# taz.de -- Tod von George Floyd: „Das Herz von Chauvin war zu klein“ | |
> Nach den Schlussplädoyers im Prozess gegen den Ex-Polizisten Derek | |
> Chauvin kann jetzt jederzeit ein Urteil fallen. Es könnte neue Proteste | |
> auslösen. | |
Bild: Demonstration in Minneapolis nach den Abschlussplädoyers im Prozess gege… | |
NEW YORḱ taz | „Gerechtigkeit für George Floyd“ skandieren Hunderte von | |
AktivistInnen im Zentrum von Minneapolis (Bundesstaat Minnesota) am späten | |
Montagnachmittag. Auf ihren Transparenten ist zu lesen: „Schafft die | |
Polizei ab“, dazu gibt es auch Bilder anderer schwarzer Polizeiopfer. Die | |
Demonstration setzt sich in Bewegung, als die zwölf Geschworenen aus dem | |
Gerichtssaal in einen abgesonderten und streng überwachten Raum gebracht | |
werden. | |
Diese zwölf, von denen wenig mehr als Geschlecht, Hautfarbe und ungefähres | |
Alter bekannt ist, werden über die Zukunft des Ex-Polizisten Derek Chauvin | |
entscheiden. Am 25. Mai letzten Jahres hat er neun Minuten und 29 Sekunden | |
lang auf dem Nacken des gefesselten und bäuchlings am Straßenrand liegenden | |
George Floyd gekniet. | |
Der weiße Chauvin drückte den schwarzen Floyd auch dann noch mehrere | |
Minuten lang weiter auf den Asphalt, als der nicht mehr um sein Leben | |
flehte, nicht mehr atmete und keinen Puls mehr hatte. Die Geschworenen | |
müssen einstimmig entscheiden. Wenn einE einzigEr von ihnen den | |
Ex-Polizisten für unschuldig hält, bleibt der ein freier Mann. | |
Chauvin legt seine Maske ab, als sein [1][Verteidiger] am Montag sein mehr | |
als dreistündiges Abschlussplädoyer hält. Der Angeklagte hatte sich | |
geweigert, selbst auszusagen. Er verbrachte seinen Prozess, in dem er wegen | |
Mord und Totschlag angeklagt ist, mit Schweigen und mit Notizen in einem | |
gelben Din-A-4 Block. | |
## Chauvin wirft herausfordernde Blicke in den Gerichtssaal | |
Während des Abschlussplädoyers, in dem sein Verteidiger ihn „unschuldig“ | |
nennt, sitzt er aufrecht und ohne zu schreiben und wirft herausfordernde | |
Blicke in den Raum. Die Blicke an einen Moment am Tatort, als Chauvin als | |
Reaktion auf PassantInnen, die ihn zu Mäßigung aufforderten, sein Knie | |
heftiger in Floyds Nacken drückte und nach einer chemischen Keule griff. | |
[2][Verteidiger Eric Nelson] listet alle möglichen Gründe auf, die zu dem | |
Tod des 46-jährigen Floyd unter dem Polizistenknie geführt haben könnten. | |
Darunter Bluthochdruck, Drogenkonsum, verengte Blutgefäße, ein Geschwür, | |
von dem niemand – nicht einmal Floyd selbst – vor seinem Tod etwas geahnt | |
hat, ein vergrößertes Herz und Auspuffgase aus einem Polizeiwagen, der in | |
der Nähe des am Boden liegenden Mannes geparkt war. | |
Bloß das brutale Vorgehen seines Mandanten war in den Worten des | |
Verteidigers „vernünftig“. Zur Rechtfertigung listet der Verteidiger auf, | |
der schwarze Mann am Boden sei groß und kräftig und potenziell „high“ | |
gewesen. Die anderen Polizisten am Tatort, von denen zwei ebenfalls auf dem | |
Rücken des gefesselten Floyd hockten, seien Berufsanfänger gewesen, auf die | |
Chauvin sich nicht habe verlassen können. Und der Stadtteil, in dem es | |
geschah, habe eine hohe Kriminalität. | |
„Verlassen Sie sich auf Ihren gesunden Menschenverstand“, appelliert | |
hingegen der Staatsanwalt an die Geschworenen: „Dies war kein | |
