# taz.de -- Wahlen in den Niederlanden: Der Steuermann-Effekt | |
> Bereits ab Montag wählen die Menschen in den Niederlanden ein neues | |
> Parlament. Premier Rutte gilt wegen des Krisenmanagements als Favorit. | |
Bild: Mark Ruttes Partei hat in den Umfragen einen klaren Vorsprung | |
AMSTERDAM taz | [1][Bei den niederländischen Parlamentswahlen] in dieser | |
Woche ist vieles neu: Um Andrang in den Wahllokalen zu vermeiden, öffnet | |
ein Teil schon am Montag – der offizielle Wahltermin ist Mittwoch. In jedem | |
Lokal achtet ein Helfer speziell darauf, dass ausreichend Abstand | |
eingehalten wird. Eine Gesichtsmaske ist obligatorisch, Tische und Urnen | |
werden regelmäßig gereinigt. Die für die Wahl charakteristischen roten | |
Buntstifte dürfen die Wähler diesmal behalten. | |
Bei der wichtigsten Frage jedoch bleibt voraussichtlich alles beim Alten: | |
Seit Monaten bescheinigen sämtliche Umfragen der liberalen Partei des | |
Ministerpräsident Mark Rutte Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) | |
einen derart klaren Vorsprung, dass alles andere als ein Wahlsieg | |
überraschend wäre. Sie verfügt derzeit über 32 Parlamentssitze und führt | |
eine Vierparteienkoalition an, zu der die konservativen Parteien CDA und | |
Christliche Union sowie die Mitte-links-Partei D66 gehören. | |
Laut dem Umfrageportal peilingwijzer.nl kann die seit 2010 regierende VVD | |
mit 38 der 150 Sitze rechnen. Die rechtspopulistische Freiheitspartei (PVV) | |
und die CDA liegen demnach bei 19 beziehungsweise 17 Sitzen, die | |
Christliche Union bekäme 6, D66 15 Sitze. Generell tummeln sich die linken | |
Parteien zwischen zehn und 15. | |
Ruft man sich die Bilder vom Jahresbeginn vor Augen, verwundern diese | |
Zahlen. [2][Mehrfach eskalierten Proteste] [3][gegen die Coronamaßnahmen | |
der Regierung], insbesondere nachdem Ende Januar eine nächtliche | |
Ausgangssperre in Kraft trat. Ein Krankenhaus wurde mit Steinen beworfen, | |
eine Coronateststraße ging in Flammen auf. Von der amorphen Verbindung aus | |
Identitären, Fans des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, Esoterikern | |
und Verschwörungsgläubigen sprang der Funke der Gewalt auf Jugendliche | |
über. Sogar noch am Sonntag kam es bei einer Protestaktion gegen die | |
Corona-Maßnahmen in Den Haag zu Ausschreitungen. Demonstranten griffen die | |
Polizei nach eigenen Angaben mit Feuerwerkskörpern an. | |
## Rutte ist nicht beliebt – doch anerkannt als Krisenmanager | |
Arithmetisch ist der vermeintliche Gegensatz zu den Umfragen schnell | |
erklärt: Der Vorsprung der VVD auf die anderen Parteien ist seit Mitte 2019 | |
derart groß, dass selbst eine zunehmend rabiate Protestbewegung bislang | |
wenig ins Gewicht fällt – zumal sie sich ohnehin nicht aus Kreisen speist, | |
in denen die VVD hoch im Kurs steht. Sie ist als strikt marktliberale | |
Partei der Unternehmer und Besserverdiener bekannt. | |
[4][Zumal im Frühjahr 2020 die Zustimmungswerte in die Höhe schossen], als | |
Rutte während des ersten Lockdowns seine regelmäßigen Ansprachen an die | |
merklich verunsicherte und besorgte Bevölkerung begann. Inzwischen sind die | |
Zustimmungswerte leicht gesunken, doch der Abstand zum Rest des Spektrums | |
ist noch immer erheblich. | |
Hauptursache dafür ist zum einen Ruttes längst etablierte Rolle als | |
Krisenmanager. Genau wie seine Partei ist auch der Premier an sich nicht | |
sonderlich beliebt im Land, wohl aber anerkannt als Steuermann durch | |
schwere See. In einem Wahlkampf, in dem die Pandemie alle anderen Themen in | |
den Schatten stellt, zahlt sich diese Qualität doppelt aus. Eine Umfrage | |
der Tageszeitung Volkskrant bestätigt diese Tendenz: „Die Wähler setzen auf | |
Sicherheit, nicht auf Inhalt“, bilanziert sie. Einer der Forscher | |
erläutert: „Die Coronakrise liegt wie eine Decke über allen anderen | |
Themen.“ | |
## Der Mainstream ist „Mitte-rechts“ | |
Daneben spiegeln die Umfragen durchaus die politische Kultur des Landes | |
wider, in dem der Mainstream liberal-bürgerlich, marktfreundlich und | |
„Mitte-rechts“ ist – wie die letzte Koalition, aus VVD, Christdemokraten, | |
den liberalen Democraten66 (D66) und der calvinistischen ChristenUnie | |
(CU). Der gemeinsame Anteil der drei linken Parteien – die | |
sozialdemokratische Arbeitspartei (PvdA), GroenLinks und Socialistische | |
Partij (SP) – ist dagegen in vier Parlamentswahlen seit 2006 von 65 auf 37 | |
der 150 Sitze gesunken. | |
Bemerkenswert ist dabei, dass diese Konstellation offenbar auch bestehen | |
bleibt, wenn sich Inhalte verschieben. So wollen die Christdemokraten die | |
starke Marktorientierung im Gesundheitssektor begrenzen. Die künftigen | |
Kosten der Coronakrise werden in diesem Wahlkampf noch nicht thematisiert, | |
stattdessen stehen Investitionen im Vordergrund. Selbst die VVD, die gerne | |
eine „Beteiligungsgesellschaft“ und Eigeninitiative propagiert, verspricht | |
„einen starken Staat, der manchmal in die Wirtschaft eingreift“. | |
Diese Kräfteverhältnisse bedeuten im Umkehrschluss freilich nicht, dass die | |
Zeit der Proteste vorbei ist. Wer sich die Abfolge der letzten Wahlen und | |
ihrer Wahlkämpfe anschaut, gelangt zur Feststellung: auf eine Zeit der | |
Konsolidierung folgt mit Sicherheit eine der aufgeheizten Konflikte. | |
15 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Müller | |
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