# taz.de -- „The Underground Railroad“ auf Amazon: Flucht aus der Sklavenh�… | |
> Colson Whiteheads Bestseller„The Underground Railroad“ wurde für Amazon | |
> als Serie verfilmt. Es nähert sich dem bis heute nicht verarbeiteten | |
> Trauma. | |
Bild: Als Buch schon ein Bestseller: Jetzt liegt „The Underground Railroad“… | |
Die Underground Railroad, das sollte man an dieser Stelle gleich zu Beginn | |
noch einmal erwähnen, trug ihren Namen bloß rhetorisch. Tatsächlich verbarg | |
sich hinter dem Begriff ein von Gegnern der Sklaverei betriebenes und im | |
Geheimen operierendes Schleusernetzwerk, das in der ersten Hälfte des 19. | |
Jahrhunderts rund [1][100.000 fliehenden Sklaven aus den amerikanischen | |
Südstaaten] in den sicheren Norden und teilweise bis nach Kanada zu bringen | |
vermochte. | |
Wenn sich nun in der Serie „The Underground Railroad“ – genau wie in Cols… | |
Whiteheads mit dem Pulitzer Prize ausgezeichneten Roman, auf dem sie | |
basiert – tatsächlich ein echtes Eisenbahnnetzwerk unterirdisch mit | |
endlosen Tunneln und Schienen über die Südstaaten erstreckt, dann haben wir | |
es hier also mit alternativer Geschichtsschreibung zu tun. Und doch könnte | |
der Blick von [2][Oscar-Gewinner Barry Jenkins], der alle zehn Episoden als | |
Regisseur und Showrunner verantwortet, auf die Ungeheuerlichkeit der | |
Sklaverei kaum realer und wahrhaftiger sein. | |
Im Zentrum der Geschichte steht die junge Cora (Thuso Mbedu), die – | |
irgendwann in den Jahren vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg – auf einer | |
Baumwollplantage von ihrer Mutter zurückgelassen wurde. Trotz der | |
Grausamkeit, die sie tagein, tagaus mit ansehen und nicht zuletzt am | |
eigenen Leib erfahren muss, ist sie zunächst zögerlich, als ihr Caesar | |
(Aaron Pierre) von der Underground Railroad erzählt. | |
Doch weil der Sadismus des neuen Plantagenbesitzers (Benjamin Walker), der | |
seine Sklav*innen nicht nur behandelt wie Vieh, sondern sogar persönlich | |
überwacht, dass genug Nachwuchs gezeugt wird, keine Grenzen zu kennen | |
scheint, lässt sie sich schließlich zur Flucht bewegen. | |
## Das Trauma der Sklaverei | |
Schnurgerade in die Freiheit verläuft ihr Weg nicht; wo immer Cora ankommt, | |
warten auch jenseits der Sklaverei Brutalität und Gefahren auf sie. In | |
South Carolina wird ihr zwar das Lesen beigebracht, doch im Museum müssen | |
die Schwarzen die Unterdrückung, der sie gerade entkommen sind, nachspielen | |
und sich Eugenik-Experimenten unterziehen. | |
In North Carolina sind Schwarze gleich gar nicht erst erlaubt und werden an | |
den Bäumen am Wegrand aufgehängt. In Tennessee brennen die Felder, als | |
Vorboten des nahenden Krieges, während sich Indiana als Utopie (oder doch | |
eher Illusion?) inklusive von freien Schwarzen betriebener Farmen | |
präsentiert. Und stets sind ihr der Sklavenjäger Ridgeway (Joel Edgerton) | |
und sein elfjähriger Schwarzer Handlanger Homer (Chase W. Dillon) auf den | |
Fersen. | |
Jenkins orientiert sich an der episodischen Struktur von Whiteheads Roman, | |
die sich bestens eignet für ein serielles Erzählen, doch er nimmt sich auch | |
Freiheiten heraus, nicht nur gegenüber der Vorlage, sondern auch was die | |
Länge der einzelnen Folgen angeht. Die meisten sind über eine Stunde lang, | |
doch es gibt auch ein 20-minütiges Intermezzo, das sich einer Nebenfigur | |
widmet, die bei Whitehead gar nicht vorkam. Die Serie in einem Rutsch zu | |
bingen, ist möglich, aber nicht empfehlenswert: Zu dicht ist die Erzählung, | |
zu atemberaubend die Bildgestaltung (Kamera, wie immer bei Jenkins: James | |
Laxton), als das man nicht jede Folge nachwirken lassen will. Und zu | |
unerträglich ist immer wieder das Gezeigte. | |
Gerade weil er ein leicht verzerrtes Spiegelbild der US-amerikanischen | |
Geschichte präsentiert, wird Jenkins’ Blick besonders klar und | |
eindringlich. Letzteres zeigt sich eindrucksvoll auch in einem begleitenden | |
Kurzfilm mit dem Titel „The Gaze“, den Jenkins auf der Plattform Vimeo | |
präsentiert. Wortlos setzt er uns dort dem Blick all jener (von Statisten | |
verkörperten) Menschen aus, deren Geschichten in der Serie nicht erzählt | |
werden und doch untrennbar damit verknüpft sind. | |
[3][Dem bis heute nicht verarbeiteten Trauma der Sklaverei] kommt „The | |
Underground Railroad“ – übrigens auch durch herausragende | |
Schauspielleistungen – mit seiner Konzentration auf die Gesichter und den | |
mitunter unerwarteten narrativen Aufbau näher als es selbst einem Film wie | |
„12 Years a Slave“ gelungen ist. Und ist dabei spannender und entsetzlicher | |
als dezidierte Horrorserien wie „Them“ oder „Lovecraft Country“, die den | |
menschenverachtenden Umgang mit Schwarzen Menschen in den USA vor allem als | |
Genre-Elemente zu nutzen schienen. | |
14 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Patrick Heidmann | |
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