| # taz.de -- Performance über Männer und Sicherheit: Arbeiten mit der Angst | |
| > Die Kunstaktion „Security“ fragt mit Männern aus der Sicherheitsbranche, | |
| > wie Männlichkeitsbilder, Sicherheit und prekäre Arbeit zusammenhängen. | |
| Bild: Choreografie zwischen Härte und Zartheit: die vier Performer in „Secur… | |
| Hamburg taz | Nichts ist sicher, irgendwo lauert die Bedrohung, jede | |
| Situation kann entgleiten. Sicherheit steht immer zur Disposition, immer | |
| besteht Dringlichkeit: Sichern ist Handeln in einer Gegenwart mit bedrohter | |
| Zukunft; [1][wer sichert], muss sich ein Bild von der Bedrohungslage | |
| machen, nach Zeichen suchen, wo Handlungsbedarf entsteht. | |
| Und so sucht auch die Kamera in [2][Christopher Ramms Performance | |
| „Security“], die noch bis Samstag als Stream zu sehen ist, erst mal langsam | |
| einen dunklen Raum ab. Eine stilisierte Tiefgarage hat Bühnenbildnerin | |
| [3][Carolina Burandt] gebaut: weiße Linien für Parkflächen, flackernde | |
| Straßenlaternen an der Wand, ein Gebilde aus Betonquadern am Rand, ein Auto | |
| steht herum. | |
| Dazu erklingt eine bedrohliche Soundkulisse, hier ein Knistern, da ein | |
| Knacken, sirrender Strom. Ein muskulöser Mann steht da mit ausdrucksloser | |
| Türsteher-Miene, neben ihm auf dem Boden: Liegt da ein Mensch? Und dieses | |
| Geräusch, zuerst klingt es wie entferntes Hundegebell, dann eher wie | |
| Schluchzen, dann wie ein Stöhnen. | |
| In einem Auto sitzt ein zweiter Kerl. „Security“ steht auf seiner Mütze, | |
| das kleine Autodeckenlicht erleuchtet auch bei ihm einen ausdruckslosen | |
| Blick nach draußen. Und ja, dort liegt einer auf dem Boden. Bewegt sich | |
| noch, die Beine, dreht sich leicht. Aber sonst: kaum Bewegung, nur diese | |
| fast ereignislose Spannung. | |
| Immer müsse man – in diesem Fall ganz ausdrücklich fast immer: Mann – eine | |
| Spannung aufrecht erhalten, hatte einer der Sicherheitsmänner dem | |
| [4][Performer, Regisseur und Soundkünstler Ramm] in den vorbereitenden | |
| Interviews erzählt. Die Regel sei „halt die Langeweile, das Stehen, die | |
| Tristheit“, steht dort noch: „Dass man irgendeinen Punkt anstarrt und da | |
| sitzt als Nachtbewachung, Objektbewachung im Container oder so was.“ | |
| Präsenz zeigen, Sicherheit performen. | |
| Am Freitag hatte das Stück Premiere, das „ein mehrdimensionales Bild von | |
| Beschützern und deren Verletzlichkeit“ zeichnen und „nach einer | |
| nicht-toxischen Performanz von Sicherheit“ suchen soll. Vier Performer hat | |
| Ramm dafür zusammengebracht: Zwei von ihnen, Michael Albrecht und Michael | |
| Bachmann, arbeiten in der Sicherheitsbranche, zwei sind Künstler: Gustav | |
| Janata beschäftigt sich mit Körperlichkeiten und Beziehungsgeflechten. Und | |
| [5][René Ritterbusch] ist Theaterwissenschaftler und Performer, unter | |
| anderem am Theater Osnabrück. | |
| ## Sicherheit performt | |
| Nach gut fünf Minuten kommt Bewegung ins Spiel. Der Mann aus dem Auto | |
| steigt aus und es wird klar: Der Mann auf dem Boden ächzt, weil er Sit-ups | |
| macht. Dann stehen sie wieder, nebeneinander, angespannter Körper, einer | |
| hockt und schaut ins Handy. Einer sucht den Raum mit der Taschenlampe ab. | |
| Im Auto läuft [6][„Wonderful Life“ von Black], bittersüße Melancholie. E… | |
| paar Minuten geht es so weiter: vorsichtiges Absuchen, Marsch in Formation, | |
| gegenseitiges Abtasten, einer wird abgeführt. Eine Arbeit über | |
| Männlichkeitsbilder und Männlichkeiten in der Krise soll es sein. Aber was | |
| ist das für eine Krise, in der diese gestandenen Männer da stecken? | |
| Zunächst einmal eine der prekären Arbeit, der sozialen Entsicherung – die | |
| Kehrseite einer zunehmenden Versicherheitlichung von immer mehr | |
| Lebensbereichen. Seit den 1990er-Jahren ist die [7][Zahl der | |
| Sicherheitsdienstleister in Deutschland rapide angestiegen]. Gab es 1990 | |
| noch rund 900 Unternehmen, waren es 2010 schon über 5.100. In den | |
| vergangenen Jahren ist die Zahl nicht mehr so stark gestiegen, dafür der | |
| Umsatz: Über neun Milliarden Euro haben private Sicherheitsdienste 2020 mit | |
| einer guten Viertelmillion Mitarbeiter:innen umgesetzt. | |
| Von dem Geld, das mit dem Herumstehen und Bewachen verdient wird, | |
| [8][bekommen die Männer selbst wenig]. In der untersten Lohngruppe gibt es | |
