Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Historisches Schachduell: König ohne Krone
> Vor 100 Jahren schlug der Kubaner José Raúl Capablanca den deutschen
> Weltmeister Emanuel Lasker. Capablanca wurde ein Held, Lasker verfolgt.
Bild: Capablanca und Lasker 1925
Am 28. April 1921 gibt Emanuel Lasker auf. Ganze 27 Jahre ist er zu diesem
Zeitpunkt Schachweltmeister gewesen, bis er sich dem Kubaner José Raúl
Capablanca in Havanna geschlagen geben muss.
Die Geschichten der beiden Männer und ihre Würdigung durch die kubanische
und die deutsche Öffentlichkeit könnten unterschiedlicher kaum sein.
Capablanca gilt in Kuba bis heute als nationale Ikone, die über alle
politischen Gräben hinweg verehrt wird. Der Deutsche [1][Emanuel Lasker]
war länger Weltmeister als irgendjemand vor oder nach ihm. In Deutschland
kennt ihn außerhalb der Schachwelt jedoch kaum jemand. Warum?
Im frühen 20. Jahrhundert war Schach vor allem ein Spiel der gehobenen
Salons von Wien und Berlin, New York und Sankt Petersburg. Auch der 1888 in
Havanna geborene [2][José Raúl Capablanca] war durch und durch ein Kind
der Elite, Sohn eines spanischen Offiziers, als Kuba noch Madrids Kolonie
war. Capablanca galt als Wunderkind, schon als Fünfjähriger soll er gegen
erfahrene Spieler gewonnen haben, als Zwölfjähriger schlug er dann den
Landesmeister im Schach. Als Kuba unabhängig wurde und die USA zur neuen
Hegemonialmacht aufstiegen, ging seine Familie mit der Zeit und schickte
Capablanca zum Studium nach New York.
Bereits nach kurzer Zeit hängte der jedoch das Studium an der Columbia
University an den Nagel, um sich komplett dem Schachspiel zu widmen. Um
Geld musste Capablanca sich dabei keine Sorgen machen – die Regierung in
Havanna wurde sein lebenslanger Mäzen. Capablanca bekam einen Posten im
diplomatischen Dienst, ohne weitere Verpflichtungen: ein früher
Staatsprofi, alimentiert von dem, was Kubas Revolutionäre nach 1959
verächtlich die „Pseudorepublik“ nennen sollten.
## Fidels Stolz auf das Schachgenie
Größer als die ideologischen Bedenken blieben aber auch bei Fidel Castro
und Co der Stolz auf das Schachgenie. Wie in der Sowjetunion wurde Schach
auch im sozialistischen Kuba Modell für Massenbildung und staatlich
geförderter Leistungssport. Che Guevara, selbst ein großer Schachfan,
initiierte Anfang der Sechzigerjahre ein jährliches
Capablanca-Gedächtnisturnier in Havanna – und die revolutionären
Comandantes statteten das Prestigeprojekt so großzügig mit Geld aus, dass
„das Capablanca“ seinerzeit den Ruf des bestfinanzierten Schachturniers
der Welt hatte. Als man 1966 die Schacholympiade nach Havanna holte,
stellte man feierlich den Spieltisch aus, an dem Capablanca 1921 den
Weltmeister Lasker besiegt hatte.
Emanuel Laskers Geschichte erscheint dagegen wie das komplette Gegenteil.
Vom deutschen Staat konnte er keine Großzügigkeit erwarten. Auch als
Weltmeister musste er sein Leben als Schachspieler selbst finanzieren.
Lasker gab Schachzeitungen heraus und schrieb Bücher, hielt Vorträge und
umwarb Sponsoren, um sich die Wettkämpfe leisten zu können. Zwei Jahre lang
nahm er nicht an Turnieren teil, um in Mathematik über unendliche Reihen zu
promovieren. Lasker stritt mit Albert Einstein über die Konstanz der
Lichtgeschwindigkeit im Vakuum. Letztlich hatte aber keine seiner
Bewerbungen auf eine Professur Erfolg. Notgedrungen musste er weiter
Berufsschachspieler mit unsteter materieller Existenz bleiben.
Wesentlich für diese Umstände, unter denen Lasker Schach spielte, war der
aggressive Antisemitismus in Deutschland. Dass Lasker keinen Mäzen hatte
und sich mit Schach seinen Lebensunterhalt verdienen musste, wurde ihm als
„jüdische Krämerseele“ angelastet. „Die Schachkunst soll frei bleiben v…
schmutziger, unsauberer Geldgier“, befand etwa der Österreicher Franz
Gutmayer, der schon lange vor dem Aufstieg der NSDAP ein Erfolgsautor von
Büchern war, die für ein „völkisches Schachspiel“ agitierten und gegen
„schmutzige Schacherjuden“ hetzten.
Auch Laskers Spielstil wurde von ihm für „undeutsch“ erklärt. „Arisches
Schach“, so Gutmayer und andere, das sei militärische Kühnheit, unbedingter
Wille, Opfer und Angriff. Dagegen bereitete Lasker – und auch Capablanca –
dem modernen, gleichsam wissenschaftlichen Schachverständnis den Weg: Im
Zentrum stand nicht mehr die spektakuläre Kombination, sondern die
schrittweise Verbesserung der Position Zug um Zug. Für die antisemitischen
Hetzer „feiges jüdisches Schach“.
