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# taz.de -- Salons in Berlin: Safe Space Salon
> Salons gehörten und gehören immer noch zum kulturellen Leben in Berlin –
> und bieten heute mehr denn je Gelegenheit zu ungewöhnlichen Begegnungen.
Bild: Literatursalon in der Lettrétage in Berlin-Kreuzberg
Zum 25. Salon ging es tatsächlich um Rahel Varnhagen: Der „Erste
Internationale Neuköllner Debattier- und Kultursalon“ feierte damit Mitte
2001 das erste kleine Jubiläum. „Die Salonbesucher haben uns einen Vortrag
über Varnhagens Leben und ihre Salons geschenkt“, erinnert sich Martina
Rummel. „Und die Vortragende meinte am Ende, dass wir uns durchaus in diese
Tradition einreihen können. Das war für uns eine großes Lob.“
Inzwischen hat Rummel zu mehr als 250 Salons eingeladen. Etwa einmal im
Monat finden sich dazu Freunde, Freunde von Freunden, Bekannte und deren
Bekannte im Wohnzimmer der 66-Jährigen ein: ein heller Raum mit breiten,
selbst abgeschliffenen Holzdielen in einer verwinkelten Altbauwohnung im
Neuköllner Norden, große Pflanzen an den Fenstern, daneben ein Flügel. In
der Wohnung habe früher eine neunköpfige Familie gelebt, erzählt Rummel.
Eine der Töchter – inzwischen 104 Jahre alt – wohne direkt in der
Nachbarschaft und sei eine regelmäßige Salonbesucherin. „Ab 50 Personen
wird es eng“, sagt Rummel. In der Regel sind es um 20 Gäste, nicht alle
kennt sie persönlich. „Die Leute kommen auch für die Geselligkeit, um
Bekannte zu treffen oder neue Menschen kennenzulernen“, sagt sie.
Wer sich umhört in Berlin, stößt auf viele solcher Salons. Es sind Treffen
mit unterschiedlichen Schwerpunkten, aber immer mit dem Anspruch, mehr
Austausch und Kontakt zu ermöglichen als bei einem gewöhnlichen Vortrag –
und das auch über gesellschaftliche Grenzen hinweg. Eine Freundin erzählt
von einer Gruppe Frauen im Wedding, die sich seit 15 Jahren regelmäßig
gegenseitig in ihren Wohnzimmern besuchen, um voneinander zu lernen und
sich zu unterstützen. Bei den Poetic-Hafla-Abenden, die in einem Wohnzimmer
starteten und über verschiedene Bars inzwischen in der Kreuzberger
Lettrétage angekommen sind, lesen und performen Künstler*innen in ihren
Originalsprachen, etwa auf Arabisch und Hebräisch. Beim Feinkost-Salon der
linken Bezirkspolitikerin Juliane Witt kommen Frauen aus der Wirtschaft,
der Wissenschaft oder der Politik zum Austausch mit Frauen aus
Marzahn-Hellersdorf zusammen. In den Erzählsalons der Germanistin, Autorin
und Verlegerin Katrin Rohnstock sprechen Menschen über ihren Alltag in
Prenzlauer Berg, persönliche Erfahrungen in der Wendezeit oder berichten,
wie sie eine existenzielle Krise gemeistert haben. In den Salons geht es um
Austausch und Geselligkeit. Es sind Räume, in denen die
Teilnehmer*innen sich ausprobieren können.
Auch Rummel, von Beruf Organisationspsychologin, knüpft an das an, was ihre
Besucher*innen an persönlichen Erfahrungen mitbringen: Anders als bei
dem Vortrag über Rahel Varnhagen kommt in ihre Neuköllner Salons in der
Regel niemand von außen, sondern jemand aus der Runde erzählt über eigene
Interessen oder stellt eine Arbeit vor. Einmal habe ein Dolmetscher, der
Goethes Faust komplett auswendig konnte, den – damals noch existierenden –
Palast der Republik als Faust-Themenpark vorgestellt und auf Rückfragen aus
dem Publikum einzig mit Faust-Zitaten geantwortet, erinnert sie sich.
Häufig gibt es an den Salonabenden auch Konzerte, da Rummel regelmäßig
Zimmer an Musiker untervermietet, die bei ihr dann eine Generalprobe
spielen.
