| # taz.de -- Brandanschläge auf linkes Wohnprojekt: Angriffsziel Wohnhaus | |
| > Im Projekt Jagowstraße des Mietshäusersyndikats brennt es zum zweiten Mal | |
| > innerhalb weniger Tagen. Vieles spricht dafür, dass Neonazis am Werk | |
| > sind. | |
| Bild: Verkohlter Hausflur im Hausprojekt Jagowstraße | |
| Berlin taz | Zuerst wurden nur die antirassistischen Sticker und Poster mit | |
| der Aufschrift „Kein Platz für Rassismus“ von der Tür des linken | |
| Hausprojekts in der Spandauer Jagowstraße abgerissen. Ende Januar sprühte | |
| jemand mit goldener Schrift „Arbeit macht frei“ an das Ladenfenster. | |
| Derselbe goldene Schriftzug fand sich ein paar Tage später darauf auch in | |
| der Hofdurchfahrt wieder. | |
| In der Nacht zum vorletzten Freitag brannte es dann zum ersten Mal. Morgens | |
| um 3 Uhr stand plötzlich der Hausflur in Flammen. Zwei dort stehende Sofas | |
| und ein Tisch wurden angezündet, Hitze und Rauch zogen über das Treppenhaus | |
| bis in die Wohnungen des gesamten Vorderhauses. | |
| Der Schock war noch nicht verdaut, da brannte es schon wieder. Diesen | |
| Sonntagabend gegen halb elf schlugen plötzlich Flammen aus zwei alten | |
| Fahrzeugen, die im Hof unter einem hölzernen Carport abgestellt waren. Laut | |
| Polizeimeldung konnten die Löschversuche der Mieter*innen das Feuer | |
| nicht eindämmen; erst der Feuerwehr gelang es, den Brand zu löschen. Beide | |
| Autos, der Unterstand und ein angrenzender Schuppen wurden zerstört. Ein | |
| von dem Hausprojekt auf Twitter verbreitetes Bild zeigt, wie die Flammen | |
| die halbe Hauswand hochschlugen. Die einzig positive Nachricht: Verletzt | |
| wurde dieses Mal niemand. | |
| Gut eine Woche zuvor war das noch anders. Ein 21-Jähriger, der mit Kind und | |
| seiner Frau direkt über dem Hauseingang lebt und vom ersten Brand aus dem | |
| Schlaf gerissen wurde, verletzte sich bei dem Versuch, sich und seine | |
| Familie über eine Leiter in Sicherheit zu bringen. Er stürzte aus dem | |
| ersten Stock und zog sich eine leichte Verletzung am Fuß zu. Zudem erlitten | |
| er und eine weitere Bewohnerin Rauchvergiftungen. Beide wurden ins | |
| Krankenhaus eingeliefert. | |
| Dabei hätte es sogar noch schlimmer kommen können. Nur weil | |
| Bewohner*innen einer WG im Vorderhaus noch wach waren und diese Wohnung | |
| als einzige einen weiteren Ausgang zum Seitenflügel besitzt, gelang es | |
| ihnen rechtzeitig, den Brandherd zu erreichen und ihn zu löschen. Der | |
| danach rußschwarze Hausflur mit dem unter dem Putz freigelegten verkohlten | |
| Mauerwerk zeigten: Lange hätte es nicht mehr gedauert, bis das Vorderhaus | |
| in Flammen gestanden hätte. | |
| ## Staatsschutz ermittelt | |
| Der zweite Brandanschlag innerhalb von zehn Tagen nährt den Verdacht, dass | |
| es sich um gezielte, vermeintlich rechtsextreme Anschläge handelt. Die | |
| Polizei teilte in ihrer Meldung vom Montag mit, dass der Polizeiliche | |
| Staatsschutz die Ermittlungen übernommen habe, da „eine politisch | |
| motivierte Brandstiftung zum derzeitigen Stand der Ermittlungen nicht | |
| ausgeschlossen werden kann“. Vor einer guten Woche hatte die Polizei die | |
| Schmierereien mit „rechtsextremistischer Konnotation“ bestätigt. Es gebe | |
| aber keine Hinweise auf Täter*innen. Die Ermittlungen würden mit Blick auf | |
| Zusammenhänge zwischen den Schmierereien und dem Brand geführt. | |
| Die taz sprach am vergangenen Freitag mit Jona, einer der | |
| Bewohner*innen des Hauses. Noch vor dem neuerlichen Anschlag sagte sie: | |
| „Wir sind alle ziemlich mitgenommen.“ Der Kampf um die immer wieder | |
| zerstörten und wieder neu angebrachten Poster und die Nazisprüche an der | |
| Hausfassade hätten sie beunruhigt, mit einem Brandanschlag habe keiner | |
| gerechnet, sagt Jona. „Wir vermuten, dass Neonazis den Hausflur angezündet | |
| haben.“ Weitere Indizien dafür fanden sich kurz darauf: „Zwei Tage nach dem | |
