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# taz.de -- Angriffe auf migrantische Restaurants: Im Visier
> Migrantische und jüdische Restaurants stehen immer wieder im Fokus
> rassistischer und antisemitischer Attacken. Nun organisieren sich
> Betroffene.
Bild: 18. Oktober 2018: Ali Tulasoglu fotografiert die zerstörten Räume seine…
Ismet Tekin hat überlebt. Der 37-Jährige blickt mit großem Schmerz auf die
vergangenen Monate: „Was wir erlebt haben, wünsche ich niemandem.“ Tekin
betreibt zusammen mit seinem Bruder den Kiez-Döner in Halle. Nachdem ein
Rechtsterrorist im Oktober 2019 damit gescheitert war, in eine Synagoge
einzudringen und die Gläubigen dort zu ermorden, ging er wenige Schritte
weiter zum Kiez-Döner. Dort erschoss er Kevin S., der zufällig im Laden
war. Andere anwesende Kund*innen und Ismet Tekin konnten in letzter
Sekunde flüchten.
Sein Bruder konnte sich hinter der Theke in Sicherheit bringen. Ismet Tekin
sagt, dass sich sein Bruder bis heute nicht lange im Laden aufhalten könne.
Das Trauma verfolge ihn Tag und Nacht.
Mehmet Turgut wurde vom NSU am 25. Februar 2004 ermordet. Zufällig hatte er
in einem Rostocker Dönerimbiss an dem Tag die Schicht eines Freundes
übernommen. Wenige Monate später detonierte in der Kölner Keupstraße eine
Nagelbombe. Zweiundzwanzig Menschen wurden verletzt.
Die Keupstraße ist für ihre Vielzahl türkischer und kurdischer Gaststätten
bekannt. İsmail Yaşar wurde am 9. Juni 2005 vom NSU in seinem Dönerladen in
Nürnberg regelrecht hingerichtet. In einem später entdeckten
NSU-Propaganda-Video taucht ein fiktives Plakat auf: „Heute Aktion
Dönerspieß.“ Zu sehen sind die Opfer des NSU, in der perfiden Fotomontage
durchbohren Spieße ihre Köpfe.
## Keine Erhebungen, keine Statistiken
Das Attentat von Halle und der NSU-Komplex zeigen beispielhaft, dass
migrantische und als „anders“ gelesene Imbisse und Restaurants im Visier
von Rechtsterroristen sind. Das Problem ist aber größer als diese beiden
prominenten Fälle rechtsextremer Gewalt.
Vorweg: Angriffe und Anfeindungen gegen diese Kleinunternehmer*innen
in der Gastronomiebranche werden in Deutschland nicht systematisch erhoben.
Es existieren zu diesem Problem keine Statistiken, und so gut wie niemand
forscht dazu. Doch ein Blick in die Pressearchive lässt die Dimension
dieser Forschungslücke deutlich werden:
[1][Ende September 2015] überfielen vier Neonazis einen Imbiss im
bayrischen Ebersberg. Sie schlugen zwei afghanischstämmige Männer mit
Baseballschlägern krankenhausreif, versuchten sie mit Messern abzustechen.
## Alltag zwischen Rassismus und Gewalt
[2][Im November 2017] wurde Andreas Hollstein, Bürgermeister der
sauerländischen Stadt Altena, von einem Rechtsextremisten mit einem Messer
angegriffen und schwer verletzt. Was in der Debatte danach unterging: Das
Attentat fand in einem Dönerladen statt, die Imbissmitarbeiter retteten mit
ihrem beherzten Eingreifen dem Lokalpolitiker damals das Leben.
[3][Im Juni 2019] drehte ein mutmaßlicher Rechtsextremist völlig am Rad. Er
bewarf zunächst eine Moschee, später einen Dönerimbiss im sächsischen Cotta
mit Steinen.
So sieht der Alltag für viele Imbiss- und Restaurantbetreiber*innen
in ganz Deutschland aus. Denn diese Aufzählung könnte man noch einige
Seiten lang fortsetzen. Im Archiv tauchen viele Formen von Vandalismus,
Gewalt und Rassismus auf: rechtsradikale Mobs, auf Ladenschilder
geschmierte Hakenkreuze, Imbissbetreiber*innen, die Todesdrohungen
erhalten, demolierte Buden, Pflastersteine und Molotowcocktails, die durch
Glasscheiben fliegen, Neonazis, die Mitarbeiter*innen bespucken, bis
hin zu Schussattacken, Brandstiftungen und eben auch von langer Hand
geplante Anschläge.
