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# taz.de -- Deutschland und die Energiewende: Den Anschluss verpasst
> Das Geburtsland der Energiewende tut sich zu schwer, sauberen Strom
> voranzutreiben. So lassen sich die Klimaziele kaum erreichen.
Bild: So müsste es eigentlich an mehr Orten in Deutschland aussehen: Windkraft…
Mit [1][Deutschland und der Energiewende] ist es ein bisschen so wie mit
der Erfindung des Fahrrads. Es wurde viel getüftelt und ausprobiert und am
Anfang war alles noch sehr teuer. Aber irgendwann stimmte die Technik – die
Energiewende kam ins Laufen; sie hatte quasi endlich zwei gleich große
Räder und alle wollten Fahrrad fahren.
Mittlerweile aber hat Deutschland vergessen, wie man Fahrrad fährt, während
andere Länder schon auf E-Bikes umsatteln. Deutschland, Geburtsland der
Energiewende, hat den Anschluss verloren. Das ist nicht nur für unsere
Wirtschaft gefährlich: Als eine der größten Industrienationen stehen wir in
besonderer Verantwortung, was den Klimaschutz angeht. Ohne eine umfassende
Energiewende hin zu sauberem Strom heizen wir aber die Klimakrise weiter
an.
Damit steigt das Risiko für extremes Wetter auch bei uns. Hitzetage nehmen
zu, mit teils schweren Folgen für unseren Kreislauf. Tropische Krankheiten
können sich ausbreiten. Dürren auf der einen, Überflutungen auf der anderen
Seite gefährden Ernährungssicherheit und Wohlstand. Ein steigender
Meeresspiegel vertreibt Millionen Menschen. Leider folgt auf die
Dringlichkeit aber noch kein entschlossenes Handeln. So gibt es anlässlich
des Tags der erneuerbaren Energien am 24. April nichts zu feiern.
Im Gegenteil: Der Ausbau sauberer Energie aus Wind und Sonne ist drastisch
eingebrochen. Im vergangenen Jahr wurden gerade einmal 6,3 GW zusätzlich
geschaffen. Nötig wären 15 bis 20 GW pro Jahr, wenn Deutschland seine
eigenen, ohnehin zu niedrigen Klimaziele erreichen möchte. Bei Wind waren
es in der Vergangenheit auch schon einmal vier- bis fünfmal so viel in
vergleichbarem Zeitraum, bis die Energiewende ins Stocken kam. Jetzt wurde
sogar noch die Ausschreibungsmenge zurückgefahren.
## Bei der Kohlekraft hält Deutschland den Rekord
Stattdessen sind noch immer sechs der zehn größten CO2-Schleudern Europas
deutsche Kohlekraftwerke – trotz Kohleausstiegsgesetz. Und das Klimaziel
2020 hat Deutschland nur erreicht, weil es unschöne Schützenhilfe von der
Coronapandemie bekommen hat. Langfristig sorgt aber auch in der Politik wie
in der Mathematik eine Krise (Minus) mal die andere (Minus) für ein Plus:
an Emissionen. Denn der Emissionsrückgang im Zuge der Coronapandemie ist
nicht nachhaltig.
Unser gesamtes zukunftsfähiges System hängt davon ab, dass uns ausreichend
Strom aus Wind und Sonne zur Verfügung steht. Einmal für den unmittelbaren
Stromkonsum. Aber auch für den Verkehr: Wenn etwa Tesla aus dem
brandenburgischen Grünheide den deutschen Automarkt mit Elektroautos
versorgt, brauchen diese Strom aus erneuerbaren Energien, um einen Beitrag
zum Klimaschutz zu leisten.
