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# taz.de -- Polizeigewalt in den USA: In Bruchteilen von Sekunden
> In Chicago hat die Polizei Videoaufnahmen vom Tod eines 13-Jährigen bei
> einem Einsatz im März veröffentlicht. Die Stadt befürchtet Unruhen.
Bild: Kurz nachdem Bilder der Tat veröffentlicht wurden, demonstrieren am 15. …
Berlin taz | Adam Toledo war gerade mal 13 Jahre alt, als er gegen halb
drei Uhr morgens am 29. März von einem Chicagoer Polizisten erschossen
wurde. Am Donnerstag veröffentlichte die Polizeibehörde [1][zahlreiche
Videos] von dem Hergang, unter anderem von der Körperkamera des Schützen
Eric Stillman. Der 34-Jährige ist derzeit vom Dienst befreit.
Offenbar war die Polizei in ein Stadtgebiet Chicagos gerufen worden, weil
dort Schüsse abgefeuert wurden. Auf den Videos ist zu sehen, wie die
Polizisten in einer verlassenen Straße auf zwei Personen stießen und aus
ihrem Auto ausstiegen. Der eine, der 21-jährige Ruben Roman, wird von den
Polizisten umgeworfen und festgenommen. Der andere, Adam Toledo, läuft
weiter die Straße hinunter, Polizist Stillman rennt ihm hinterher.
Einige Meter weiter, an der Öffnung eines Bretterzauns, bleibt Toledo
stehen. Stillman brüllt ihn an, er soll seine Waffe wegwerfen und ihm seine
Hände zeigen. In dem Moment, als Toledo sich umdreht, schießt Stillman, und
der 13-Jährige bricht zusammen. Es sind Bruchteile von Sekunden, in denen
sich das abspielt.
In der Einzelbildbetrachtung sieht man, dass Toledo in dem Moment, als er
erschossen wird, die Hände hebt und keine Waffe in der Hand hat. „Das Kind
hat gehorcht“, sagt später die Anwältin der Familie des Getöteten, Adeena
Weiss-Ortiz. „Adam hat getan, was der Beamte gesagt hat, er hat die Waffe
fallen gelassen und sich umgedreht. Der Beamte hat gesehen, dass er die
Hände gehoben hatte und hat den Abzug betätigt.“
## Minuten des Grauens
Stillmans Anwalt wird das anders darstellen: „Der Beamte konnte nirgends
Deckung suchen, die Waffe wurde in seine Richtung gerichtet, und ihm blieb
keine andere Option“, erklärt Anwalt Tim Grace.
Die Videoaufnahmen von den Minuten danach sind schwer auszuhalten. Stillman
geht sofort zu dem auf dem Boden liegenden Adam Toledo. Dem rinnt Blut aus
dem Mund, die Augen sind verdreht. Auf Stillmans Frage, wo er getroffen
sei, kann er nicht mehr antworten. Stillman fordert sofort einen
Krankenwagen und Verbandszeug an, beginnt mit Herzdruckmassage. „Bleib bei
mir!“, sagt er dem sterbenden Jugendlichen. Andere Polizisten kommen hinzu,
lösen Stillman ab.
Der entfernt sich ein paar Schritte, atmet schwer. Mit einer Kollegin
zusammen geht er auf die andere Seite der Bretterwand. Dort sehen sie die
Waffe, die Toledo offenbar weggeworfen hat. Stillman muss sich setzen, man
hört ihn schluchzen.
Warum der 13-Jährige in dieser Nacht mit Ruben Roman zusammen war, ist noch
ungeklärt. Die Schüsse, die zuvor abgefeuert worden waren, stammten aus der
Waffe, die Toledo weggeworfen hatte. Allerdings geht die Polizei davon aus,
dass nicht er, sondern Roman die Schüsse abgefeuert hatte. Wann, wie und
warum dann Toledo die Pistole bekam, ist unklar.
## Bürgermeisterin hofft auf Heilung
„Ich sehe keinerlei Hinweise darauf, dass Adam Toledo auf die Polizei
geschossen hat“, sagt Chicagos schwarze demokratische Bürgermeisterin Lori
Lightfoot am Donnerstag. Sie hofft, dass die Veröffentlichung des
Videomaterials „der erste Schritt im Prozess der Heilung der Familie, der
Nachbarschaft und der Stadt“ sein kann.
Adam Toledo wohnte mit seiner Mutter, seinem Großvater und zwei
Geschwistern in Little Village, einem Latino-geprägten [2][Stadtviertel der
South Side], wo er in die 7. Klasse ging. Er ist die jüngste Person seit
Jahren, die in Chicago von der Polizei erschossen wurde. „Es darf nicht
sein, dass es das ist, was junge Leute in unserer Stadt erfahren“, sagte
Bürgermeisterin Lightfoot am Donnerstag. „Wir haben an Adam versagt.“
Schon seit Adam Toledos Tod gab es kleine Demonstrationen und Mahnwachen in
der Stadt. Für Montag werden in Minneapolis die Schlussplädoyers [3][im
Prozess gegen Derek Chauvin] erwartet, den Polizisten, der im Mai 2020 über
9 Minuten lang auf George Floyds Hals kniete, bis dieser sich nicht mehr
regte. Am Donnerstag waren die meisten Geschäfte in Chicagos Innenstadt
bereits verrammelt, die Stadt befürchtet Unruhen.
16 Apr 2021
## LINKS
[1] https://www.chicagocopa.org/case/2021-1112/
[2] /Mordraten-in-US-Staedten-wie-Chicago/!5722329
[3] /Prozess-nach-Tod-von-George-Floyd/!5760994
## AUTOREN
Bernd Pickert
## TAGS
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
USA
Chicago
George Floyd
US-Serie
USA
Black Lives Matter
Rap
US-Wahl 2024
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