## Deutscher Neid und Missgunst
In Chemnitz gab es beispielsweise vor und nach den Hetzjagden auf
migrantisierte Menschen und Geflüchtete im Jahr 2018 eine Anschlagsserie
auf Restaurants, die nicht in das rassistische Weltbild von Neonazis
passen. Zuerst traf es das koschere Restaurant Schalom. Drei vermummte
Rechtsextremisten schlugen [4][im August 2018] auf den jüdischen Wirt ein
und beleidigten ihn antisemitisch. Zwei Monate später stürmte ein Nazi-Trio
in dunkler Motorradkleidung und Helmen [5][das persische Restaurant Safran]
am Chemnitzer Schlossteich. Die Täter demolierten das Inventar und griffen
den Besitzer an. [6][Ebenfalls im Oktober 2018] setzten Unbekannte
(Hinweise deuten auf rechtsextreme Motive, der Fall wurde bis heute nicht
aufgeklärt) das türkische Restaurant Mangal von Ali Tulasoglu in Brand.
Die Künstlerin und Aktivistin Ülkü Süngün aus Stuttgart hat die
Verarbeitung dieser Gewalt und das Empowerment der Betroffenen ins Zentrum
ihrer Arbeit gestellt. „Seit den sogenannten Dönermorden und dem
rassistischen Framing des NSU-Terrors durch Politik, Behörden und Medien
bin ich nicht mehr der gleiche Mensch“, sagt Süngün. Die 50-Jährige sieht
einen klaren Fokus von Nazistrukturen in ganz Deutschland auf Gaststätten,
die von Angehörigen von Minderheiten betrieben werden. Warum aber nur
triggern diese Orte die rechtsradikale Gewalt?
Süngün ist sich sicher, dass die Antwort im Zusammenspiel von Rassismus,
Klassismus und Kapitalismus liege. „Diese Restaurants und Imbisse
symbolisieren die Emanzipation von so vielen Migrant*innen. Sie haben sich,
teilweise als ehemalige Gastarbeiter*innen, von Jobs befreit, in denen
sie von weißen Deutschen drangsaliert wurden. Sie haben sich eigene
Existenzen aufgebaut, bei denen sie selbst die Chefs sind“, sagt Süngün.
Und der teils große wirtschaftliche Erfolg dieser Unternehmer*innen
ärgere halt viele Menschen innerhalb der Mehrheitsgesellschaft, einige
radikalisierte Rechte sähen dann einen Anlass, dagegen gewalttätig
vorzugehen.
Der Historiker Götz Aly hat den deutschen Neid analysiert als Teil der
antisemitischen Durchtränkung der deutschen Gesellschaft. Zu den
traditionellen, seit dem frühen Christentum und über das Mittelalter
gewachsenen Formen des Antisemitismus gesellten sich Missgunst gegenüber
Jüdinnen*Juden, d[7][ie sich im Zuge ihrer Emanzipation im 18. und 19.
Jahrhundert in Wissenschaft, Wirtschaft und eben auch als erfolgreiche
Unternehmer*innen hochgearbeitet hatten]. „Sobald die
Zurückgebliebenen aufholen, wächst der Neid, weil die besseren
gesellschaftlichen Positionen auch für sie erreichbar werden“, schreibt
Aly.
Seine Analyse bespricht ganz andere Kontexte, die in das
Menschheitsverbrechen der Shoah münden, sie bezieht sich allerdings
explizit auf die Missgunst in radikalisierten, arisch-deutschen und
christonormativen Kasten. Eine Missgunst, die auch bei der Gewalt gegen
migrantisierte Unternehmer*innen eine Rolle spielen könnte. Und das
obwohl ihre Arbeit sehr oft klassistisch herabgewürdigt wird. Für diese
Minderheiten ist selbst dieses stigmatisierte Unternehmertum nicht
vorgesehen.
## Raum für Austausch
Ülkü Süngün rief auch deswegen vor wenigen Wochen [8][den ersten
bundesweiten „Döner-Kongress“] ins Leben. Sie versucht den Betroffenen in
diesen – coronabedingt digitalen – Räumen die Möglichkeit zu geben, sich
auszusprechen. Zum Kongress eingeladen waren Ismet Tekin aus Halle und Ali
Tulasoglu aus Chemnitz.
