| # taz.de -- Portrait der Stadt Venedig: Auch eine Kampfschrift | |
| > Autorin Petra Reski beschreibt die Probleme, die das Leben in der | |
| > Lagunenstadt schwer machen: Massentourismus, Korruption, | |
| > Umweltzerstörung. | |
| Bild: Stillstand während des Lockdowns in Venedig | |
| Seit 1991 lebt Petra Reski in Venedig und schreibt von dort aus über das | |
| Leben in der Lagunenstadt. In ihren Reportagen und Büchern bleibt das | |
| Persönliche nie außen vor – In Werken wie „Der Italiener an meiner Seite�… | |
| „Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern“, „Von Kamen nach | |
| Corleone. Die Mafia in Deutschland“ oder auch in der Krimireihe mit | |
| Staatsanwältin Serena Vitale ist die 1958 in Unna geborene Autorin stets | |
| präsent – als kritischer Geist, die auch den politischen Kampf nicht | |
| scheut. | |
| Sie hat bei der Kommunalwahl in Venedig für die Bürgerliste Terra e Acqua | |
| 2020 kandidiert, sich für [1][nachhaltigen Tourismus] engagiert, hat die | |
| „Vergewaltigung“ durch Massentourismus und Immobilienspekulation, das | |
| politische Versagen in Hochwasserfragen und das Agieren der multinationalen | |
| Kreuzfahrtgesellschaften angeprangert. Ihr neues Buch erscheint nun zu | |
| einer Zeit, in der Venedig so still ist wie lange nicht mehr. Manche haben | |
| die Hoffnung, dass nach der Pandemie ein Umdenken einsetzen könnte. | |
| Ein „ungeschöntes Porträt der schönsten Stadt der Welt“ will Reski in ih… | |
| Buch zeichnen – und das gelingt ihr auch prächtig: Mit Witz, aber auch | |
| Leidenschaft und Kampfeslust beschreibt sie die Probleme, die [2][das Leben | |
| in Venedig so schwer machen]: Korruption und Massentourismus, die | |
| Feinstaubemissionen der Kreuzfahrtschiffe, kaum mehr bezahlbare Wohnungen, | |
| dazu der Klimawandel, das Zugrundegehen alteingesessener Geschäfte, der | |
| Exodus der echten Venezianer. Es schaut nicht gut aus für diese Stadt. | |
| Reski kennt die politischen Hintergründe und nimmt kein Blatt vor den Mund. | |
| Die Zwangsvereinigung der Stadt mit den geldgierigen Gemeinden auf dem | |
| Festland ist ein Grundübel. Vor allem von Bürgermeister und Unternehmer | |
| Luigi Brugnaro hält sie nichts. Die großen Projekte zur | |
| Hochwasserbekämpfung sind allesamt gescheitert. Millionen wurden in der | |
| Lagune versenkt. Dass Reski dennoch in Venedig geblieben ist und warum – | |
| auch darüber schreibt sie. | |
| Von Freunden wie dem Fischer Alberto, einem „Lagunenfisch“, der nach Mestre | |
| verzogen ist. Noch ein echter Venezianer weniger. Von der Liebe und dem | |
| „Venezianer an ihrer Seite“, von den Resten des Alltags, die es in Venedig | |
| doch noch gibt. Von der Geschichte dieser Stadt. Von der eigenen Geschichte | |
| in Venedig, die kurz nach dem Mauerfall begann. Das war die Zeit, als | |
| Venedig ab Nachmittag noch zu sich selbst finden konnte. | |
| „An dem Tag, an dem ich Venedig zum ersten Mal betrat“, erinnert sich | |
| Reski, „befand sich an der Stelle der Dior-Boutique noch das Cinema San | |
| Marco und wenige Meter weiter das Rokokotheater Ridotto.“ Doch schon bald | |
| nach Reskis Ankunft wurde das ganze Areal, der Block der Calle Vallaresso, | |
| an [3][Benetton] verkauft. | |
| ## Noch ist Verschnaufspause | |
| Heute gilt es für das zu kämpfen, was noch da ist, was noch nicht an | |
| ausländische Investoren verkauft wurde. „Nicht mal die Pestepidemie von | |
| 1630 war so effektiv bei der Beseitigung der letzten Venezianer wie die | |
| Erfindung der Ferienwohnung“, schreibt sich Reski in Rage. „Wo früher | |
| Venezianerinnen mit ihren Einkaufswagen aus dem Haus traten, stehen heute | |
| Menschen, die daran scheitern, an der Tür für ihr Airbnb-Apartement den | |
| richtigen PIN-Code einzugeben.“ | |
| Dieses Buch ist eine [4][Kampfschrift]: „Venedigs Kreuzfahrtterminal gehört | |
| einer Aktiengesellschaft, deren Mehrheitseigner die | |
| Kreuzfahrtgesellschaften und der venezianische Flughafen sind. Von ihnen | |
| nachhaltigen, umweltfreundlichen Tourismus zu erhoffen, ist so, als würde | |
| man vom Islamischen Staat einen Friedensmarsch erwarten.“ | |
| Doch dann kam Corona in die 50.000-Einwohner-Stadt mit den jährlich 30 | |
| Millionen Touristen. „Noch nie haben wir Venedig so erlebt. Kein einziges | |
| Kreuzfahrtschiff weit und breit. Keine Taxiflottillen, keine | |
| Ausflugsschiffe, die durch die Lagune pflügen. Nur Farben und Stille. | |
| Venedigs Vergewaltigung ist vorübergehend ausgesetzt.“ | |
| Die Stille dieser Tage ist vollkommen ungewohnt. Es ist beinahe wie ein | |
| neues Leben: „Es ist so still, dass ich höre, wie das Wasser lebt. Es | |
| keucht, es kaut, es schmatzt. Es nagt röchelnd an den Fundamenten der | |
| Häuser und bündelt das Licht zu kleinen, gleißenden Punkten, die auf dem | |
| Kanal tanzen, es ist Wasser, das verwandelt.“ | |
| ## Was kommt dann? | |
| Am Ende des Buchs steht die Frage: Was kommt jetzt? Was kommt nach Corona? | |
| Wird es so weitergehen mit Billigflügen, Airbnb und Kreuzschiffen, welche | |
| die Fundamente der Stadt ruinieren? Mit diesem Fluch, der auf keiner Stadt | |
| so schwer lastet wie auf Venedig? Mit dem „Venice model“, wie | |
| Tourismusexperten sagen, wenn sie von der Zerstörung einer Stadt sprechen? | |
| Ein wenig ratlos bleibt man nach der Lektüre. | |
| Als Tourist in dieser Stadt ist man selbst Teil des Systems, das Reski zu | |
| Recht geißelt. „Als ich einmal in den Canal Grande fiel“ ist ein Buch, das | |
| uns dazu bringen sollte, endlich umzudenken. Reski schreibt mit viel Witz | |
| und bissigem Humor, doch hat selbst kaum Hoffnung: „Heute besteht das Leben | |
| in Venedig vor allem darin, einer Stadt beim Sterben zuzuschauen.“ | |
| 21 Apr 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marc Peschke | |
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