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# taz.de -- Belarussische Grenzkontrollen: Atmet man im Ausland freier?
> Über Belarussen, die in ihr Land einreisen, werden Protokolle
> angefertigt. Olga Deksnis erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge
> 84.
Bild: Sie suchen nach verbotener Literatur: Maschine der belarussischen Flugges…
Ich hatte Belarus seit Beginn der Pandemie vor knapp anderthalb Jahren
nicht mehr verlassen. Aber jetzt bin ich kürzlich für ein Öko-Training in
die Ukraine geflogen. Ich hatte eine Einladung der Gastgeber dabei, einen
negativen Coronatest und eine Auslandskrankenversicherung. Es war trotzdem
ein bisschen beängstigend, denn bei Facebook waren schon Einträge zu lesen
über spezielle Durchsuchungen von Belarussen an der Grenze.
„Was sagt man zu den Leuten, die zurück in die Heimat fliegen?“, schreibt
der belarussische Journalist Taras auf seiner Facebookseite. „‚Herzlich
willkommen‘ oder etwas ähnlich Gastfreundliches. Aber wenn Du Belarusse
bist, noch dazu wenn du schon einmal [1][nach Paragraph 23.34 verurteilt
wurdest] (der Paragraph eines Gesetzes, das Verstöße gegen die öffentliche
Ordnung oder die Durchführung von Massenaktionen sanktioniert; Anm. d.
Redaktion), dann hörst du sicherlich, wie sie extra noch einen
Flughafenmitarbeiter rufen, der dich in einen abgetrennten Bereich bringt
und dort untersucht.
Sie suchen nach verbotener Literatur, durchwühlen einen Stapel dreckiger
Unterhosen und zählen dein Geld nach. Also, sie machen daraus einen
richtigen Untersuchungsakt – und dann gehe hin in Frieden. Welcome to
Belarus, du ‚Krimineller‘.“
Eine andere belarussische Journalistin, Olga, ist [2][per Bus aus Vilnius
nach Minsk gekommen.] Während der Passkontrolle hat ein Mitarbeiter der
Grenzbehörde, der ihren (belarussischen) Pass sah, sie gebeten, den Bus zu
verlassen.
„Mein Mann und ich sind aus Litauen gekommen“, erzählt Olga. „Ich war
bereits 2019 verhaftet worden, das ist also schon ziemlich lange her. Darum
ist es schwierig zu sagen, nach welchen Kriterien sie die Leute auswählen.
Mich haben sie um drei Uhr nachts aus dem Bus geholt, das hat alle
gestresst: die Passagiere, den Busfahrer und die Grenzbeamten. Sie haben
meine persönlichen Sachen durchsucht, mich selbst haben sie nicht
angefasst. So, wie ich das verstanden habe, suchen sie Geld. Am besten hat
man das in der Hosentasche und nicht im Reisegepäck und – für wen das
relevant ist – nicht mehr als 1.000 Dollar. Im Allgemeinen machen sie ein
Protokoll und lassen dich laufen. Das dauert ungefähr eine halbe Stunde. Es
ist für alle Beteiligten unangenehm.“
Während meines Ukraineaufenthaltes ergab sich folgendes Gespräch:
„Sag mal, Olja“, fragte mich meine Kollegin Jana, mit der ich morgens im
Park der ukrainischen Stadt Riwne saß und Kaffee trank, „hattest Du beim
Grenzübertritt das Gefühl, dass Du in die Freiheit kommst? Bei mir war das
so. Mir wurde ganz leicht ums Herz. So, als ob ich aus dem Gefängnis käme.
Und nicht, als ob ich das Land verließe.“
„Ja, genau so ein Gefühl hatte ich auch: Freiheit“, sagte ich zu meiner
Kollegin. [3][„Ich konnte plötzlich besser atmen.] Also, so kommt es mir
zumindest vor“.
Bei diesem Gespräch war auch der Redakteur Pascha dabei, der im Dezember
2020 aus Minsk ins ukrainische Lwiw gezogen war. Er hat eine
Aufenthaltsgenehmigung für ein Jahr, weil er Journalist ist, und hofft,
dass er nach Ablauf seines Visums wieder nach Belarus zurückkehren kann.
„Ich bin zu keiner der Protestveranstaltungen gegangen“, sagte Pascha.
„Aber in den ersten Tagen der Proteste hab ich maximal drei Stunden
geschlafen, weil wir dauernd die Nachrichten aktualisieren mussten. Ich bin
hierher gekommen, wo es ruhiger ist, ich will keine Steuern zahlen, mit
denen ich die derzeitige Wirtschaft in Belarus unterstützen würde. Aber ich
hoffe, dass ich im Dezember zurück kann und Lukaschenko dann nicht mehr im
Amt sein wird.“
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
19 May 2021
## LINKS
[1] /Absurdes-Gerichtsurteil-in-Belarus/!5714988
[2] /Sicherheit-in-Belarus/!5748127
[3] /Repressionen-in-Belarus/!5758673
[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/
## AUTOREN
Olga Deksnis
## TAGS
Belarus
Protest
Kolumne Notizen aus Belarus
Minsk
Alexander Lukaschenko
Schwerpunkt Krisenherd Belarus
Belarus
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