Im Jahr 1921 musste der damals 52-jährige Emanuel Lasker zur Verteidigung
seines Weltmeistertitels die Schiffsreise nach Havanna antreten. Ihm machte
das ungewohnte Klima zu schaffen, während der 20 Jahre jüngere Capablanca
auf der Höhe seines Könnens war. Das Duell verlief einseitig: Lasker konnte
keine einzige Partie gewinnen und gab schließlich bei einem Stand von 5:9
auf. Als Multitalent spielte er fortan mit derselben Intensität Go, galt
als exzellenter Pokerspieler, entwickelte eigene Spiele, allen voran sein
aus dem Damespiel weiterentwickeltes „Laska“.
Nach 1933 zwang die Machtübernahme der Nationalsozialisten Lasker ins Exil,
zunächst in die Niederlande, dann nach London, in die Sowjetunion und
schließlich nach New York. Die Nazis erkannten ihm nicht nur die deutsche
Staatsbürgerschaft ab, sondern tilgten Lasker auch aus den
Schachlehrbüchern. Capablanca hingegen blieb zwar nur sieben Jahre
Weltmeister, aber sein Ruhm dauerte fort. Bis heute ist man in Kuba stolz
auf den großen Denker, dessen Erfolg eine andere Seite der Karibikinsel
erzählt als die ständig bemühten Bilder von Rhythmus und Rum.
Die Verdrängung Laskers aus dem öffentlichen Bewusstsein hielt in
Westdeutschland auch nach 1945 an. Während Schach in der DDR gefördert, in
die Schulen getragen und neben sowjetischen Großmeistern auch Lasker
gedacht wurde, blieb der einstige Weltmeister in der Bundesrepublik in
Vergessenheit: Keine Schule wurde nach ihm benannt, keine Briefmarke zum
100. Geburtstag herausgegeben, kein Schachpreis in seinem Namen verliehen.
Vereinzelt gab es private Initiativen, aber erst 2001 brachte eine große
Lasker-Konferenz in Potsdam eine umfassende Würdigung des Weltmeisters und
Weltbürgers. Die in der Folge gegründete Emanuel-Lasker-Gesellschaft machte
es sich zur Aufgabe, dem verfemten Weltmeister einen angemessenen Platz im
öffentlichen Gedächtnis zu geben. Als sich vor drei Jahren sein Geburtstag
zum 150. Mal jährte, engagierte sich schließlich auch der Deutsche
Schachbund für ein internationales „Lasker-Jahr“.
Nach dem Match in Havanna begegneten sich Lasker und Capablanca noch ein
paar Mal auf Turnieren. Ein letztes Mal berührten sich ihre Lebenswege
indirekt in New York. Lasker starb 1941 im Mount Sinai Hospital in
Manhattan – in demselben Krankenhaus erlag Capablanca ein Jahr später den
Folgen eines Schlaganfalls, den er im Manhattan Chess Club erlitten hatte.
## Ein unscheinbares Grab in Queens
Begraben in New York ist aber nur Emanuel Lasker. Sein unscheinbarer
Grabstein auf dem Beth-Olam-Friedhof in Queens ist nur mit Mühe zu finden.
Als im Jahr 2013 ein Schachfan den Bericht seiner schwierigen Spurensuche
nach dem Grab ins Internet stellte, verlinkte der Deutsche Schachbund
dankend darauf. All die Jahre zuvor war offenbar keiner der Verbandsoberen
auf den Gedanken gekommen, Laskers letzter Ruhestätte die Ehre zu erweisen.
Capablancas Leichnam hingegen wurde von New York nach Havanna überführt,
er bekam ein Staatsbegräbnis mit Aufbahrung im Kapitol, der Staatschef
persönlich organisierte die Zeremonie. Tausende begleiteten den Trauerzug
durch die Straßen zum Prominentengrab auf dem Colónfriedhof im Zentrum der
Stadt.
Die Regierung Fidel Castros legte in den Achtzigerjahren sogar noch eins
drauf: Über der Grabstätte thront seitdem, entworfen von einem der
prominentesten Bildhauer des Landes, eine überdimensionale Schachfigur aus
weißem Marmor. Der König, sollte man meinen, und so steht es selbst in der
staatlichen kubanischen Online-Enzyklopädie.
Doch wer genau hinschaut, erkennt: Es ist nicht der König, sondern, ohne
Kreuz auf dem Haupt, eindeutig die Figur der Dame. Warum, das bleibt
Spekulation. Vielleicht war ein König im sozialistischen Staat dann doch zu
viel. Doch den KubanerInnen ist es egal, sie sehen in der Figur, was sie
sehen wollen: Capablanca, ihren „König“ des Schachspiels.
25 Apr 2021
## LINKS
[1] https://de.chessbase.com/post/emanuel-lasker-und-sein-einfluss-auf-das-russ…
[2] https://de.chessbase.com/post/raul-capablanca-zum-130sten-geburtstag
## AUTOREN
Bert Hoffmann
## TAGS
Schach
Antisemitismus
Kuba
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Kolumne Helden der Bewegung
Schlagloch
Schach
## ARTIKEL ZUM THEMA
Schach in der Coronapandemie: Zeit zum Rochieren
Schach ist schlecht für das Ego, aber ideal für den derzeitigen
Ausnahmezustand. Die Dialektik aus Selbsttäuschung und Enttäuschung.
Jüdisches Leben: Wider die Abstumpfung!
Die Debatte über Antisemitismus braucht einen neuen Anfang, abgerüstet und
sensibel. Jüdische Diversität anzuerkennen, ist dazu ein Schlüssel.
taz-Berlin Adventskalender 21: Onkel Nidals Gambit
1.500 Jahre alt und immer noch fies: Spätestens seit der Netflix-Serie The
Queen's Gambit erlebt das gute alte Schach einen Boom.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.