Polizeieinsatz. Dies war Mord“. Staatsanwalt Steve Schleicher nennt den | |
Angeklagten in allen Punkten schuldig. Sein Kollege Jerry Blackwell endet | |
sein Plädoyer mit den Worten: „George Floyd ist nicht tot, weil sein Herz | |
zu groß war. Sondern weil das Herz von Derek Chauvin zu klein war“. | |
George Floyd hat sich am Abend des 25. Mai ursprünglich gegen seine | |
Festnahme wegen eines gefälschten 20-Dollar-Scheins gewehrt. Er wollte | |
nicht in einen Polizeiwagen gezwängt werden und begründete das mit seiner | |
Klaustrophobie. | |
## George Floyd bedankte sich zunächst bei den Polizisten | |
Als die Polizisten ihn nach einem Handgemenge wieder aus ihrem Wagen heraus | |
holten, dankte der gefesselte Mann ihnen mit Nachdruck. Als der später | |
dazugekommene Derek Chauvin ihn auf den Asphalt drückte, versuchte Floyd, | |
seinen Peiniger mit den Worten: „Bitte, Herr Offizier“ gnädig zu stimmen. | |
Auf den Straßen der USA hat Floyds Tod eine neue Antirassismusbewegung | |
ausgelöst. Sie ist stärker als alles, was die USA seit den 60er Jahren | |
erlebt haben. Sie hat es geschafft, die Institutionen des Landes zu | |
Reformversuchen zu drängen. | |
In New York sind die Disziplinarakten von gewalttätigen Polizisten | |
veröffentlicht worden. An zahlreichen Orten werden Haushaltskürzungen und | |
Reformen bei der Polizei erwogen. Und in dem Prozess in Minneapolis haben | |
Polizeiausbilder und auch der örtliche Polizeichef den angeklagten Chauvin | |
in ungewöhnlicher Schärfe kritisiert. | |
Aber zugleich haben sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung im | |
Gerichtssaal sorgfältig jeden Hinweis auf die Hautfarben von Täter und | |
Opfer vermieden. Die Staatsanwaltschaft hat zusätzlich alle möglichen | |
Anstrengungen unternommen, damit nicht der Eindruck einer Anklage gegen die | |
Polizei entsteht. | |
„Dies ist kein Prozess gegen die Polizei“, sagt Steve Schleicher am Montag | |
in seinem Plädoyer: „es ist ein Prozess gegen einen, der die Regeln seines | |
Berufs verletzt und sein Abzeichen verraten hat.“ Er nennt den Polizeiberuf | |
ehrenwert. | |
## Höchst angespannte Stimmung in Minneapolis | |
Doch während des laufenden Prozesses geht die tödliche Polizeigewalt gegen | |
braune und schwarze Männer auf den Straßen der USA weiter – auch in | |
Minneapolis. Eine Woche vor Prozessende erschießt eine weiße Polizistin den | |
20-jährigen schwarzen [3][Daunte Wright] bei einer Verkehrskontrolle in | |
Brooklyn, nur 16 Kilometer vom Gerichtsgebäude entfernt. [4][Nächtelange | |
Proteste folgen]. Die Stimmung in der Stadt ist erneut aufs Höchste | |
angespannt. | |
Die zwölf Geschworenen werden so lange abgesondert bleiben, bis sie ihr | |
Urteil gefällt haben. Damit sie nicht beeinflusst werden, sollen sie kein | |
Fernsehen schauen und sich auch von anderen Nachrichtenquellen fern halten. | |
Aber ihre Entscheidung findet nicht in einem Vakuum statt. | |
BürgerrechtlerInnen bereiten bereits Proteste für den Fall vor, dass | |
Chauvin freigesprochen wird. PolitikerInnen, wie die demokratische | |
Kongressabgeordnete Maxine Waters, kündigen an, dass es im Fall eines | |
Freispruchs „konfrontativer“ zugehen wird. Und die Polizei bereitet sich | |
vielerorts auf neue Auseinandersetzungen vor. | |
20 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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