| # taz.de -- Anthropologe über schwulen Fußball: „Es gibt einen anderen Wert… | |
| > Der Kulturanthropologe Stefan Heissenberger hat über schwulen Fußball | |
| > geforscht. Ein Gespräch über Freiheiten und den Druck der | |
| > Mehrheitsgesellschaft. | |
| Bild: Ganz selbstverständlich schwuler Fußball: die Gay Games 2010 in Köln | |
| taz: Sie haben mehrere Jahre beim größtenteils schwulen Fußballteam von | |
| Vorspiel SSL geforscht. Sie schreiben: Die größten Widerstände bei der | |
| Gründung waren innerhalb der schwulen Community. Es gab Kritik am Heten- | |
| und Machosport Fußball, an der Spießigkeit des Vereins, an Leistungskultur. | |
| Haben sich schwule Klubs verändert? | |
| Stefan Heissenberger: Ein Spieler, der von Anfang der Neunziger bis heute | |
| mit dabei gewesen ist, hat das mal lapidar ausgedrückt: „Heute ist alles | |
| normaler geworden.“ Homosexuelle Handlungen sind durch die Abschaffung von | |
| Paragraf 175 nicht mehr verboten, es gibt die Ehe für alle. Früher ging es | |
| mehr um politische Aktion, heute will man einfach mit anderen Schwulen | |
| Fußball spielen. | |
| Hätte es denn Chancen auf eine andere schwule Sportkultur gegeben? | |
| Es gibt hier durchaus einen anderen Wertekanon. Queere Sportvereine wollen | |
| immer mehr sein als herkömmliche Sportklubs. Leistungskult wird hinterfragt | |
| und Solidarität großgeschrieben. Man will einen sicheren Raum für jene | |
| bieten, die sich im Mainstreamfußball nicht beheimatet fühlen. Aktuell | |
| engagieren sich die Verantwortlichen von Vorspiel beim Thema Trans. | |
| Gleichzeitig spielen sogenannte Heten mit, und vieles, was man aus dem | |
| Mainstreamfußball kennt, gibt es eins zu eins in schwul geprägten Teams. | |
| Dieses Spannungsfeld zwischen sogenannter Normalität und Anderssein fand | |
| ich sehr spannend. Sie erzählen zum Beispiel, dass man es nicht gern sah, | |
| wenn tuntige Spieler Interviews gaben. Wie sehr übt die | |
| Mehrheitsgesellschaft Druck aus? | |
| Es gibt innerhalb des Teams mehr Spielräume, was Männlichkeit betrifft. | |
| Aber in der Außenwahrnehmung will man doch, dass die Realität so abgebildet | |
| wird, wie sie mehrheitlich im Team ist, nämlich heterolike. Und die | |
| gesellschaftlich stigmatisierte Figur der Tunte gilt als | |
| Anerkennungshemmnis. Das ist aber generell eine Konfliktlinie innerhalb der | |
| schwulen Community. | |
| Warum eigentlich ist der Männerfußball [1][so homophob]? | |
| Generell sei gesagt, dass wir in einer homophoben Gesellschaft leben. Im | |
| Männerfußball, wie in allen Männerbünden, tritt dies verstärkt auf. | |
| Gleichzeitig gibt es aber sehr viel Körpernähe, küssende und sich umarmende | |
| Männer beim Torjubel zum Beispiel. Das funktioniert nur, wenn man davon | |
| ausgeht, dass alle Beteiligten heterosexuell sind. Schwule stören diese | |
| Ordnung. Als ich bei meiner Forschung bei österreichischen Amateurteams | |
| Spieler gefragt habe, wie sie auf ein Coming-out eines Mitspielers | |
| reagieren würden, haben alle das Gleiche geantwortet: Ich hätte kein | |
| Problem damit, aber alle anderen schon. | |
| Unterschätzt man also einander? Oder zeigt das gerade, wie stark die | |
| Vorurteile sind? | |
| Ich würde sagen, beides. Es zeigt zum einen, dass die Fußballer gar nicht | |
| wissen, was ihre Mitspieler über dieses Thema denken. Es gibt bei | |
| Coming-outs im Amateurfußball mehr positive Geschichten, als der | |
| öffentliche Diskurs hergibt. Aber es gibt auch Coming-outs, die für die | |
