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# taz.de -- Kreuzfahrtschiffe bei Venedig: Märchenstunde auf Italienisch
> Alle reden über das Einfahrverbot der Kreuzfahrtschiffe in die Lagune von
> Venedig. Dabei ist es eine kosmetische Veränderung und kein echter
> Wandel.
Bild: Kreuzfahrtschiffe zerstören mit ihrem Wellengang Venedig. Trotzdem wurde…
Venedig taz | Schon wieder ist statt Journalismus Märchenstunde angesagt:
Anders kann man es nicht verstehen, wenn die Fake News von der
[1][Verbannung der Kreuzfahrtschiffe] erneut die Runde durch die Medien
macht, weltweit. Nein, die italienische Regierung hat auch jetzt kein
Einfahrverbot für die Kreuzfahrtschiffe in die Lagune beschlossen, sie
sollen nun über den Kanal für Erdöltanker einfahren und in Marghera
anlegen.
Das ist lediglich eine kleine kosmetische Veränderung, die an der
Zerstörung der Lagune nichts ändert – aber der italienischen Regierung
hilft, ihr Gesicht gegenüber der Unesco zu wahren: Die Techniker der Unesco
haben sich nicht an dem Hütchenspiel des Kulturministers Franceschini
beteiligt, der schon am 1. April die Fake News von der „Vertreibung der
Kreuzfahrtmonster“ um die ganze Welt geschickt hat.
Sie machten deutlich, dass es hier um „Venedig und seine Lagune“ geht,
weshalb die Unesco fordert: Kreuzfahrtschiffe raus – und zwar [2][nicht
einfach raus aus dem Markusbecken, sondern raus aus der Lagune, und zwar
ganz].
In ihrer Not griff die italienische Regierung zur Schminke: Ab dem 1.
August dürfen nur noch Kreuzfahrtschiffe bis 25.000 Bruttoregistertonnen am
Markusplatz vorbeifahren – alle anderen fahren über den Kanal für
Erdöltanker ein. Damit hofft die italienische Regierung abzuwenden,
[3][dass Venedig auf die Negativliste für gefährdetes Welterbe] gesetzt
wird – womit sich die Stadt auf dem gleichen Rang wie [4][Timbuktu] oder
[5][Damaskus] befinden würde: Städte in Kriegszonen.
Und ja, es wird Krieg geführt gegen Venedig, und das seit Jahrzehnten. Denn
wenn die Kreuzfahrtschiffe über den Kanal für die Erdöltanker einfahren,
ändert das nichts an der Zerstörung der Lagune: Jede Durchfahrt eines
Tankers, Containerschiffs oder eines Kreuzfahrtschiffs sorgt für einen
kleinen Tsunami in der Lagune, weshalb dieser Kanal seit den 1960er Jahren
als Killer der Lagune gilt.
Er war es, der zur verheerenden Erosion ihres zentralen Teils geführt und
dafür gesorgt hat, dass sich die Lagune in einen Meeresarm verwandeln
konnte.
## Hoffentlich knickt die Unesco nicht wieder ein
Eine „langfristige Lösung“ für die Kreuzfahrtschiffe sei „dringend
erforderlich“, schrieb die Unesco in ihrem Bericht, wobei sie forderte, die
Kreuzfahrtschiffe „in geeignetere Häfen in der Umgebung umzuleiten“. Sofort
ging ein Aufschrei durch die politischen Reihen in Venedig: Bürgermeister
Luigi Brugnaro und Regionalpräsident Luca Zaia befürworten uneingeschränkt
das Anlegen der Kreuzfahrtschiffe im Industriehafen von Marghera.
Was bedeuten würde, dass der Kanal für Erdöltanker noch verbreitert und
tiefer gegraben werden müsste. Dass dem venezianischen Bürgermeister ein
vierzig Hektar großes Areal in Marghera gehört, sich folgerichtig ein
gewisser Interessenkonflikt hinter dem Engagement für die Anlegestelle in
Marghera verbirgt, findet in Italien vor allem Beachtung, seitdem er vor
Kurzem mit „Coraggio Italia“ eine eigene Partei gegründet hat.
Die italienische Regierung betont, dass die Lösung in Marghera
„vorübergehend“ sei. Mal abgesehen davon, dass wir hier mit Provisorien
eine gewisse Erfahrung haben – das Flutsperrwerk MOSE wird Modulo
sperimentale elettromeccanico genannt, experimentelles elektromechanisches
Probemodul, das auch nach drei Jahrzehnten noch nicht fertig ist – scheint
es doch leicht übertrieben, mal eben 157 Millionen Euro für weitere fünf
„vorübergehende“ Anlegestellen in Marghera auszugeben.
Was wir jetzt hoffen, ist, dass die Unesco angesichts des Drucks der
italienischen Regierung nicht wieder einknickt, so wie es in der
Vergangenheit immer wieder der Fall war. Denn auch mit der von der
Regierung verkündeten Absicht, langfristig eine Anlegestelle für die
Kreuzfahrtschiffe außerhalb der Lagune zu bauen, wird Haarspalterei
betrieben.
Da ist das Projekt des Stahlkonzerns Duferco, das vorschlägt, fünfhundert
Meter von der künstlichen Betoninsel der MOSE-Schleuse entfernt ein
[6][Kreuzfahrtterminal zu bauen. Es würde dazu führen, weitere 2.300.000
Kubikmeter Lagunengrund auszugraben]. Heerscharen von Kreuzfahrttouristen
würden per Boot die Lagune durchqueren und ihr damit den Todesstoß
versetzen.
Aber das Beste an dem bizarren Dekret der italienischen Regierung ist, dass
die Kreuzfahrtmultis und das private Kreuzfahrtterminal nun entschädigt
werden sollen, vom italienischen Staat. Was ungefähr so ist, als müsste ein
Auftragskiller von seinen Opfern dafür entschädigt werden, dass er seinen
Auftragsmord an ihnen nicht ausführen kann.
Petra Reski ist Journalistin und Schriftstellerin und lebt seit 1991 in
Venedig. Dieses Jahr erschien ihr Buch [7][„Als ich einmal in den Canal
Grande fiel“] im Droemer Verlag.
14 Jul 2021
## LINKS
[1] https://www.mopo.de/news/panorama/nach-langem-ringen-endlich--regierung-ver…
[2] /Portrait-der-Stadt-Venedig/!5763200
[3] https://www.geo.de/reisen/reisewissen/venedig--unesco-koennte-die-stadt-auf…
[4] /Prozess-um-Zerstoerungen-in-Timbuktu/!5332351
[5] /Islamischer-Staat-in-Syrien/!5200646
[6] /Portrait-der-Stadt-Venedig/!5763200
[7] https://www.petrareski.com/buecher/als-ich-einmal-in-den-canale-grande-fiel/
## AUTOREN
Petra Reski
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