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# taz.de -- Prozess nach Tod von George Floyd: Die Manöver des Anwalts
> Am Ende entscheiden zwölf Geschworene über die Strafe für den
> Ex-Polizisten Derek Chauvin. Dessen Verteidiger verfolgt ein bestimmtes
> Ziel.
Bild: Der Atem-Experte Dr. Martin Tobin wird vom Staatsanwalt befragt
New York taz | Derek Chauvin sitzt wie ein Protokollant bei seinem eigenen
Prozess. Vor sich, auf dem Tisch einen DIN-A-4-großen gelben Block, in dem
er unablässig schreibt. Sein Gesicht ist ausdruckslos, die Schultern
schlaff. Der Polizist, der neun Minuten und 29 Sekunden lang mit
angespannten Muskeln auf dem Nacken eines Schwarzen Manns kniete, scheint
da weit entfernt. Mit Handschellen gefesselt [1][lag George Floyd vor etwa
elf Monaten bäuchlings auf dem Asphalt unter Chauvin und bettelte um sein
Leben – vergeblich.]
Am elften Verhandlungstag holt tödliche Polizeigewalt den
Mord-und-Totschlag-Prozess in Minneapolis erneut ein. Am Vortag hat eine
Polizistin bei einer Verkehrskontrolle 16 Kilometer von dem Gericht
entfernt einen jungen Schwarzen Mann erschossen. Vor Gericht verlangt
Chauvins Anwalt Eric Nelson, dass die Geschworenen für den Rest des
Verfahrens abgesondert werden. [2][Nelson meint, die Geschworenen könnten
seinen Mandanten unter dem Eindruck der emotionalen Reaktion auf der Straße
schuldig sprechen.] Der Anwalt will auch, dass die Geschworenen erneut ihre
Unparteilichkeit beweisen. Richter Peter Cahill lehnt beide Ansinnen ab.
Von Anfang an verfährt Nelson so. Er stellt die anderen an den Pranger:
Floyd karikiert er als so gesundheitlich vorgeschädigt und drogenabhängig,
dass sein Tod am 25. Mai 2020 wie unausweichlich erscheint. Die Passanten,
die versucht haben, mit Worten das Schlimmste zu verhindern, beschreibt er
wie die Auslöser der polizeilichen Gewalt. Den medizinischen Experten im
Zeugenstand, die Sauerstoffmangel und Ersticken als Todesursache
beschreiben, unterstellt er Meinung statt Wissen.
Am elften Tag kommt auch Philonise Floyd in den Zeugenstand. Der Lkw-Fahrer
weint, als der Staatsanwalt ihm Bilder seines toten großen Bruders mit
seiner Mutter zeigt. George, den seine Geschwister „Perry“ nannten, hat für
den jüngeren Floyd Sandwiches geschmiert, hat ihn für die Schule angezogen
und hat ihm das Footballspielen beigebracht.
Der kleine Bruder ist einer der wenigen Zeugen, die Verteidiger Nelson
nicht ins Kreuzverhör nimmt. Corteney Ross, George Floyds letzte Freundin,
hielt der Verteidiger ihre Medikamentenabhängigkeit vor, die sie mit dem
Toten teilte. Traumatisierten PassantInnen, die ihre Gefühle angesichts der
tödlichen Gewalt beschrieben, warf er „Wut“ vor, die die Polizei in die
Enge getrieben habe.
Statt des Angeklagten haben bei diesem Prozess die Zeugen der Tat
Schuldgefühle. Darnella Frazier, die 17-Jährige, die das Video von George
Floyds Tod gefilmt hat, das Millionen Menschen aufgerüttelt hat, wirft sich
bis heute vor, dass sie nicht eingegriffen hat, um ihn zu retten.
Polizisten in den USA haben Tausende Male im Dienst Schwarze Männer
getötet, ohne deswegen vor Gericht zu kommen. Manchmal folgten interne
Untersuchungen, die später eingestellt wurden. Oft passierte gar nichts.
Der Prozess gegen Chauvin ist anders. Dafür haben das Video von der Tat,
monatelange Black-Lives-Matter-Proteste und die politische Polarisierung
unter dem letzten Präsidenten gesorgt.
Im Oktober hat der Ex-Polizist Chauvin es geschafft, gegen eine Kaution von
1 Million Dollar nach nur vier Monaten aus dem Gefängnis zu kommen. Und er
kommt zurzeit jeden Morgen als freier Mann in den Gerichtssaal in
Minneapolis.
## Prozess im Livestream
Aber er ist allein. Seine Frau hat wenige Tage nach der Gewalttat die
Scheidung eingereicht. Der für seine Angehörigen reservierte Stuhl im
Gerichtssaal bleibt bis auf einen Tag leer, während der Stuhl für die
Floyd-Familie an jedem Tag von einem anderen Angehörigen besetzt ist. Und
im Zeugenstand sagen ehemalige Kollegen, ehemalige Ausbilder, ehemalige
Chefs gegen den Ex-Polizisten aus.
Nichts an dem tödlichen Knieeinsatz entspreche den Protokollen der Polizei
von Minneapolis, sagte Polizeichef Medaria Arradondo als Zeuge. Arradondo
feuerte Chauvin wenige Stunden nach der Tat. „Es gab keine Rechtfertigung
für das Knien“, bestätigte auch ein Ausbilder der Polizei Los Angeles, Jody
Stiger, im Zeugenstand.
Wegen der Pandemie und wegen der Sorge vor Demonstrationen laufen die
Gerichtsverhandlungen ohne Publikum, das Gericht ist mit Betonbarrieren,
Stacheldraht und Nationalgardisten von der Außenwelt abgeriegelt.
Stattdessen wird das Verfahren von drei Kameras in einem täglichen
Livestream übertragen, den Hunderte von Webseiten vervielfältigen.
## Kommende Woche
Die Ablenkungsmanöver der Verteidigung haben dazu geführt, dass in dem
Verfahren der Körper des Toten in das Zentrum der Verhandlungen geraten
ist. Gerichtsmediziner, Kardiologen und Lungenfachärzte beschreiben jedes
Organ des Toten. Während des Prozesses beugt sich ein Land über einen toten
Schwarzen Mann. Die große Öffentlichkeit erfährt mehr über seinen Körper
als er wohl selbst gewusst hat.
Zwölf Geschworene entscheiden, ob Chauvin verurteilt wird. Sie werden sich,
so hat es der Richter am elften Verhandlungstag angekündigt, wohl in der
nächsten Woche zu ihren Beratungen zurückziehen. Sollten sie alle am Ende
zu dem Ergebnis kommen, dass Chauvin schuldig ist, riskiert er Jahrzehnte
hinter Gittern.
13 Apr 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Dorothea Hahn
## TAGS
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
George Floyd
Black Lives Matter
Minnesota
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