| meist nicht viel mehr als den Mindestlohn, dazu kommen branchentypische | |
| Zulagen für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit. „10,55 die Stunde, brutto, | |
| mit Glück mit Objektzulagen“, sagt eine Stimme aus dem Off, dann kämen 50 | |
| Cent dazu, auch mal ein Euro. Nachts Zwölf-Stunden-Schichten, tagsüber | |
| schlafen, keine Zeit für soziale Beziehungen. | |
| Andere erzählen aus dem Off vom Unverständnis und der Ablehnung derer, die | |
| doch den Schutz genießen sollen: „Die stehen doch nur herum“, dächten die | |
| meisten, dass Sicherheitsleute ihnen „auf den Sack gehen“. Jeder wolle sich | |
| sicher fühlen, aber bezahlen wolle dafür niemand. | |
| ## Harte und zarte Gesten | |
| Dann wieder eine Choreografie, ruppiger diesmal, mit Tritten gegen das | |
| Auto, gegenseitigem Anspringen und Miteinanderringen. Und plötzlich: ein | |
| erschöpfter Blick, ein Aneinanderfesthalten, umarmt, dazu zarte Töne. Im | |
| Auto eine Unterhaltung übers Eisessen, „schön mit Schokoladensoße drüber�… | |
| Draußen stützt einer den anderen, legt ihn sanft auf den Boden. | |
| Aber die Ruhe währt nicht lange: kreischende Reifen, Nebel, zuckendes | |
| Licht, Schattenboxen und -verklopptwerden, Geräusche wie vom Durchladen von | |
| Waffen, ein Techno-Soundtrack wie aus einem Ballerspiel. Und überhaupt: | |
| Immer vielschichtiger begleitet Christopher Ramms beeindruckende Musik- und | |
| Klangmelange die immer tänzerischer und ambivalenter zwischen harten und | |
| zarten Gesten wandelnde Choreografie von [9][Carolin Jüngst]: düster und | |
| dystopisch wirkt all das, immer diese Spannung aus kaputter Elektronik, | |
| Klirren und Kreischen hier, ein bisschen „Blade Runner“ dort, mal schroff | |
| und laut, dann wieder zart und still. | |
| „Sah ganz schön powermäßig aus das Ganze, oder?“, richtet sich schließl… | |
| einer der vier Performer ans Publikum. „Aber keine Angst, hier war alles | |
| sicher.“ Und er zeigt, wie es gemacht wurde, die Nebelmaschine, das Auto, | |
| „hier ist alles sicher“, alles geprüft und brandsicher, „keine Angst“.… | |
| setzt er sich zu den drei anderen auf dem Boden in einen Kreis. | |
| Und nun bekommen die Männer auch auf der Bühne Namen und eine Geschichte, | |
| werden sympathisch. Und sie sprechen aus, was ihnen selbst Angst macht: | |
| Kalorien in Nachos, Schlangen, Fußgeruch zum Beispiel; dass sie ihren Text | |
| vergessen, dass sie morgen heiser sind oder dass es den Zuschauer:innen | |
| vielleicht gar nicht gefallen haben könnte. | |
| Aber ein anderer beschwichtigt: Nein, keine Angst! Ich finde, wir haben | |
| gute Arbeit geleistet heute Abend. Und da hat er Recht. So viel ist sicher. | |
| 11 May 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Security/!t5053628 | |
| [2] https://www.kampnagel.de/de/programm/security/ | |
| [3] http://www.carolinaburandt.de/ | |
| [4] http://girl-to-guerilla.de | |
| [5] /!5469772/ | |
| [6] https://www.youtube.com/watch?v=u1ZoHfJZACA | |
| [7] https://www.bdsw.de/images/statistiksatz/Statistiksatz_BDSW_BDGW_BDLS_06_05… | |
| [8] /Bedingungen-in-der-Sicherheitsbranche/!5642187 | |
| [9] /Feministische-Performance-in-Hamburg/!5644527 | |
| ## AUTOREN | |
| Robert Matthies | |
| ## TAGS | |
| Security | |
| Performance | |
| Männer | |
| Männlichkeit | |
| Kampnagel | |
| Sicherheit | |
| Sicherheitsdienst | |
| Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg | |
| Security | |
| Jugendhilfe | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Performance „Das Revier“ in Hamburg: Sorry für die Polizeigewalt | |
| Die Gruppe SV Szlachta lädt auf dem Hamburger Hansaplatz in die | |
| Installation „Revier“. In Workshops werden Vergehen der Polizei | |
| aufgearbeitet. | |
| Blaue Linie auf der Uniform: Schmaler Grat zum rechten Rand | |
| Hamburg beschäftigt eine private Security-Firma, deren | |
| Mitarbeiter*innen martialisch auftreten und ein bei US-Rechten | |
| beliebtes Symbol nutzen. | |
| Missstände in der Hamburger Jugendhilfe: Hilferuf der Helfer | |
| Mitarbeiter aus Hamburger Jugendhilfeeinrichtungen beklagen „desaströse | |
| Zustände“. Unter anderem würden wieder mehr private Wachleute eingesetzt. | |
| Krise der Veranstaltungsbranche: Die im Dunkeln | |
| Nicht nur für Künstler:innen ist der neue Teil-Lockdown schwer: | |
| Techniker:innen, Booker:innen, Barpersonal und Security stehen vor dem | |
| Nichts. |