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# taz.de -- Prozess um die Tötung George Floyds: „Er hat niemanden bedroht“
> Der Prozess um die Tötung George Floyds durch die Polizei hat begonnen.
> Die Verteidigung versucht, Floyd selbst für seinen Tod verantwortlich zu
> machen.
Bild: DemonstrantInnen in Minneapolis am ersten Prozesstag, 29. März
New York taz | „Er schnappte nach Luft, wie ein Fisch in einer
Plastiktüte“, sagt Donald Williams. Am 25. Mai vergangenen Jahres hat der
heute 33-jährige Williams aus wenigen Schritten Entfernung verfolgt, wie
das Leben aus [1][George Floyd] wich. Er war einer der mutigen PassantInnen
an der Kreuzung von Chicago Avenue und 38th Street in Minneapolis, die an
jenem Abend versucht haben, das Schlimmste zu verhindern. „Er kann nicht
atmen“, riefen sie. Und: „messt seinen Puls“. Manche filmten mit ihren
Handys.
Aber die vier Polizisten vor ihnen ließen sich nicht beeindrucken. Einer
von ihnen, Offizier Derek Chauvin, drückte sein Knie immer fester in den
Nacken des unbewaffneten und mit Handschellen gefesselten Floyd, der mit
nacktem Oberkörper auf dem Asphalt lag. Der 46-Jährige unter ihm röchelte
27 Mal: „Ich kann nicht atmen“. Bevor er verstummte, rief er nach seiner
Mutter.
Zehn Monate später ist Williams am Montag in Minneapolis einer der ersten
ZeugInnen im Prozess gegen den Ex-Polizisten Derek Chauvin, der jetzt wegen
Mord zweiten Grades und Totschlag angeklagt ist. Im Fall einer Verurteilung
drohen ihm bis zu 40 Jahre Gefängnis.
Williams wohnt in der Nähe des Tatortes. Er ist ein Unternehmer, arbeitet
„in der Sicherheit“, und hat jahrelange Erfahrung im Ringkampf und in
anderen Kampfsportarten. Am 25. Mai war er unterwegs zum Einkaufen, als er
die brutale Szene vor den Schaufenstern des Geschäftes sah. Er verstand
sofort, was der Polizist tat. Er sagt Chauvin auf den Kopf zu, dass das ein
„Blut-Würgegriff“ war. Eine Technik, die töten kann.
## Der Fall löste wochenlange Black-Lives-Matter-Proteste aus
Vor Gericht erklärt Williams am Montag, wie der Polizist den Druck auf den
Nacken – und den Blutfluss seines Opfers – erhöht. Er benutzt seinen Fuß
als Hebel, mindestens einmal hebt er ihn ganz ab. Der Zeuge beschreibt
auch, wie ein Kollege von Chauvin die Menschen zurückdrängte. Und wie er
das Röcheln des Opfers mit den Worten kommentierte: „Das passiert, wenn man
Drogen nimmt“. Willams, ein Afroamerikaner, fügt vor Gericht diese Worte
hinzu: „Das tun amerikanische Polizisten mit schwarzen Männern“.
Es ist beachtlich, dass es überhaupt zu dem Prozess gekommen ist. In den
USA sind Anklagen gegen Polizisten, die im Dienst AfroamerikanerInnen
töten, selten. Aber das Video, das eine 17-Jährige am Tatort aufgenommen
und auf Facebook veröffentlicht hat, machte dieses Mal eine Vertuschung
unmöglich. Es verbreitete sich wie ein Lauffeuer um die Welt.
In den USA löste Floyds Tod wochenlange [2][Black-Lives-Matter-Proteste]
aus. Chauvin und seine drei Kollegen wurden entlassen. Manche US-Städte
begannen Debatten über eine Senkung des Polizeietats. DemokratInnen im
US-Kongress schrieben ein [3][George-Floyd-Gesetz] über Bürgerrechte und
Polizeireform. Das Echo der neuen antirassistischen Bewegung hallte auch in
die Präsidentschaftswahlen hinein.
„Es gibt keine Entschuldigung für nicht gerechtfertigte und exzessive
Gewalt“, sagt Staatsanwalt Jerry Blackwell zum Auftakt des Prozesses. Er
beschreibt die Agonie von Floyd. Nennt ihn einen Mann, „der niemanden
bedroht hat“. Und geht ausführlich auf sein Leben ein, das ihn von North
Carolina nach Texas und zum Schluss nach Minneapolis geführt hat. „Er war
ein Vater, Bruder, Vetter, Basketball- und Fußballspieler. Er war ein
Sicherheitswachmann, der seinen Job verloren hatte und ein
Covid-Überlebender.“
## Minneapolis zahlt 27 Millionen Dollar Entschädigung
Der Staatsanwalt korrigiert auch eine Zahl, die bislang mit Floyds Tod in
Zusammenhang gebracht worden war. Danach hat der Polizist Chauvin nicht 8
Minuten und 46 Sekunden auf Floyds Nacken gekniet, sondern noch länger.
