# taz.de -- Schach in der Krise: Endlich mal das Brett befreien | |
> Die besten deutschen Schachspieler wagten den Aufstand gegen | |
> Bundestrainer und Verband. Mit Erfolg. Und dank Corona zum richtigen | |
> Zeitpunkt. | |
Bild: Ein Sport – wie erfunden für Pandemiezeiten: Schach | |
Zu den sportlichen Gewinnern der Coronakrise gehört Schach. Sollte man | |
zumindest meinen. Denn während schweißtreibende Sportstudios oder das | |
Kicken im Park nicht so recht mit den Hygienevorschriften zusammenpassen, | |
ist gegen Schach, gerade in seinen Onlinevarianten, wenig zu sagen. Es | |
boomt. | |
Als Spiel, nicht als Sport. Zwar ist die Auseinandersetzung mit Bauern, | |
Damen und Türmen selbstverständlich ein Wettkampfsport, es gibt | |
Meisterschaften, Profis und Ligen, doch der Verband, der Deutsche | |
Schachbund (DSB), hat sich in den Zeiten der Pandemie noch nicht so | |
präsentieren können, als ob ihm ernsthaft an einer Popularisierung seiner | |
Sportart gelegen ist. | |
Nur auf den ersten Blick gehört die folgende Meldung nicht dazu: Jüngst | |
haben zwölf Nationalspieler und -spielerinnen in einem [1][Offenen Brief] | |
mitgeteilt, dass sie nicht mehr zur Verfügung stehen, „solange Dorian | |
Rogozenco Bundestrainer ist“. Sieben Jahre lang hatte der gebürtige | |
Moldauer, ein Großmeister und Autor mehrerer Fachbücher, amtiert. Der | |
Aufstand war erfolgreich, der Verband trennte sich sehr bald von | |
Rogoczenco. | |
Einer der wichtigsten Kritikpunkte ist respektloses Verhalten gegenüber den | |
Nationalspielerinnen. Nun mag man – ganz allgemein – es im Jahr 2020 | |
irritierend finden, dass es noch eine Sportart namens Frauenschach gibt, | |
die neben dem (vom Regelwerk) für alle offenen Schach existiert, aber zum | |
Ignorieren, Belächeln oder gar Bekämpfen des Frauenschachs besteht wahrlich | |
kein Grund. | |
Die Respektlosigkeit, von der berichtet wird, bezog sich sowohl auf das | |
Verhalten gegenüber den Spielerinnen, als auch auf die mangelnde Förderung | |
der Sportart. Und zumindest bei letzterem kann der DSB sich nicht ganz | |
wegducken. Mangelnde Förderung ist ein Verbandsverhalten, das vom | |
Bundestrainer nur nach außen vertreten wurde. | |
## Missachtung von Frauenschach | |
Von jeder Menge „einzelner Problemfälle“ berichtete der Spitzenspieler | |
Georg Meier der [2][Süddeutschen Zeitung], gegen die man nichts habe machen | |
können, aber in diesem Jahr seien „so viele Konflikte auf einmal | |
aufgetreten“, dass etwas passieren musste. Zu den besonders auffälligen | |
Skandalen gehört der Vorwurf, Rogozenco habe auf Verbandskosten ein | |
geheimes Trainingslager mit einem indischen Weltklassespieler für den mit | |
ihm gut befreundeten Profi Liviu-Dieter Nisipeanu vermittelt – kurz vor den | |
German Open, wo Nisipeanu dann auch gegen andere deutsche Nationalspieler | |
antrat. | |
Gezielte Förderung eines Kumpels gegen die anderen Kadersportler – und das | |
bei gleichzeitiger Missachtung von Frauenschach, das immer mehr zur | |
Randsportart wurde, auch wenn es etwa mit Elisabeth Pähtz eine deutsche | |
Weltklassespielerin gibt. Das sind in der Tat gleich viele Gründe, warum | |
die besten deutschen Schachspieler und -innen den Aufstand wagen mussten. | |
Mit Erfolg. | |
Kurz nach der Trennung vom Bundestrainer kam es zu einer Videokonferenz von | |
Nationalspielern und DSB-Führung: Ein Frauenbundestrainer soll eingestellt | |
werden, für das Männerteam soll es keinen Bundestrainer geben. Die | |
Spitzenspieler wünschen sich vielmehr Trainingslager mit wechselnden | |
Weltklassegroßmeistern, die zu bezahlen der Verband nun auch versprochen | |
hat. Und bei wichtigen Turnieren soll dann ein international renommierter | |
Spitzentrainer das deutsche Team betreuen. | |
Ein schöner Erfolg für die besten deutschen Schachspieler, beinahe ein | |
Lehrstück. Ein Bundestrainer, der kein Vertrauen mehr genoss, wurde von | |
einem Verband, der so miserabel organisiert war, dass er nicht mal | |
Modernisierungs- und Demokratisierungsbedarf zu erkennen vermochte, viel zu | |
lange gehalten. Und eine veritable Boykottdrohung, kollektiv vorgetragen, | |
ließ den Verband einknicken. | |
Damit das so leicht geschehen konnte, bedurfte es aber schon auch günstiger | |
Verhältnisse. Der Verband hielt an hierarchischen und anachronistischen | |
Verhältnissen ja gerade in Pandemiezeiten fest, als sich die Bedingungen | |
für Schach völlig änderten. In kaum gekannten Tempo etablieren sich | |
digitale Formen der Sportpraxis. Das drängt ja nach einem demokratischeren, | |
offeneren, geschlechtergerechteren Sport, bei dem die Aktiven ein | |
deutliches Mitsprache- und auch mal ein Vetorecht haben. Und dieser erste | |
Zug war schon mal erfolgreich. | |
4 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.faz.net/aktuell/sport/mehr-sport/protest-erfolgreich-rogozenco-… | |
[2] https://www.sueddeutsche.de/sport/schach-bundestrainer-trennung-1.5125991 | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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