# taz.de -- Venedig unter Wasser: Schöne Katastrophe | |
> Die Hochwasser in Venedig sind längst zur medialen Kulisse geworden. Die | |
> Stadt leidet derweil an ihrer touristischen Übernutzung. | |
Bild: Am Donnerstag in Venedig, Markusplatz | |
VENEDIG taz | Schon komisch, wenn man von der größten | |
Hochwasserkatastrophe in Venedig seit 53 Jahren nichts anderes sieht als | |
das schöne Spiegelbild der Goldmosaiken des Markusdoms und tapfere | |
Touristen in Wegwerfstiefeln, die den Gezeiten die Stirn bieten. Keine Spur | |
von der zerstörten Uferbefestigung an der Riva dei Sette Martiri, wo ein 40 | |
Tonnen schweres Vaporetto auf das Ufer gespült wurde, nichts von den | |
Marmorsäulen, die kreuz und quer herumliegen, als hätte ein Riese kegeln | |
gespielt. Nichts vom Zeitungskiosk, den das Hochwasser in den | |
Giudecca-Kanal geschwemmt hat. Nichts von den venezianischen Kindern, die | |
nicht zur Schule gehen können, nichts vom venezianischen Alltag. | |
Nichts davon, dass die Menschen in den wenigen verbliebenen Werkstätten | |
(und ja, es gibt in [1][Venedig] noch Handwerker und Unternehmer, die | |
Arbeitsplätze geschaffen haben, die nichts mit dem Tourismus zu tun haben!) | |
zu retten versuchen, was noch zu retten ist, Arbeitsmaterial, | |
Lagerbestände. Nichts davon, dass in den Restaurants die Kühlzellen | |
überflutet und Tonnen von Lebensmitteln vernichtet wurden. Alles muss | |
mühevoll mit Süßwasser abgewaschen werden. Auf Knien rutschend versuchen | |
die Venezianer ihre Existenz zu retten. | |
Dass nur der schöne Schein zählt, wissen die Venezianer seit jener Zeit, | |
als ihre Stadt von einer geschäftstüchtigen Unternehmerclique im Faschismus | |
zur Museumsstadt erklärt wurde. Mit dem Hafen von Marghera wurde der | |
Großraum Venedig geschaffen: das Festland als Schlafstadt für die Arbeiter | |
des Hafens, der Schiffswerften und der Petrochemieanlage von Marghera. | |
Heute leben in Venedig noch 52.000 Venezianer – der Großraum hingegen zählt | |
knapp 260.000 Einwohner. Auch Luigi Brugnaro, Unternehmer und Bürgermeister | |
Venedigs, wohnt auf dem Festland, wo die überwältigende Mehrheit der | |
Stadträte lebt, die Hochwasser offenbar nur aus dem Fernsehen kennen. | |
In seiner Rede gegen die Venezianer, jene „glücklich in ihrem Wasser | |
faulenden Dummköpfe“, beschied der Futurist Marinetti, dass es besser sei, | |
Venedig zu zerstören, als zuzusehen, wie es zu einer mumifizierten | |
Museumsstadt zum ausschließlich touristischen Gebrauch verkomme. Sein aus | |
Florenz stammender Schriftstellerkollege Giovanni Papini schrieb: „Wir sind | |
Hausmeister in Leichenhallen und Dienstboten exotischer Vagabunden.“ | |
Genau so haben wir uns in der Nacht des 12. November gefühlt, als das | |
Hochwasser stieg und stieg und niemand außer den Social Media davon Notiz | |
nahm. Dort kursierte auch ein bitterböser Post über die venezianische | |
Stadtverwaltung, die im Hochwasser offenbar nichts anderes sieht als ein | |
mögliches Hindernis für [2][Touristen]: „Das Hochwasser ist nicht | |
gefährlich, es stellt in der überwältigenden Mehrheit sowohl für die | |
Venezianer als auch für die Touristen lediglich eine begrenzte | |
Unannehmlichkeit dar. Es handelt sich nur darum, sich ein paar Stunden lang | |
zu gedulden, bis das Wasser wieder abgeflossen ist. Den Neugierigen | |
empfehlen wir den Kauf eines Paars Gummistiefel, die es ermöglichen, die | |
Stadt auf bestimmt ungewöhnliche Weise zu erleben.“ | |
Schön wäre es immerhin, wenn sich in den Medien die Erkenntnis durchsetzen | |
würde, dass das venezianische Hochwasser nichts mit dem Regen zu tun hat | |
und auch der Klimawandel in diesem Fall nicht verantwortlich gemacht werden | |
kann – wie es der venezianische Bürgermeister versucht hat, den man in | |
Venedig nur dann sieht, wenn Staatschefs zu Besuch sind oder Fernsehkameras | |
das ikonische Bild vom überfluteten Markusdom filmen. | |
Venedigs Hochwasser ist das Ergebnis einer neoliberalen Politik, die die | |
venezianische Lagune durch Ausgraben der Kanäle für Erdöltanker und | |
Kreuzfahrtschiffe sowie durch eine sieben Milliarden teure | |
Hochwasserschleuse zerstört hat. Eine Schleuse, die nie funktionieren wird. | |
Dafür wurden Tonnen von Zement in der Lagune versenkt und erinnern – | |
natürlich rein ästhetisch betrachtet – an die Berliner Mauer im Meer. Nicht | |
so schön anzusehen wie der sich im Hochwasser spiegelnde goldglänzende | |
Markusdom. | |
14 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Petra Reski | |
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