Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Schach in der Coronapandemie: Zeit zum Rochieren
> Schach ist schlecht für das Ego, aber ideal für den derzeitigen
> Ausnahmezustand. Die Dialektik aus Selbsttäuschung und Enttäuschung.
Bild: Spiel der Demut: Jan Nepomnjaschtschi (l.) im Duell gegen Alexander Grisc…
Am 19. April ist es so weit: Dann geht’s weiter mit dem Kandidatenturnier.
Bestimmt werden soll der Herausforderer des amtierenden Weltmeisters,
Magnus Carlsen, Ende des Jahres geht es dann um den Titel. Acht Kandidaten
spielen die Finalteilnahme untereinander aus, je zweimal treten sie
gegeneinander an. Letztes Jahr wurde die Vorrunde gespielt. Pandemiebedingt
geht es erst jetzt weiter.
Bisher in Führung liegt – etwas überraschend – Maxime Vachier-Lagrave,
gefolgt von Jan Nepomnjaschtschi und Fabiano Caruana. Als sie die Hinrunde
spielten, hatte ich nur von Caruana bewusst gehört; nie hatte ich ein Spiel
von ihnen gesehen. Dass meine Lieblingsspieler'innen einmal Daniil Dubov
und Judit Polgár heißen könnten: wer hätte das gedacht. (Wobei alle, die
sich mich Schach auskennen, das locker hätten vorhersagen können: Beide
spielen einen riskanten, offensiven, überraschenden Stil, im Grunde Steffen
Baumgart-Schach.)
Ich bin auch auf den Schachzug aufgesprungen; die Netflix-Serie „Das
Damengambit“ und die Isolation haben zu Mitgliederrekorden bei so
Plattformen wie chess.com und lichess.org geführt. Magnus [1][Carlsen ist
mit einem Onlineschach-Unternehmen kürzlich an die Börse gegangen,] sie
erwarten für 2021 einen Gewinn von bis zu 21 Millionen Dollar. Man braucht
halt nicht viel, Zeit haben viele ja genug, da in dieser Pandemie offenbar
ausschließlich die Einschränkung des Privatlebens als Bekämpfungsstrategie
in Erwägung gezogen wird. Was bleibt, ist: arbeiten, schlafen, Kinder
betreuen, rochieren.
Schach ist aus mehreren Gründen nicht die optimale Wahl; Schach ist
wahnsinnig schlecht fürs Ego. Kein Spiel führt einem regelmäßig so
schonungslos vor, dass man bei Weitem nicht so schlau ist, wie man
eigentlich dachte. Im Schach ist man nicht besser als die besiegten
Gegner'innen, sondern nur weniger schlecht.
## Gegen den Verschleierungszwang
Und dann ist da noch die ganze Begleitmusik. Es ist nicht ohne Weiteres
möglich, sich hemmungslos auf die Großereignisse der nächsten Zeit zu
freuen. Die Weltmeisterschaftspartien sollen im November anlässlich der
nächsten Expo ausgetragen werden, in Dubai. [2][Wer den FC Bayern
regelmäßig für seine menschenverachtende Sponsorenpolitik kritisiert], kann
das nicht ignorieren; gerade auch weil im Schach Frauenrechte schlicht
übergangen werden.
2017 etwa verlor Anna Musytschuk kampflos ihre Weltmeistertitel im
Schnellschach und im Blitzschach, weil sie sich weigerte, sich dem
Verschleierungszwang bei den Meisterschaften in Saudi-Arabien zu beugen.
Sie wolle nicht nach den Regeln von irgendjemandem spielen, sich nicht wie
ein Mensch zweiter Klasse fühlen, schrieb sie damals auf Facebook, obwohl
sie „in fünf Tagen mehr verdient hätte als in einem Dutzend von
Veranstaltungen zusammen“. Bei der gleichen Veranstaltung hatte
Saudi-Arabien die israelische Mannschaft vom Wettbewerb ausgeschlossen.
Es gibt keinen Sport, den die Politik nicht behelligt. Immer muss man beide
Augen zudrücken, um das Schöne zu sehen; insofern ist Schach dann doch
wieder das ideale Spiel für die Coronapandemie, ein ideales Muster für die
Dialektik aus Selbsttäuschung und Enttäuschung. Wie dem auch sei:
Nepomnjaschtschi wird es machen.
16 Apr 2021
## LINKS
[1] /Niederlage-fuer-Schach-Genie/!5720536
[2] /Debatte-Fussball-und-Menschenrechte/!5270085
## AUTOREN
Frédéric Valin
## TAGS
Kolumne Helden der Bewegung
Schach
Schwerpunkt Sport trotz Corona
Kolumne Helden der Bewegung
Schach
Hamburg
Schach
Kinder
Schach
Kolumne Frühsport
Schach
## ARTIKEL ZUM THEMA
WM-Kandidatenturnier: Schach wie eine Fabel von Kafka
Ian Nepomniaschtschi will wieder Schach-Weltmeister Magnus Carlsen
herausfordern. Niemand gesteht sich seine Patzer so ein wie der Russe.
Schachspielerin Pähtz im Männerzirkel: Großmeisterin wird Großmeister
Elisabeth Pähtz darf sich als erste deutsche Frau Schachgroßmeister nennen.
Weltweit haben das nur 40 Frauen geschafft.
Hamburg spielt Schach: Königsspringer*innen am Zug
Dass Schach eine glamouröse Angelegenheit sein kann, zeigt „Damengambit“.
Aber erst mal muss ja der Nachwuchs ganz unglamourös zum Spiel finden.
Historisches Schachduell: König ohne Krone
Vor 100 Jahren schlug der Kubaner José Raúl Capablanca den deutschen
Weltmeister Emanuel Lasker. Capablanca wurde ein Held, Lasker verfolgt.
Jugend und Sport in der Pandemie: Wider die Kindersportbremse!
Training in Coronazeiten geht nur noch mit Vorsicht, Tests und Kontrollen.
Aber die jungen SportlerInnen sollten die Letzten sein, die aufhören
müssen.
taz-Berlin Adventskalender 21: Onkel Nidals Gambit
1.500 Jahre alt und immer noch fies: Spätestens seit der Netflix-Serie The
Queen's Gambit erlebt das gute alte Schach einen Boom.
Schach in der Krise: Endlich mal das Brett befreien
Die besten deutschen Schachspieler wagten den Aufstand gegen Bundestrainer
und Verband. Mit Erfolg. Und dank Corona zum richtigen Zeitpunkt.
Schachspielerin Pähtz in der Kritik: Zug um Zug ins Abseits
Die Großmeisterin Elisabeth Pähtz ist für das deutsche Schach bislang ein
Glücksfall. Doch Beleidigungs- und Betrugsvorwürfe schaden ihrem Ruf.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.