# taz.de -- Netflix-Film „Night in Paradise“: Von Gangster zu Gangster | |
> Der Regisseur Park Hoon-jung will in seinem Thriller das Bild des | |
> ehrenhaften Ganoven reanimieren – und verharrt in einem unzeitgemäßen | |
> Männerbild. | |
Bild: Der resignierte Killer Tae-gus in „Night in Paradise“ | |
In Tae-gus (Eom Tae-goo) Welt gehört die Farbe Rot nur zu einem einzigen | |
Ding: Blut. Alles andere um den Gangster, der nach Jahren der illegalen | |
Arbeit aus den mafiösen Strukturen einer südkoreanischen Untergrundgang in | |
Seoul aussteigen möchte, ist dunkelblau, grau, grün oder gelb – die Häuser, | |
die verregneten Straßen, die Drachentattoos auf den muskulösen, matt | |
schimmernden Rücken von Tae-gu und seinen Kollegen. | |
Zu sehen bekommt man diese Rückendekorationen, nachdem Gelbtupfer im Film | |
des [1][Regisseurs Park Hoon-jung] auftauchten. Tae-gu hat gerade seine | |
kranke Schwester und deren kleine Tochter verabschiedet, als diese ermordet | |
werden. | |
Während die leuchtend gelben Schutzwesten der Helfer den Tatort sichern, | |
sitzt Tae-gu neben den Leichen am Straßenrand. Kurz darauf, bei der Rache | |
am Boss einer konkurrierenden Gang, den er für den Mord an seinen | |
Verwandten verantwortlich macht, lässt er die Wände einer Sauna von der | |
Farbe Blutrot triefen. | |
Als Tae-gu später vor dem Gegenschlag auf die Vulkaninsel Jeju geflüchtet | |
ist, leuchtet wiederum etwas Rotes auf. Diesmal sind es die Lippen von | |
Jae-yeon (Jeon Yeo-been), der todkranken Tochter eines dort lebenden | |
Waffenhändlers. Aber nach den Genre-Gesetzen, die in Park Hoon-jungs | |
düsterem Neo-Noir-Thriller gelten, verheißt das natürlich nichts Gutes. | |
## In „Night in Paradise“ sterben Menschen wie Fliegen | |
Die [2][Menschen sterben in „Night in Paradise“ wie die Fliegen]. Ein „Bo… | |
Count“ würde vermutlich dreistellig ausfallen. Mit eleganter und | |
anachronistischer Lässigkeit versucht der Regisseur, das fiktive Bild des | |
ehrenhaften Gangsters zu reanimieren, der zwar mit Messer und Pistole einen | |
Massenmord nach dem anderen begeht und dabei kaum die Miene verzieht, der | |
jedoch angesichts einer todgeweihten Frau verlegen wird. | |
Denn Jae-yeon ist ungewöhnlich – entweder quatscht sie so lange, bis er mit | |
ihr „Mulhoe“ probiert, eine tintenfischige Spezialität der Insel, oder sie | |
schlummert, geschwächt durch die Krankheit und ihren trotzigen | |
Alkoholkonsum, während der Fahrt in seinem Auto ein. | |
„Night in Paradise“ behandelt somit auf der einen Seite das Thema | |
Vergänglichkeit und untersucht andererseits über ein paar dramaturgische | |
Umwege, wie lange man seine „Ehre“ angesichts des sicheren, nahenden Todes | |
– bei Tae-gu ist es eine Frage der Geschicklichkeit seiner Gegner, bei | |
Jae-yeon eine Frage des Voranschreitens der Krankheit – verteidigen kann | |
oder muss. | |
Auf der bildlichen Ebene wirken die strategisch gefilmten und | |
choreografierten Tötungsszenen dabei wie makabre Ballettstücke – der Tod | |
tanzt sich in rasender Pistolenkugel-Geschwindigkeit von Gangster zu | |
Gangster, von Brust zu Brust. | |
## Ambivalente Gewaltästhetisierung | |
Atempausen gibt es nur wenige – und dass diese nicht in einer kitschigen | |
Liebelei versinken, sondern allerhöchstens einen Anflug von „mutual | |
understanding“ zwischen den Held:innen erahnen lassen, ist konsequent. | |
Einem genretypischen Gangster-Thriller kann man die Mordlust seiner | |
Protagonist:innen kaum vorwerfen. | |
Durch die Ausweglosigkeit, die sämtlichen Figuren innewohnt, von der | |
todkranken Schwester über die todkranke Jae-yeon bis hin zum von Eom | |
Tae-goo überzeugend-emotionslos gespielten Gangster, wandelt sich die | |
ambivalente Gewaltästhetisierung jedoch schnell zu einer ärgerlichen | |
Gewaltbefürwortung: Jene merkwürdige Ehre, das wird in einem Showdown klar, | |
für den die vorherigen Massaker quasi Aufwärmübungen waren, ist dann doch | |
wichtiger als alles andere – gut einschlafen lässt sich’s nur, wenn man | |
alle Fliegen totgeschlagen hat. | |
Mit dieser altmodischen und blutdürstigen Haltung vergibt sich der Film den | |
Anschluss an die Moderne, und verharrt in einem selbst für das Genre | |
unzeitgemäßen Männer-, Frauen- und Gangsterbild, das keine Entwicklungen, | |
keine Erkenntnisse und erst recht keine Versöhnung zulässt. | |
Dass „Meister Ma“, der „Don“ der mit Tae-gus Leuten konkurrierenden | |
„Bukseong“-Gang, in einem zentralen Gespräch sogar in seiner Haltung die | |
aus Mafia-Filmen bekannten „Dons“ kopiert, wirkt zwar wieder spielerisch – | |
als ob der Regisseur darauf hinweisen möchte, woher seine Faszination an | |
blutigen Rachestreifen ursprünglich kommt. | |
Doch im Ganzen ist die stilisierte, schummerige Ästhetik von „Night in | |
Paradise“ zu wenig, um die unverhohlene Gewaltorgie zu tarnen. Und dass es | |
selbst auf der malerischen Insel dermaßen oft Bindfäden regnet, macht es | |
nicht besser. | |
11 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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