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# taz.de -- Grüne beschließen Wahlprogramm: Alles ist drin – auch in Berlin
> Leiser, gerechter, sauberer, sicherer, bunter soll die Stadt werden. Die
> beste Überschrift dafür hatten sich aber schon die Bundesgrünen
> gesichert.
Bild: Wollte nach eigenen Worten lange Zeit „Indianerhäuptling“ werden: Gr…
Berlin taz | Vom Timing her hat er ein bisschen suboptimal begonnen, dieser
Parteitag der Berliner Grünen, an dem sie ihr Programm für die
Abgeordnetenhauswahl am 26. September beschließen und ihre
Bundestagskandidaten bestimmen. Denn kurz vorher hat auch die Bundesspitze
ihr Programm vorgestellt. Das hat dann beispielsweise zur Folge, dass die
üblichen Fotoagenturen zwar jede Menge Bilder von Annalena Baerbock und
Robert Habeck anbieten – aber kein aktuelles der Berliner Spitzenkandidatin
Bettina Jarasch, die den Landesparteitag am Freitag mit einer ansprechenden
Rede eröffnet hat.
Es hat aber auch Auswirkungen fürs Berliner Wahlprogramm, das die rund 150
Grünen-Landesdelegierten diskutieren und am frühen Samstagabend mit 99,19
Prozent beschließen – wiederum pandemiebedingt digital. Denn was die Grünen
da seit Ende 2019 zusammengetragen und auf [1][92 Entwurfseiten]
aufgeschrieben haben, ließe sich am besten doppeldeutig betiteln mit „Alles
ist drin“. Denn geht es nach den Grünen, wird Berlin sauberer, sicherer,
freier, bunter, gerechter, gesünder, einfach generell besser. Doppeldeutig
ist dieser Titel, weil die Umfragen hergeben, dass auch der Wahlsieg und
die Übernahme des seit 20 Jahren von der SPD gehaltenen Roten Rathauses
drin sein könnten.
Dumm bloß, dass „Alles ist drin“ schon über dem [2][Programm für
Bundestagswahl] steht, das Baerbock und Habeck am Freitag vorgestellt
haben. Die Alternative der Berliner Grünen lautet „Grünes Licht für
morgen“, das die selbstbewusste Arbeitsüberschrift „Die Zukunft ruft nach
uns“ ablöst. Der Entwurf, den der Landesvorstand im Januar präsentiert
hatte, sorgte für über 1.200 Änderungsanträge – also umgerechnet 13 pro
Seite. Die meisten davon konnte die Antragskommission in Gesprächen mit den
Antragstellern abräumen, aber einige zentrale Abstimmungen blieben.
## Landesvorstand setzt sich durch
Mitglieder aus Pankow und die Grüne Jugend etwa unternehmen einen weiteren
Anlauf, die Pläne des Landesvorstands für ein autofreies Berlin zu
verschärfen. Der Entwurf des Wahlprogramms folgt [3][Beschlüssen eines
Parteitags von Ende 2019], wonach in der Innenstadt ab 2030 keine Autos mit
Verbrennungsmotor unterwegs sein dürfen. Ab 2035 soll das für die gesamte
Stadt gelten. Die Änderungsanträge, die das jeweils um fünf Jahre vorziehen
wollten, scheitern zwar. Aber immerhin ein Viertel der Delegierten
unterstützt die Grüne Jugend.
Umstritten ist auch das Thema U-Bahn – und zwar in jede Richtung: Ein
Antrag, wiederum aus Pankow, lehnt jeden Neubau ab und fordert eine
Konzentration auf den Ausbau des Tramnetzes – angeführt werden dafür
Kosten- und Umweltschutzgründe. Die Grüne Jugend hingegen will, mehr als
der Landesvorstand, beides parallel. Auch hier setzt sich die Parteispitze
durch, aber nur mit 60 Prozent.
Dass sich der Beschluss des Wahlprogramms über zwei Tage zieht, hat viel
mit solchen und weiteren Abstimmungen zu tun. Wo sonst durch Händeheben ein
Ergebnis binnen Sekunden ablesbar ist, nimmt das digital jeweils gut eine
Minute in Anspruch. Während der Abstimmungsphase und beim Warten auf das
Ergebnis lässt die Parteitagsregie eine Mischung aus sphärischer Fahrstuhl-
und Warteschleifenmusik in die Lautsprecher zuhause fließen.
## Jarasch: Wollte lange „Indianerhäuptling“ werden
Wenn mal etwas nicht klappt – etwa das Einspielen eines Gastbeitrags des
Pariser Vize-Bürgermeisters – müssen die beiden Landesvorsitzenden
einspringen, Nina Stahr und Werner Graf. Die sitzen wie schon beim ersten
digitalen Parteitag im Dezember in einer Sitzecke vor einem
übermenschgroßen grünen B mit Ausrufezeichen, das bei der Partei seit der
Vorstellung ihrer Spitzenkandidatin Bettina Jarasch immer wieder zu sehen
ist.