| betreffenden Spieler schlimm verlaufen sind. Es ist ein differenziertes | |
| Bild, das die Presse aber oft nicht abbildet. Es gibt wirklich | |
| Journalisten, die bei Vorspiel Anfragen stellen: Hallo, könnt ihr uns bitte | |
| jemanden mit einer furchtbaren Geschichte als Ansprechpartner geben? Wenn | |
| man eine differenziertere Darstellung möchte, sagen die: Nee, dann suchen | |
| wir uns wen anders. Journalist*innen müssen ihren Leser*innen | |
| Ambivalenzen zumuten. | |
| Haben Sie eigentlich Ärger bekommen, weil Sie über das Thema schreiben, | |
| obwohl Sie nicht schwul sind? | |
| Das ist gerade vor dem Hintergrund von Identitätsdebatten durchaus | |
| interessant. Ich bin vom Team nicht nach meiner sexuellen Identität gefragt | |
| worden. Als ich eine Partnerin hatte, wurde ich für die anderen zur Hete. | |
| Es ist aber nie die Frage aufgetaucht, ob ich als Hete über Schwule | |
| schreiben darf. Das sagt viel über die handelnden Akteure, die zu solchen | |
| Dingen einen pragmatischen Zugang haben. Unser Anknüpfungspunkt war, dass | |
| ich Fußballer war. | |
| Sie haben von einer häufigen Ablehnung von Lesben durch einige schwule | |
| Spieler geschrieben. Warum? | |
| Diese Konflikte gab es vor allem in den neunziger Jahren stärker. Es ist | |
| aber auch eine Konkurrenz um Männlichkeit. Fußball stellt für viele der | |
| beforschten Männer einen entlastenden Raum dar. Wo man nicht politisch | |
| korrekt sein muss, derber und „männlicher“ sein kann. Das wird von | |
| lesbischen Frauen durchaus und zu Recht infrage gestellt. Dadurch kann es | |
| dann zu Reibungen kommen. | |
| Wird Fußball [2][als Reservat der Männlichkeit] denn aufgeweicht? | |
| In kleinen Schritten. Wenn ich überlege, welche krass homophoben Äußerungen | |
| es Anfang der Zweitausender von Trainern in der Öffentlichkeit gegeben hat, | |
| die würden heute sofort sanktioniert werden. Eine neue Generation von | |
| Fußballern ist anders aufgewachsen. Und es gibt aus der Zivilgesellschaft | |
| sehr viele Initiativen, das ist ein ganz wesentlicher Faktor. Fußball ist | |
| kein progressiver Treiber, aber er kann sich auch nicht komplett abkapseln. | |
| 10 Apr 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Kommentar-Homophobie-im-Fussball/!5591935 | |
| [2] /Der-harte-Kampf-Mann-gegen-Mann-ist-hetero/!1501953/ | |
| ## AUTOREN | |
| Alina Schwermer | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt LGBTQIA | |
| Schwul | |
| Schwul-lesbischer Fußball | |
| Fußball | |
| Homophobie | |
| Schwerpunkt Fußball-EM 2024 | |
| Kolumne Frühsport | |
| American Pie | |
| Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| EM-Stadion in Regenbogenfarben: Wer im Glasstadion sitzt | |
| Das grelle Wehklagen nach der Uefa-Entscheidung zum Regenbogen ist | |
| verlogen. Im deutschen Fußball ist es kaum besser. Deswegen outet sich kein | |
| Profi. | |
| Fußballprofis gegen Homophobie: Kleine Schönheitsfehler | |
| Über 800 Fußballprofis unterstützen eine Kampagne eines Fußballmagazins | |
| gegen Homophobie. Toll. Es wird Zeit, dass sie selbst Initiative ergreifen. | |
| Homophobie im US-Fußball: Alternativloser Protest | |
| In der zweiten US-Fußballliga verlässt das Team der San Diego Loyal wegen | |
| einer homophoben Beleidigung den Platz. Der Verband reagiert ebenfalls. | |
| Der Begriff „queer“: Meine schwule Normalität | |
| „Queer“ ist ein Überbegriff für alle, die nicht in die Heteronorm passen. | |
| Als Konzept von individuellem Sein und Identität taugt er jedoch nicht. |