An anderen Abenden geht es um die Hospizbewegung, die Bibel,
Eisenbahnsicherheit oder Bertolt Brecht. Ein Zimmermann erklärt, wie man
einen Dachstuhl baut, zwei junge Geflüchtete erzählen von der Situation in
Syrien, eine Kennerin berichtet von Island, Feen und Trollen und zeigt dazu
Bilder, eine Freundin erklärt die Aufnahme von Pflegekindern. „Das Schöne
ist gerade, dass das keine perfekten Vorträge sein müssen, sondern dass
auch Leute etwas erzählen, die sonst nicht darin geübt sind, sich und ihre
Arbeit oder Interessen vor einem Publikum zu präsentieren“, sagt Rummel.
„Die Salons sind für mich wirklich die beste Fortbildungsreihe, die ich je
hatte.“
Die Idee zu den Salons war Rummel im Jahr 1998 gekommen – durch einen
Spiegel-Artikel über Neukölln. „Der war richtig abschätzig und hat den
Stadtteil in ganz negatives Licht getaucht“, sagt sie. „Dem wollten mein
Mann und ich etwas entgegensetzen“, und dabei hätten sie sich zudem einfach
gut unterhalten wollen. An den ersten vier Abenden habe sie noch Themen
gesetzt, seitdem ergäben sich diese von Mal zu Mal selbst. Wer etwas
erzählen oder aufführen möchte und so den Salon gestalten möchte, ist darin
ganz frei. Rummel will ihren Gästen zumuten, sich auf Ungewohntes
einzulassen und zuzuhören: „Die Gäste tauschen sich auch untereinander aus,
die Gespräche erhalten so eine andere Qualität.“ Die Einladung verschickt
sie über den inzwischen ziemlich langen Mailverteiler, in den sich alle,
die einmal da waren, eintragen können. „Mein Salon ist aber nicht
öffentlich“, sagt sie. „Ich muss nicht alle kennen, aber ich will
nachvollziehen, wer kommt und woher die Leute kommen.“
Nicht nur in Wohnzimmern oder bei halbprivaten Treffen, auch in der Kultur
ist die Salonidee in Berlin lebendig: Etwa, wenn Veranstalter*innen
ihre Konzerte, Lesungen, Kunstprojekte als „Salons“ ankündigen. Auch
Michael Rosen nennt seine Konzertreihe „Kiezsalon“ und will den Austausch
zwischen seinen Gästen. Einmal im Monat lädt Rosen dazu zwei bis drei
Musik-Acts in die Musikbrauerei im Prenzlauer Berg ein. Die Salons mache
er, weil er auf Konzerten etwas vermisst habe, so Rosen: „Orte, an denen
Musik stattfindet, laden meist nicht zum Verweilen ein. Man hört sich dort
die Musik an und zieht danach weiter in eine Bar. Ich wollte etwas machen,
wo die Leute dableiben.“
Seine Reihe ist beliebt, die Abende meist schnell ausverkauft, oft stehen
viele Menschen auf der Warteliste. Trotzdem bleibt er bei rund 150 bis 200
Gästen – eine begrenzte Zahl von Teilnehmer*innen ist für Rosen eine
Voraussetzung dafür, dass seine Konzerte als Salons funktionieren. „Den
großen Raum lasse ich meist erst öffnen, wenn das Konzert beginnt“, sagt
er. „Dadurch stehen die Leute am Anfang beisammen und können reden.“ Dazu
kommt, dass er an den Abenden ausgewählte Weine ausschenkt. „Ich stelle
nicht nur das Programm zusammen, sondern in gewisser Hinsicht auch meine
Gäste“, sagt Rosen. „80 Prozent der Leute, die kommen, kenne ich
persönlich. Ich will mir für jeden Zeit nehmen und jeden begrüßen.“
Auch durch die Struktur der Abende will er den Austausch begünstigen. Er
bittet die Musiker*innen, maximal eine halbe Stunde zu spielen –
ungewöhnlich für einen Konzertabend, und für einige Künstler*innen auch
eine Herausforderung, auf die sie sich erst mal einstellen müssen. „Etwa
ein Drittel meiner Gäste kommt wegen des Salons, nicht wegen der Musik“,
meint Rosen. „Mein Format kann man gut aushalten, es ist eine perfekte
Zeitspanne, um sich auch neue, unbekannte Musik anzuhören.“ Daher habe er
auch ein sehr konzentriertes Publikum. „Die Leute wissen, dass sie sich
danach wieder frei bewegen und unterhalten können.“ Er lädt außerdem immer
zwei Acts zusammen ein, die sich in ihrer Musik stark unterscheiden.
