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# taz.de -- Pilotprojekt gegen Hass im Netz: „Digitale Bürgerkultur“ in Sa…
> Ein Pilotprojekt bietet Mitarbeiter:innen aus der Privatwirtschaft
> Schulungen gegen Hate Speech und Fake News an. Was steckt dahinter?
Bild: Wie lassen sich Fake News von echten Nachrichten unterscheiden? Schulunge…
Dresden taz | Donnerstag ist in der noblen Uhrenmanufaktur Nomos Glashütte
in Sachsen Schulungstag. In der Regel um die Mittagszeit finden sich etwa
15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer digitalen Konferenzplattform
ein. „Auch mal mit dem Laptop auf dem Schoß im Ersatzteillager“, beschreibt
Serviceleiterin Susanne Kloss die Schulungssituation in ihrer Firma. Eine
Stunde mindestens ist dafür vorgesehen. Es geht nicht etwa um interne
Betriebsabläufe oder den Arbeitsschutz, sondern um nichts weniger als das
Internet und die dort lauernden Irreführungen und verbalen Attacken.
Die Älteren unter ihnen, die die volkseigenen Betriebe der DDR noch von
innen kennen, werden sich hierbei vielleicht an die obligatorischen
Verkehrsteilnehmer- und Gesundheitsschulungen von damals erinnert fühlen.
Was aber veranlasst die der Effizienz verpflichteten Privatunternehmen,
sich während der Arbeitszeit einem gesellschaftlich brisanten Thema zu
widmen? Und warum überlassen sie diese Aufgabe nicht den
Bildungsverantwortlichen, insbesondere den Institutionen der politischen
Bildung?
„Demokratie-Initiative der Wirtschaft“ nennt sich das seit Anfang März
laufende Pilotprojekt inklusive Workshops in Musterbetrieben. Es geht um
nicht weniger als den richtigen Umgang mit [1][Fake News],
Verschwörungstheorien sowie [2][Hass im Internet und den sozialen Medien].
Und damit um die bessere Handhabung eines mit der Digitalisierung und
Vernetzung lawinenartig angewachsenen Problems, dem mit Gesetzen, wie dem
gegen Hasskriminalität im Netz, kaum beizukommen ist. Von daher setzt die
Wirtschaftsinitiative auch direkt bei den durch sie erreichbaren
Unternehmensmitarbeiter:innen an, die ja beides sein können:
User:innen und machmal auch Opfer von Online-Attacken.
## Angst als Motor der Online-Debatten
Die Beweggründe der Initiative klingen zunächst uneigennützig und
verantwortungsbewusst: „Wir sind überzeugt, dass die Debattenkultur im Netz
entscheidend für die Stärke der Demokratie ist“, sagt Elisabeth Niejahr,
Geschäftsführerin der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung. Man wolle den
Exzessen nicht tatenlos zusehen.
Die wirtschaftsnahen Hertie- und Robert-Bosch-Stiftungen haben sich mit dem
deutschen Ableger des Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD)
zusammengetan. Dort liegt auch die Regie für das zunächst auf zwei Monate
anvisierte Pilotprojekt. Geschäftsführerin Huberta von Voss hat gemeinsam
mit überwiegend weiblichen Expertinnen und Trainerinnen das Konzept
entworfen. Sein Untertitel lautet: „Innovative Konzepte gegen Extremismus
und Polarisierung“.
„Polarisierende und auch irreführende Nachrichten sind Teil eines
Geschäftsmodells der sozialen Medien, das Geld mit unserer Aufmerksamkeit
verdient“, sagt Huberta von Voss und übt damit harsche Kritik an den
Medien, die auf die Faszination von extremen Inhalten setzen. Angst werde
so schnell zum Motor von Debatten. „Wir wollen den Teilnehmern die
Kenntnisse und Kompetenzen geben, die sie für den digitalen Durchblick
brauchen. Auch, um zu verstehen, wo unsere Verantwortung liegt im Sinne
einer digitalen Bürgerkultur“, so die Geschäftsführerin weiter.