Graf versucht dann Witze zu erzählen, oder kramt mit Stahr in Erinnerungen
an erste Parteitage. Beide stehen zwischenzeitlich aber auch am Rednerpult
und stellen einzelne Kapitel des Wahlprogramms vor. Zwischendurch setzt
sich Jarasch zu Graf, der dann von ihr wissen will, was sie werden wollte,
bevor sie Regierungschefin werden wollte. „Ich weiß gar nicht, ob das so
anders ist: Ich wollte lange Zeit Indianerhäuptling werden“, antwortet
Jarasch. Und bevor man lange über „Häuptling“ nachdenken kann, fügt sie
hinzu: „Da gab es leider keine weibliche Form.“ Später wird die Kritik
auftauchen, „Indianer“ sei ein rassistischer Begriff.
## Nicht die ganze A100 abreißen
Für etwas Verwirrung hatte am Freitagabend ein Satz in Jaraschs
einleitender Rede gesorgt. „Statt über den Weiterbau sollten wir vielleicht
anfangen, über den Rückbau der A 100 zu reden“, sagte sie. Der führende
Unternehmensverband UVB interpretierte das so, dass die Grünen die
komplette Stadtautobahn abzureißen planen, Deutschlands meistbefahrene
Autobahn. „Aberwitzig“ sei das, echauffiert sich UVB-Chef Christian Amsinck
in einer Pressemitteilung. Jarasch zeige damit, „dass sie in Sachen
Wirtschaftskompetenz noch viel Luft nach oben hat.“
Klärung bringt ein taz-Anruf beim Sprecher der Spitzenkandidatin, Markus
Kamrad: Demnach denkt Jarasch nur an einen Rückbau des noch nicht in
Betrieb genommenen Bauabschnitts ab dem Kreuz Neukölln. Der soll gemäß dem
Bundesverkehrswegeplan bis zur Storkower Straße verlängert werden.
Interessantes ist auch bei den Gastbeiträgen des Parteitags zu hören. „Die
Bodenfrage ist entscheidend“, sagt den Grünen beispielsweise der
Immobilienentwickler Thomas Bestgen vom Unternehmen UTB, „greifen Sie
deshalb engagiert in diesen Wohnungsmarkt ein.“ Im Wahlrogramm steht nun,
dass binnen der nächsten 30 Jahre die Hälfte des Berliner Wohnungsbestands
in gemeinwohlorientierte Hand kommen soll. Darunter fallen nicht nur
landseseigene Unternehmen und Genossenschaften, sondern nach einer früheren
Definition von Jarasch auch private Vermieter, die sich an den Mietspiegel
halten. Ein Antrag, der ein schnelleres Vorgehen forderte, kann sich nicht
durchsetzen.
## Enteignung als „letztes Mittel“
Enteignung von Eigentümern – Ziel eines laufenden Volksbegehrens –
schließen die Grünen nicht aus, verpacken das aber in eine eher
umständliche Formulierung:„Wir würden uns wünschen, dass die Umstände uns
nicht zwingen, die Vergesellschaftung als letztes Mittel anzuwenden, um den
verfassungsmäßigen Auftrag erfüllen zu können“, heißt es im Programm. �…
Wohnungsunternehmen sich jedoch weigern, ihrer sozialen Verantwortung
nachzukommen, wird die öffentliche Hand, auch durch ein Volksbegehren
gestützt, die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt mit diesem
Schritt entschärfen.“
Noch vor 15 Uhr ist ein Großteil des Wahlprogramms mit den zuvor als am
umstrittensten eingeschätzten Passagen beschlossen, wenige Stunden später
geben die Delegierten auch für den Rest des Programms grünes Licht – was
auch sonst, wenn das Papier schon „Grünes Licht für morgen“ heißt? „Al…
ist drin“ wäre trotzdem irgendwie passender gewesen angesichts seiner
Bandbreite.
## Kandidatenwahl am Sonntag
Am Sonntagmorgen geht der Parteitag ab 11 Uhr statt mit Inhalten mit
Personalentscheidungen weiter: mit der Kandidatenliste für die
Bundestagswahl, ebenfalls am 26. September. Bei ihren gegenwärtigen
Umfragewerten können die Berliner Grünen durchaus auf sieben Sitze im
Bundesparlament hoffen – aktuell haben sie dort vier. Für aussichtsreiche
Plätze auf der Liste treten gleich drei der sieben Mitglieder des
Landesvorstands an, darunter die Vorsitzende Stahr.
Mitglieder mit Migrationshintergrund wie der Ex-Abgeordnete Özcan Mutlu,
der für Platz 6 kandidiert, fordern, die Liste diverser als bislang
angeblich abgesprochen zu besetzen. Bettina Jarasch wiederholte dazu am
Rednerpult, was sie schon vor einigen Tagen mit Blick auf die
Bundestagsliste sagte: Bei der Diversität sei „noch Luft nach oben“.
20 Mar 2021
## LINKS
[1] https://gruene.berlin/wahl-2021/gruenes-wahlprogramm
[2] https://cms.gruene.de/uploads/documents/2021_Wahlprogrammentwurf.pdf
[3] /Parteitag-der-Berliner-Gruenen/!5648134
## AUTOREN
Stefan Alberti
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