„Dadurch ist das Publikum unterschiedlich zusammengesetzt“, sagt er. „Es
ist schön zu sehen, wie sich dann Fans von einer Musikrichtung mit anderen
mischen.“
Nicht jeder kommt hinein, aber für die, die einmal drin sind, eröffnen
Salons neue Kontakte und Erkenntnisse. Bei Rahel Varnhagen trafen Dichter,
Wissenschaftler und Prinzen aufeinander, sie konnten in ihrem Salon freier
miteinander reden und umgehen, als das sonst gesellschaftlich üblich war.
Die Berliner Salons jener Zeit waren damit auch Orte, von denen aus das
Bürgertum seine gesellschaftliche Position und seinen Einfluss ausbaute.
Auch in den heutigen Salons geschehen Begegnungen, die außerhalb nicht ohne
Weiteres möglich wären. Können aktuelle Salons damit vielleicht auch Safer
Spaces sein, also Räume, in denen sich insbesondere marginalisierte
Menschen freier bewegen können und weniger Diskriminierung und Rassismus
ausgesetzt sind als im Alltag in der Dominanzgesellschaft?
Juliana Kolberg und Iris Rajanayagam vom Verein Xart Splitta sehen ihre
Angebote – Lese- und Diskussionsrunden, Zeitzeug*innengesprächen,
Workshops – durchaus in der Tradition von Salons. Sie wollen Safer Spaces
schaffen und dazu beitragen, diskriminierende Strukturen und
Ungleichheitssysteme zu analysieren und Ideen für Interventionen und
Widerstand entwickeln. Und es geht für sie noch über den Austausch hinaus.
„Es geht uns auch darum, gemeinsam Wissen zu produzieren“, sagen sie. „Wir
wollen unsere Teilnehmer*innen darin bestärken, ihre Erfahrungen als
wertvolles Wissen anzuerkennen, und zeigen, dass dieses Wissen auch legitim
ist, selbst wenn es außerhalb von Universitäten oder anderen klassischen
Orten der Wissensproduktion entsteht.“
Um das zu erreichen, versuchen sie, nicht zu viel vorzugeben. Und sie
wählen aus: So fordern sie mögliche Teilnehmer*innen auch mal dazu auf,
in einem Motivationsschreiben zu begründen, warum sie bei einem Treffen
oder Lesekreis mitmachen wollen, um so Gruppen zusammenstellen zu können.
Dass es solche geschützten Räume gibt, finden sie wichtig. „Einen guten
Raum zu haben, das ist schon ganz viel, da reicht es manchmal auch,
zusammenzukommen und zu gucken, was jede*jeder an Anliegen mitbringt
und was passiert“, sagt Kolberg. Die Unterstützung untereinander kann
Stimmen stärken, sodass sie auch außerhalb des Salons, draußen in der
Gesellschaft, gehört werden.
Aber nicht nur im kulturellen Bereich, auch in der Politik und
Stadtentwicklung lässt sich die Idee der Salons in Berlin wiederfinden.
Denn grob betrachtet ist ein Grundsatz der Salons die Beteiligung des
Publikums. Und bei Beteiligungsformaten wie etwa dem Berliner Stadtforum,
bei dem die zuständige Senatsverwaltung Fragen der Stadtentwicklung
erörtert, setzen sich Planer*innen an einen Tisch mit denen, die mit
ihren Beschlüssen leben müssen. Agenturen oder Verwaltungen arbeiten daran,
dass es wirklich zu einem Austausch kommt. Auch diese Formate greifen so
Grundideen eines Salons auf.
