verletzen? Bereut er es heute? Hat er ein Unrechtsbewusstsein entwickelt
und Besserung gelobt? Aber da ist close shop. Logisch: Nichts zu sagen, ist
die schlaueste Verteidigung. Wie sollen denn die einzelnen Zitate im „Zeit
online“-Artikel den einzelnen Beteiligten zugeordnet werden? Und jeder darf
schließlich nur für das bestraft werden, was er selbst getan oder
unterlassen hat. Aber hätte der Behördenleiter nicht die ganze Chose
jederzeit stoppen können?
Noch [9][enthält sich die Justizsenatorin] einer politischen Bewertung des
peinlichen Vorgangs. „Wir werden laufende Ermittlungen nicht kommentieren“,
versichert ihr Sprecher Matthias Koch. Beurlaubt wird keiner der
Beschuldigten. Da haben sie es objektiv [10][besser als Ulrike B., die seit
drei Jahren nicht arbeiten darf] – obwohl bei ihr niemand einen Rechtsbruch
festgestellt hat. Generalstaatsanwältin Graalmann-Scheerer rechnet mit
einem Ergebnis der Ermittlungen „hoffentlich noch diesen Sommer“, wie sie
der taz erklärt.
3 May 2021
## LINKS
[1] /Bremer-Bamf-Prozess/!5762191
[2] https://www.generalstaatsanwaltschaft.bremen.de/ueber_die_behoerde/aufgaben…
[3] https://www.gesetze-im-internet.de/gvg/__145.html
[4] https://www.verwaltungsgericht.bremen.de/entscheidungen/detail.php?gsid=bre…
[5] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__187.html
[6] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__258.html
[7] https://www.betterplace.me/solidaritaet-mit-ulrike-b
[8] /Pressefreiheit/!5111257
[9] https://www.justiz.bremen.de/das_ressort/senatorin_dr__claudia_schilling-12…
[10] /Bremer-Bamf-Prozess/!5763392
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
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