Nämlich 9 Minuten und 29 Sekunden. Das Stichwort [4][Rassismus] erwähnt er
nicht.
Der Prozess könnte vier Wochen dauern. Wegen der Pandemie finden die
Verhandlungen in einem Saal ohne Publikum, aber mit drei Kameras statt.
Rund um das Gericht sind Barrikaden und Stacheldraht aufgestellt worden.
Aber der Prozess ist öffentlich. Es ist der erste im Bundesstaat Minnesota,
der per Livestream übertragen wird. Die Kameras zeigen Großaufnahmen von
den ZeugInnen und den JuristInnen im Saal. Bloß die Jury-Mitglieder, die am
Ende über Schuld oder Unschuld von Chauvin entscheiden müssen, dürfen nicht
gefilmt werden.
Nachdem sie den Prozess nicht verhindern konnte, hat die Verteidigung des
Ex-Polizisten Chauvin versucht, das Verfahren in eine andere Stadt zu
verlagern. Die Atmosphäre in Minneapolis wäre zu geladen, argumentierte
sie. Anfang März entschied die Stadt Minneapolis, dass sie den Angehörigen
von Floyd und der Community 27 Millionen Dollar zur Beilegung des
Zivilrechtsstreits zahlen wird. Es ist einer der höchsten Vergleiche, die
in den USA nach Polizeigewalt gezahlt wurden. Die Verteidigung sah darin
prompt die Gefahr, dass Geschworene bei dem Strafverfahren beeinflusst
werden könnten.
Aber beim Prozessauftakt am Montag konzentriert sich Verteidiger Eric
Nelson auf eine Frontalattacke. Mit seinem eigenen Mandanten befasst der
Anwalt sich nur kurz: „Derek Chauvin hat exakt das getan, wozu er
ausgebildet worden ist“, sagt er. Sein eigentliches Thema ist die Demontage
des toten Floyd.
Er spricht über den gefälschten 20-Dollar-Schein, mit dem Floyd Zigaretten
bezahlt hat, weshalb der Händler die Polizei gerufen hat. Er spricht über
Drogenspuren in Floyds Blut. Und über Herzprobleme und Bluthochdruck. Der
Verteidiger lässt es erscheinen, als wäre Floyd selbst für seinen Tod
verantwortlich. Zusätzlich beschreibt er eine bedrohliche Situation für die
Polizisten am Tatort. Immer mehr Schaulustige hätten dort aggressive
Stimmung verbreitet.
## Die Polizeizentrale versuchte einzugreifen
Während Chauvin auf Floyds Nacken kniete, beobachtete Jena Scurry in der
Polizeinotrufzentrale in Minneapolis die Szene auf einem Bildschirm. Sie
war diejenige, die die vier Polizisten an die Straßenkreuzung geschickt
hat, die heute nach George Floyd benannt ist.
Am ersten Prozesstag beschreibt Scurry als Zeugin ihr Erstaunen darüber,
dass sich die Festnahme viele Minuten lang hinzieht. Erst glaubte sie, das
Computerbild wäre „eingefroren“. Dann sagte ihr „Instinkt“ ihr, dass v…
Ort etwas „falsch läuft“. Sie versuchte einzugreifen, rief den Vorgesetzten
der Einsatzpolizisten an. „Sie können mich einen Spitzel nennen“, sagte sie
ihm, bevor sie beschrieb, dass alle Polizisten auf dem Mann sitzen. Scurry
arbeitet seit sieben Jahren in der Notrufzentrale. Es war das erste Mal,
dass sie während eines laufenden Einsatzes einen solchen Anruf machte.
Die Familie von Floyd schwankt in den Tagen vor Prozessbeginn zwischen
Beten und Hoffen. „Wir wissen, dass sie versuchen werden, seinen Charakter
zu töten“, sagt Philonise Floyd, ein Bruder. Bridgett Floyd, eine
Schwester, sagt über die Verteidigung: „Sie werden jeden möglichen Weg
benutzen, um nicht schlecht auszusehen.“
Benjamin Crump, der Anwalt der Familie Floyd, erklärt kategorisch: „Dies
ist kein komplizierter Fall für ein Gericht.“ Crump hat sich auf
Polizeigewalt spezialisiert. Er hat schon Dutzende andere afroamerikanische
Familien vertreten, die Angehörige durch Polizeigewalt verloren haben. Der
schwarze Anwalt sieht in dem Prozess in Minneapolis einen „historischen
Wendepunkt“.
Aber obwohl er die Schuld des Ex-Polizisten Derek Chauvin für erwiesen und
den Fall für „einfach“ hält, ist er vorsichtig mit Prognosen über die
letztliche Entscheidung der Geschworenen in Minneapolis: „Wir alle wissen,
dass wir nie sicher sein können, dass ein Polizist eine schwarze Person
nicht töten wird.“
30 Mar 2021
## LINKS
[1] /Rassistische-Polizeigewalt-in-den-USA/!5692040
[2] /Gewalt-bei-Protesten-in-den-USA/!5712536
[3] /Polizeireform-in-den-USA/!5755984
[4] /Geschichte-des-Rassismus/!5694138
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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