| mutmaßlichen Anschlag war wieder die goldene Sprühfarbe im ganzen Kiez zu | |
| sehen. Wieder sind Poster übersprüht worden“, sagt Jona. | |
| Das Haus im Ortsteil Hakenfelde gehört zum Mietshäusersyndikatat, mit deren | |
| Hilfe sich Bewohner*innenvereine Häuser kaufen und dauerhaft dem | |
| Markt entziehen. „In Spandau sind wir schon bekannt“, sagt Jona, „schon | |
| früher hat hier die Alternative Liste getagt.“ Sie sagt: „Natürlich ist es | |
| das Ziel solcher Anschläge, einzuschüchtern und den Safe Space von Menschen | |
| unsicher zu machen, aber wir lassen uns unsere Schutzräume nicht nehmen.“ | |
| Nach dem Schock hätten die vielen Solidaritätsbekundungen enorm geholfen: | |
| „Wir bleiben kämpferisch und lassen uns nicht einschüchtern und sprechen | |
| wiederum unsere Solidarität allen Betroffenen von rechter Gewalt aus.“ | |
| Etwa 30 Menschen wohnen in der Jagow15, wie sich die Hausgemeinschaft | |
| nennt. Es sei ein offener Ort, die Haustür habe immer offen gestanden, sagt | |
| Jona. Die Gruppe sei eine schöne Mischung aus Jung und Alt, alle hätten | |
| ihre eigene Kultur und Art zu leben. Zum Selbstschutz „haben wir | |
| mittlerweile eine Nachtschicht eingerichtet und behalten die Haustür im | |
| Blick“, sagt Jona. Auch das aber konnte den neuerlichen Brand nicht | |
| verhindern. | |
| ## Vermehrte Naziaktivitäten | |
| In einer am Freitag [1][veröffentlichten Mitteilung] sprach das Hausprojekt | |
| von zuletzt auffällig angestiegenen rechten Aktivitäten im Kiez und | |
| Konflikten mit Neonazis. Einzelne Bewohner*innen seien „außerhalb des | |
| Hauses bedroht und körperlich angegriffen“ worden. Anfang des Jahres hätten | |
| einige von ihnen eine „Auseinandersetzung“ mit der vermeintlichen | |
| Vorsitzenden der Neonazipartei „3. Weg“ in Spandau gehabt. Diese ist auch | |
| schon mit [2][Sebastian Thom] gesichtet worden, Hauptverdächtiger der | |
| [3][rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln]. Auch dort kam es immer | |
| wieder zu Brandanschlägen auf linke Orte oder Autos politischer | |
| Gegner*innen. Thom hat nach seiner NPD-Zeit nun ebenfalls beim „3. Weg“ | |
| eine neue Heimat gefunden. | |
| Laut Auswertung des [4][Registers zur Erfassung rechtsextremer und | |
| diskriminierender Vorfälle] war Spandau 2020 der Bezirk mit den wenigsten | |
| rechtsextremen Vorfällen. Das Register listet 98 Fälle, mehrheitlich | |
| Propagandadelikte. Diese seien „auf verstärkte Aktivität der | |
| neonazistischen Kleinstpartei Der 3. Weg“ zurückzuführen. Auffällig war der | |
| starke Anstieg von neonazistischen Angriffen. Nach neun Vorfällen im | |
| Vorjahr gab es 2020 bereits 20 Attacken, die höchste erfasste Zahl seit | |
| Beginn der Aufzeichnung 2014. | |
| Das Haus hat sich mittlerweile dafür entschieden, die Öffentlichkeit zu | |
| suchen. Seit wenigen Tagen hat es einen eigenen Twitter-Account – und es | |
| erfährt viel Solidarität aus der Szene. Es gibt viel Zuspruch, | |
| Solidaritätsbilder. Eine spontan angekündigte Demonstration vor dem Haus am | |
| Montagabend baten die Bewohner*innen zu verschieben. In ihrer | |
| Mitteilung schrieben sie: „Auch wenn wir das einzige linke Hausprojekt in | |
| Spandau sind, wir sind nicht allein. Wir lassen uns von Angriffen dieser | |
| Art nicht einschüchtern.“ | |
| 19 Apr 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://twitter.com/SJagow15/status/1383033921097584650?s=20 | |
| [2] /Rechtsextreme-Anschlagsserie-in-Neukoelln/!5743773 | |
| [3] /Rechter-Terror-in-Berlin-Neukoelln/!t5612550 | |
| [4] /Diskriminierung-in-Berlin/!5758346 | |
| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
| Erik Peter | |
| ## TAGS | |
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| Schwerpunkt Rassismus | |
| Schwerpunkt Neonazis | |
| Rechter Terror in Berlin-Neukölln | |
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