Und auch die Industrie braucht einen schnellen Ausbau: Kommen jetzt nicht
die richtigen Signale aus der Politik, kann es passieren, dass in
klimaschädliche Produktionsanlagen reinvestiert wird. Neben direkter
Elektrifizierung ist für die Industrie auch die Förderung grünen
Wasserstoffs wichtig – also solcher, der mithilfe erneuerbarer Energien
hergestellt wird. Im großen Hype um Wasserstoff als Allheilmittel darf
nicht unberücksichtigt bleiben:
Es benötigt viel Energie, um ihn herzustellen. Nur grüner Wasserstoff ist
langfristig sinnvoll. Das Wirtschaftsministerium unter Peter Altmaier hat
lange den tatsächlichen künftigen Strombedarf heruntergespielt. Abgesehen
davon, dass es im Interesse alter Wirtschaftszweige wie der Kohle lange
Strukturveränderungen verzögert hat.
Was leider im Sinne keines Wirtschaftszweiges ist – weder dem der
[2][Kohle, deren Arbeitnehmenden mit Verzögerungstaktiken nur
Strukturbrüche] drohen, noch dem der erneuerbaren Energien, in dem
mittlerweile viel mehr Menschen beschäftigt sind – nämlich [3][mehr als
300.000], verglichen mit weniger als 20.000 in der Kohle. Es ist also Zeit,
die Augen zu öffnen und die Realitäten anzuerkennen. Wind und Sonne gehören
die Zukunft.
## Wind und Sonne gehören die Zukunft
Deutschland möchte nicht in einer Flaute stecken bleiben, wenn nun auch die
USA wieder Wind aufnehmen. Wenn sich die Groko zeitnah einem der
wichtigsten noch offenen Punkte zur Novelle des
[4][Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG)] widmet – den neuen Ausbauzielen
–, braucht es Verstand und Herz. 2030 sollten 80 Prozent des
Bruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Energien stammen.
Nur so kommen wir den Zielen des [5][Pariser Klimaabkommens] und der
Klimaneutralität bis spätestens 2050 nahe. Daneben gilt der Blick der
Fläche: Erneuerbare Energien benötigen Platz. Berechnungen zeigen, dass
rund zwei Prozent der Landesfläche und die Dachflächen reichen, um
Deutschlands Energieversorgung zum größten Teil mit Wind- und Solaranlagen
zu decken. Damit diese Flächen aber sozial- und naturverträglich
erschlossen werden, ist eine bessere Planung und Steuerung auf regionaler
Ebene nötig.
Dafür braucht es unter anderem mehr personelle und finanzielle Ressourcen
auch für die Fachbehörden. Und es braucht einheitliche, wissenschaftliche
Kriterien und Methoden, nach denen Standorte ausgewählt werden. Ein
Einbeziehen der Menschen vor Ort ist dabei eine selbstverständliche
Notwendigkeit. Es ist unsere Energiewende, unsere Zukunft, die wir
mitgestalten wollen und sollen. Dabei geht es auch um die finanzielle
Beteiligung etwa an Windparks.
Die großen Vorteile, die Wind- und Solarparks mit sich bringen, müssen
endlich auch die Standortkommunen unmittelbar spüren. Wind- und
Sonnenenergie entschlossen auszubauen, ist eine Chance auf nachhaltigen
Wohlstand – für uns und andere Länder. Der Innovationsgeist hierzulande hat
einst dazu geführt, die Energiewende zum Exportschlager zu machen. Diesen
Geist gilt es, wiederzubeleben. Sonst hat Deutschland am Ende nicht nur
sein Gelbes Trikot verloren, sondern stürzt und reißt andere mit.
23 Apr 2021
## LINKS
[1] /Energiewende-in-Deutschland/!5762117
[2] https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/WWF_Lichtblick_Report…
[3] /Weltweite-CO2-Emissionen/!5750886
[4] https://www.erneuerbare-energien.de/EE/Redaktion/DE/Dossier/eeg.html
[5] /5-Jahre-Pariser-Klimaschutzabkommen/!5734348
## AUTOREN
Viviane Raddatz
## TAGS
Erneuerbare Energien
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Schwerpunkt Klimawandel
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