| # taz.de -- Tierschutzpartei in den Niederlanden: Mitregieren wird denkbar | |
| > In den Niederlanden steht die Partij voor de Dieren vor dem besten | |
| > Ergebnis ihrer Geschichte. Ein Grund dafür ist die Coronapandemie. | |
| Bild: Wahlen mit Abstand: Drive-through-Wahllokal in Amsterdam | |
| Amsterdam taz | Zu Beginn der niederländischen Parlamentswahlen scheint die | |
| wichtigste Frage beantwortet: Angesichts des deutlichen Vorsprungs der | |
| Volkspartij voor Vrijheid en Democratie [1][wirkt alles außer einer | |
| weiteren Koalition unter Premier Mark Rutte abwegig]. Interessant ist nur, | |
| mit wem die regierende marktliberale VVD die kommende Legislaturperiode | |
| bestreiten wird. Weil das Parteienspektrum immer weiter zersplittert, | |
| werden Koalitionen in Den Haag immer breiter. Die aktuelle besteht aus vier | |
| Partnerinnen. | |
| Coronabedingt finden die Wahlen dieses Jahr an 3 Tagen statt. Am Montag | |
| öffnete ein Fünftel der Wahllokale schon mal für Menschen, die den | |
| Risikogruppen angehören, Hauptwahltag für alle ist aber der Mittwoch. | |
| Auf die Auszählung besonders gespannt ist man bei der Partij voor de | |
| [2][Dieren] (PvdD). Bislang verspürten die Tierschützer:innen keinerlei | |
| Ambitionen zum Regieren. Vor wenigen Wochen allerdings signalisierte | |
| Fraktionschefin und Spitzenkandidatin Esther Ouwehand: „Wenn Rutte bereit | |
| ist, den Tierbestand um 50 Prozent zu reduzieren, ist das ein guter Beginn, | |
| dann lasst uns reden.“ | |
| Ouwehands Selbstbewusstsein kommt nicht von ungefähr: 19 Jahre nach ihrer | |
| Gründung könnte die PvdD das beste Ergebnis ihrer Geschichte einfahren. | |
| Manche Umfragen sehen sie bei 7 der 150 Sitze. Ouwehand, die eine der | |
| beiden Pionier:innen war, als die PvdD 2006 als weltweit erste | |
| Tierschutzpartei in ein Parlament einzog, peilt für dieses Mal „8, 9 oder | |
| 10 Sitze“ an. Gegenwärtig sind es 4 – eine der 2017 gewählten Abgeordneten | |
| ist abtrünnig geworden. | |
| ## Ökozid soll strafbar werden | |
| In großen Dimensionen ist auch das Wahlprogramm angelegt: als | |
| „planetenweite Vision“ oder auch als „Plan B, weil es keinen Planet B | |
| gibt“. Tierrechte sollen in die Verfassung aufgenommen, | |
| Massen-Tierhaltungsbetriebe verboten und die Viehbestände um 75 Prozent | |
| reduziert werden. Geplant sind ein ambitioniertes Klimagesetz und die | |
| Förderung regionaler Bio-Landwirtschaft. Man strebt nach weniger Luftfahrt | |
| sowie besseren Zugverbindungen. Ökozid, also die Zerstörung von | |
| Ökosystemen, soll strafbar werden. In ihrem Kerngeschäft ist die PvdD | |
| ambitioniert wie eh und je. | |
| Das Wahlprogramm hat aber auch eine soziale Komponente. Die Partei will | |
| einen um 40 Prozent höheren Mindestlohn, den jährlichen Anstieg der | |
| Wohnungsmieten durchbrechen und einen Spitzensteuersatz von 60 Prozent | |
| durchsetzen. Im Gesundheitsbereich soll mehr Lohn gezahlt werden, die | |
| umstrittene Eigenbeteiligung zur Krankenversicherung will man streichen. | |
| Weitere Ziele sind eine „menschliche Flüchtlingspolitik“ und ein Ende des | |
| niederländischen Status als „Steuerparadies für multinationale Konzerne“. | |
| Dass die PvdD in den Niederlanden vor allem zu Beginn oft als | |
| Ein-Punkt-Partei belächelt wurde, liegt nicht nur an dem Schwerpunkt, den | |
| Tierschutz und Ökologie innerhalb des Programms bilden. Vielfach fehlte der | |
| politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit auch das Bewusstsein, wie | |
| dringlich und relevant eine solche Agenda heutzutage ist. Das könnte sich | |
| nun geändert haben. Und das liegt an der Coronapandemie, die im | |
| Wahlprogramm als „Wendepunkt“ bezeichnet wird: „Nie zuvor standen so viele | |
| Weichen auf Grün, um dem fossilen Denken definitiv ein Ende zu setzen.“ | |
| Wenn man so will, klingt die Agenda wie ein Wahlprogramm gewordenes | |
| So-geht-es-nicht-weiter. | |
| ## Zoonosen im politischen Diskurs | |
| Wie relevant die PvdD derzeit im politischen Diskurs des Landes ist, zeigt | |
| die Entwicklung eines Begriffs, mit dem sie in den Anfangszeiten vielfach | |
| auf Unverständnis stieß: Zoonosen. Solche [3][Erkrankungen, die zwischen | |
| Menschen und Tieren hin- und herspringen], rissen die | |
| Parlamentarier:innen lange ebenso wenig vom Hocker wie die Rolle von | |
| Massentierhaltung und Zerstörung von Ökosystemen. Bis Covid kam. | |
| Ouwehand hat diesen neuen Schwung im Februar mit ihrem neuen Buch | |
| strategisch genutzt. „Tiere können die Pest kriegen“, heißt es wörtlich, | |
| was im übertragenen Sinn so viel wie „Scheiß auf die Tiere“ bedeutet. Den | |
| Titel komplett macht die Frage „und dann?“ | |
| Interessant wird freilich, ob ein Wahlerfolg eine interne Diskussion der | |
| PvdD wieder ins Rollen bringt, die zuletzt intern für einige Aufregung | |
| gesorgt hatte. Etwa zur Hälfte der nun auslaufenden Legislaturperiode hatte | |
| sich die Abgeordnete Femke Merel van Kooten-Arissen aus der Fraktion | |
| verabschiedet. Anlass war ein Richtungsstreit. Sie plädierte für einen | |
| stärkeren Fokus auf Menschenrechte. Die damalige Parteichefin Marianne | |
| Thieme dagegen setzte verstärkt auf die Kernwerte: Die PvdD werde sonst mit | |
| Sozialdemokraten oder Grünen verwechselbar. | |
| 15 Mar 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tobias Müller | |
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