Tulasoglu erinnerte sich bei seinem Input an die ersten Jahre nach der
Wende, als er im Osten Deutschlands die Menschen mit kulinarischer
Abwechslung glücklich gemacht habe. „Bis 1998 haben Rechtsradikale jedoch
mindestens vier- bis fünfmal unsere Scheiben im Laden kaputt gemacht“,
sagte er. Sein Bruder und ein anderer Mitarbeiter seines Ladens seien
zusammengeschlagen worden. „Das ging einher mit unserem unternehmerischen
Erfolg.“ Der NSU, weiß er heute, residierte damals nur wenige Kilometer von
seinem Restaurant entfernt. Die Bedrohung habe sich mit der Zeit gewandelt.
Während in den Neunzigerjahren die Nazis ausschließlich in Mobs und Montur
vorbeikamen, seien es heute teilweise seine eigenen Kunden, die pöbeln und
zuschlagen würden. Sie säßen tagsüber bei ihm im Restaurant und würden
seine Kochkünste genießen, abends schlügen sie den Laden kaputt oder
beleidigten die Mitarbeitenden rassistisch vor dem Lokal.
Neben türkischen, kurdischen oder arabischen Restaurants sind auch
thailändische, vietnamesische oder chinesische Gaststätten betroffen.
[9][Als asiatisch gelesene Menschen waren und sind diese
Unternehmer*innen in Deutschland ebenfalls Anfeindungen ausgesetzt.]
Unter ihnen sind aus Sicherheitsgründen nur wenige gesprächsbereit.
## Kein Schutz durch Sicherheitsbehörden
Über den Verein Korientation melden sich einige Betroffene, darunter eine
Person, die aus Vorsicht anonym bleiben möchte. Sie berichtet von Angriffen
auf das chinesische Restaurant ihrer Eltern, in dem sie lange mitgearbeitet
habe. In einem baden-württembergischen Dorf sei ihre Familie extremen
Anfeindungen und Pöbeleien ausgesetzt gewesen.
Zunächst sei das Restaurantschild entwendet und in den Fluss geschmissen,
später die Menütafel vor dem Restaurant mit den Worten „Katzenfleisch mit
Curry“ beschmiert worden. Ein rassistisches Stereotyp gegen asiatisch
gelesene Menschen. Später sollen Steine durch die Fensterscheibe geflogen
und Blumenkästen umgeworfen worden sein. Die Botschaft der hiesigen
Rechtsextremisten: In unserem Dorf darf es nur deutsches Essen geben.
Es fängt oft mit solchen Anfeindungen an und endet nicht selten mit
lebensgefährlichen oder sogar tödlichen Angriffen auf die Betreiber*innen.
Von den Sicherheitsbehörden und der Politik, so berichten mehrere
Betroffene, komme kein substanzieller Beistand oder Schutz. Wie kann man
diese Unternehmer*innen also unterstützen? [10][Ülkü Süngün formuliert
es so] „Ihnen gute Nachbar*innen sein: aufmerksam sein, sich für Sorgen
und Nöte interessieren und sie dafür achten, was sie tagein, tagaus
leisten.“
18 May 2021
## LINKS
[1] https://www.merkur.de/lokales/ebersberg/neo-nazi-ueberfall-ebersberg-nichts…
[2] https://www.mz.de/amp/deutschland-und-welt/politik/altena-im-sauerland-mess…
[3] https://www.saechsische.de/steine-angriff-gegen-doenerladen-5079447.html
[4] https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/chemnitz/chemnitz-stollberg/anklage-…
[5] https://www.spiegel.de/panorama/justiz/chemnitz-angriff-auf-persisches-rest…
[6] https://www.dw.com/de/brandanschlag-auf-t%C3%BCrkisches-restaurant-in-chemn…
[7] /Wie-sich-die-Deutschen-sehen/!5762755
[8] https://radiocorax.de/erster-bundesdeutscher-antirassistischer-doenerimbiss…
[9] /Coronavirus-und-Rassismus/!5662444
[10] https://www.kontextwochenzeitung.de/kultur/382/aktenschreddern-als-happeni…
## AUTOREN
Mohamed Amjahid
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Antisemitismus
Schwerpunkt Rechter Terror
GNS
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
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Versicherung
Chemnitz
Kolumne Die Nafrichten
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rassismus
Lesestück Recherche und Reportage
Antisemitismus
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