„Es ist wichtig, dass man nicht ruhig bleibt, sondern digitale Zivilcourage
zeigt“, sagt auch Susanne Kloss von Nomos Glashütte. Im osterzgebirgischen
Werk trifft das Schulungsangebot offenbar auf ein entsprechendes
Orientierungsbedürfnis. Anders als einst im Sozialismus haben sich die
Teilnehmerinnen und Teilnehmer freiwillig angemeldet.
## Humanistischen Idealen verpflichtet
Sechs Pilotunternehmen hat die Hertie-Stiftung für den zweimonatigen
Probelauf gewinnen können. Neben Nomos sind Evonik, die Kion und die Alba
Group, die Ufa GmbH und Volkswagen dabei. Die Workshops sind offen für alle
Mitarbeiter:innen, nicht nur für das Leitungspersonal. Für
Berichterstatter:innen sind sie allerdings nicht zugänglich, die
Debatten finden in einem virtuellen Schutzraum statt.
Geleitet werden die Kurse von einer auf neue Medien spezialisierten
Journalistin und einem Techniker, der auch den Chat betreut. Beide
konfrontieren die Teilnehmer:innen zunächst mit Beispielen aus der Welt
der üblen Onlinenachrichten. Hassausbrüche spielen dort ebenso eine Rolle
wie Fake News, die als solche erst einmal erkannt werden müssen. Dann wird
diskutiert und gefragt, ob und wie man reagieren und sich einmischen
sollte. Für die angemessene Formulierung eines solchen Kontras – auch für
den Fall von eigener Betroffenheit – gibt es schlussendlich Empfehlungen.
Die Serviceleiterin von Nomos Glashütte, Susanne Kloss, schildert, wie nahe
vielen die Hassbotschaften im Netz gehen. Trotz ihres Alters und ihrer
Erfahrungen fühlten sich manche Mitarbeiter:innen ratlos, ja sogar
hilflos, selbst wenn sie noch nicht persönlich attackiert worden sind.
„Man darf nicht so abgebrüht sein, man kann einiges einfach nicht
unkommentiert lassen“, sagt Schulungsteilnehmerin Alexa Montag, die für das
sächsische Unternehmen in der Öffentlichkeitsarbeit tätig ist. Die Inhalte
der ersten drei Schulungen haben sogar sie als häufige Mediennutzerin nicht
kalt gelassen, etwa als sie mit rechtsradikalen oder antisemitischen
Kommentaren konfrontiert wurde.
Was man böswillig als volkspädagogisches Feigenblatt der Wirtschaft
denunzieren könnte, stößt also auf einen wirklichen Bedarf. Und der sei
während der Coronakrise noch einmal gewachsen, stellt
Nomos-Geschäftsführerin Judith Borowski fest. „Viele fühlen sich vereinzelt
und stärker auf sich selbst zurückgeworfen. In dieser Verunsicherung werden
sie anfälliger für Verführer im Netz.“ Diesen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern wolle man den Rücken stärken. Natürlich nicht ganz
uneigennützig, denn auch das Unternehmen selbst profitiere von Personal,
„das selbstbewusst im Betriebsalltag mit Konflikten umgeht“. Zudem helfe
Medienkompetenz auch im ganz normalen Arbeitsalltag.
Aber: „Niemand wird belehrt und selbstverständlich geben wir auch keine
Wahlempfehlung“, betont Huberta von Voss vom ISD-Institut den allein
humanistischen Idealen verpflichteten Charakter des Weiterbildungsangebots.
Nach der Pilotphase soll das Projekt ab Mai evaluiert und auf eine
Erweiterung geprüft werden. Eine solche Debatte sei nötig, „damit das
Internet für die Demokratie arbeitet und nicht gegen sie“.
2 Apr 2021
## LINKS
[1] /Fake-News-in-Zeiten-der-Pandemie/!5723486
[2] /Oberstaatsanwalt-ueber-Taeter-im-Netz/!5693402
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Fake News
Rechtsextremismus
Sachsen
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