In der Kunst und Kultur gibt es nicht nur einzelne Abende oder
Veranstaltungsreihen, die als Salon im Stadtmagazin oder
Veranstaltungskalender auftauchen. Mit der Lettrétage etwa, die sich selbst
als „Ankerinstitution für die freie Literaturszene“ versteht, hat Berlin
einen ganzen Veranstaltungsort, der die Salonidee in den Mittelpunkt
stellt. Zwar möchte der Leiter und Mitbegründer Tom Bresemann den Gruppen
und Personen, deren Lesungen, Performances oder Kulturabenden er Platz
einräumt, keine großen Vorschriften machen. Aber die Idee, dass
Veranstaltungen möglichst nah am Publikum sind, unterstützt der Ort schon
dadurch, dass es keine richtige Bühne gibt.
Bresemann interessiert sich vor allem für Veranstaltungen, die verschiedene
Literatur- und Kunstszenen zusammendenken. „Ich glaube, das kann ich als
Veranstalter befördern, ich kann eine Struktur pflegen, die der Idee des
Salons entspricht“, sagt er. Was das praktisch bedeutet? „Es kann bedeuten,
dass nicht so deutlich abgetrennt ist, wann das Programm anfängt und wann
es aufhört. Oder dass sich am Anfang jede Person im Publikum kurz
vorstellt. So etwas haben wir schon probiert, und das befördert extrem den
Austausch, die Leute kommen ins Gespräch“, sagt er.
Und es helfe auch Diversität im Programm. Das bestätigt Isobel Markus, die
in der Lettrétage für ihre Reihe „Berliner Salonage“ ganz unterschiedliche
Künstler*innen einlädt und dabei bewusst Literatur, Performance,
Musik, Lyrik und bildende Kunst mischt. „Die Künstler*innen bringen oft
Leute aus dem eigenen Umfeld mit, daher haben wir dann auch ganz
unterschiedliche Leute im Publikum, auch Menschen, die vielleicht
normalerweise gar nicht zu einer Lesung kommen würden“, sagt sie. „Und da
äußert sich dann jemand ganz ergriffen von einem Gedicht, der vorher gar
nicht wusste, dass ihn das interessiert.“
Auf der Seite des Publikums passen Salons auch deshalb so gut nach Berlin,
weil in der großen Stadt ein anderes Bedürfnis dafür da sei, Menschen
kennenzulernen, meint Isobel Markus. Auch das möchte sie ermöglichen. Auf
der Seite der Künstler*innen will Markus in ihrem Salon jungen, noch
unbekannteren Stimmen den Raum geben, sich vor Publikum auszuprobieren.
„Besonders schön ist es, wenn eine Prosa-Autorin im Salon dann mal etwas
ganz anderes von sich zeigt und Lyrik vorträgt“, sagt sie. „Gerade dafür
ist der direkte Kontakt mit dem Publikum wertvoll.“ Auch Markus setzt einen
Rahmen: Wer bei ihr auftritt, hat rund 15 Minuten Zeit, nach jedem Auftritt
moderiert sie das Gespräch mit dem*der Künstler*in und richtet dabei
auch Fragen ans Publikum. Bei 60 bis 80 Besucher*innen komme ein guter
Austausch zustande. „Ich habe mir anfangs gar nicht ausmalen können, dass
es tatsächlich so gut funktioniert“, sagt sie.
Wie stark die Form von außen vorgegeben ist, hängt in den verschiedenen
Berliner Salonformaten wohl auch davon ab, ob sich Menschen regelmäßig
treffen oder ob eine Gruppe für einen Abend zusammenfinden muss. Martina
Rummel vom Neuköllner Debattiersalon jedenfalls macht sich darüber, wie der
Austausch passiert, nicht so viele Gedanken. „Wir sitzen ja nah beieinander
im Wohnzimmer, und wer kommt, ist offen, da entsteht sowieso eine
Unterhaltung“, sagt sie. „Ich finde auch nicht, dass die Gäste mit
irgendwelchen Methoden ‚beteiligt‘ werden müssen.“ Ihre Gäste seien sog…
froh, dass es keine Rollenspiele oder Vorstellungsrunden gebe.
Rummel selbst freut sich, wenn sie andere animieren kann, die Salonidee
aufzugreifen. Ihr eigener Salon habe jedenfalls schon Ableger, denn
Freundinnen lüden inzwischen zu ähnlichen Abenden ein. „Ich habe Platz und
einen Flügel. Das begünstigt die Treffen“, sagt Rummel. „Aber einen Salon
kann eigentlich jeder machen.“
15 May 2021
## AUTOREN
Uta Schleiermacher
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