# taz.de -- Nach Aus für AstraZeneca-Vakzin: Von Impfstoff zu Impfstopp | |
> Nach Thrombose-Vorfällen werden AstraZeneca-Impfungen in Deutschland | |
> vorerst eingestellt. Die Impfstrategie gerät durcheinander. | |
Bild: Rote Karte für AstraZeneca – zumindest vorläufig | |
BERLIN, BRÜSSEL taz | Noch am vergangenen Freitag traten | |
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der Leiter des | |
Paul-Ehrlich-Instituts im großen Saal der Bundespressekonferenz auf und | |
versicherten: Astrazeneca sei sicher. | |
Zuvor hatte erst Österreich eine Charge des britisch-schwedischen | |
Impfstoffherstellers gestoppt. Dänemark, Rumänien und Bulgarien setzten die | |
Impfungen wenig später gar komplett aus. Es waren Fälle aufgetreten, bei | |
denen der AstraZeneca-Impfstoff offenbar Thrombosen auslöst. Das wollten | |
diese Länder überprüfen. Spahn und das Paul-Ehrlich-Institut [1][sahen da | |
keinen Zusammenhang]. | |
Am späten Montagnachmittag dann der Paukenschlag: Spahn kündigte an, | |
[2][auch Deutschland werde die Impfungen erst einmal aussetzen]. Es handele | |
sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme, versicherte er. Denn inzwischen gab | |
es auch in Deutschland Fälle, 7 von ihnen mit Sinusvenenthrombose, einer | |
sehr seltenen Form von Blutgerinnseln im Gehirn – 3 der Thrombosen | |
verliefen tödlich, bestätigte das Paul-Ehrlich-Institut. Nicht nur bei den | |
rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland, die diesen Impfstoff bislang | |
verabreicht bekommen haben, ist die Verunsicherung nun groß. | |
Bei der Bewertung der Vorfälle muss zwischen Thrombosen im Allgemeinen und | |
der deutlich selteneren Sinusvenenthrombose unterschieden werden. Als | |
Thrombose bezeichnet man die Verstopfung von Gefäßen durch Blutgerinnsel, | |
am häufigsten sind die Beinvenen betroffen. Rein statistisch gesehen treten | |
venöse Thrombosen jedes Jahr bei einem von 1.000 Menschen auf. Die bislang | |
in Europa im zeitlichen Zusammenhang mit einer AstraZeneca-Impfung | |
berichteten Fälle von Thrombosen liegen unter der statistisch zu | |
erwartenden Anzahl von Thrombosen unabhängig von einer Impfung. Gleiches | |
gilt für die Daten aus Großbritannien, wo bisher die meisten Menschen mit | |
AstraZeneca geimpft wurden. Dort ist übrigens auch die Anzahl der | |
aufgetretenen Thrombose-Ereignisse nach AstraZeneca-Impfung und nach | |
Biontech-Impfung vergleichbar. | |
## „Sehr kleine Zahl“ von Zwischenfällen | |
Anders verhält es sich bei den nun vom Paul-Ehrlich-Institut berichteten | |
Fällen einer Sinusvenenthrombose. Dabei handelt es sich um eine Thrombose | |
in den Hirnvenen und den in der harten Hirnhaut verlaufenden Blutleitern, | |
genannt Sinus. Betroffen sind häufig Menschen im dritten und vierten | |
Lebensjahrzehnt, Frauen dreimal so häufig wie Männer. Gerinnungsstörungen | |
und hormonelle Verhütungsmethoden gelten als Risikofaktoren. Symptome sind | |
starke anhaltende Kopfschmerzen und neurologische Ausfallerscheinungen wie | |
etwa Sehstörungen sowie Übelkeit und Erbrechen. | |
Die Sinusvenenthrombose tritt mit einer jährlichen Häufigkeit von 1 bis 2 | |
Fällen pro 100.000 Erwachsenen auf. Entsprechend wären in einer Kohorte von | |
rund 1,6 Millionen Geimpften statistisch gesehen in den Wochen seit | |
Impfbeginn mit AstraZeneca zwischen 1 und 2 Fällen zu erwarten. Bei solch | |
geringen Fallzahlen ist eine Bewertung zwar schwierig. Zu beachten ist | |
jedoch, dass die jüngst aufgetretenen sieben Fälle zusätzliche medizinische | |
Besonderheiten aufweisen, die nicht nur eine besondere Behandlung | |
erfordern, sondern eben in der Verbindung auch noch seltener auftreten | |
dürften. Auch Expert*innen wie der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach | |
(SPD) halten einen Zusammenhang mit der Impfung daher für wahrscheinlich. | |
Das Paul-Ehrlich-Institut hat die Daten an die Europäische | |
Arzneimittelbehörde EMA zur Analyse und Bewertung weitergereicht. | |
Diese versuchte am Dienstag, den Streit über AstraZeneca zu versachlichen. | |
Dass es Probleme mit einem Impfstoff geben würde, sei „nicht unerwartet“, | |
sagte EMA-Chefin Emer Cooke bei einer Video-Pressekonferenz. | |
Schließlich handele es sich um neu entwickelte Wirkstoffe. Allerdings geht | |
es es bisher um eine „sehr kleine Zahl“ von Zwischenfällen. Diese würden | |
nun von den EMA-Experten untersucht; am Donnerstag wollen sie ihr Urteil | |
abgeben. Möglich seien etwa zusätzliche Warnhinweise für AstraZeneca. | |
Zunächst müsse man aber das Ergebnis der Untersuchung abwarten. „Wir sind | |
immer noch zutiefst überzeugt, dass die Vorteile des AstraZeneca-Impfstoffs | |
bei der Vorbeugung von Covid-19 mit dem damit verbundenen Risiko eines | |
Krankenhausaufenthalts und dem Tod das Risiko dieser Nebenwirkungen | |
überwiegen“, betonte Cooke. | |
Das Paul-Ehrlich-Institut empfiehlt mit AstraZeneca geimpften Personen | |
indes, bei länger als 4 Tagen nach der Impfung anhaltendem Unwohlsein einen | |
Arzt aufzusuchen. | |
## Konsequenzen für die Impfstrategie | |
Für die Impfstrategie hat das Aussetzen der Impfung erhebliche Folgen. | |
Bereits vergebene Impftermine mussten abgesagt werden, in Berlin etwa wurde | |
die geplante Impfung von obdachlosen Personen auf unbestimmte Zeit | |
verschoben und die in dieser Woche gestartete Impfung von Menschen mit | |
Behinderung ausgesetzt. | |
Zudem sollte am Mittwoch eigentlich der Impfgipfel von Bund und Ländern | |
stattfinden, auf dem besprochen werden sollte, wie die Impfstoffverteilung | |
beschleunigt werden kann. Man wolle nun aber die Ergebnisse der | |
EMA-Untersuchung abwarten, der Impfgipfel soll erst am Freitag stattfinden. | |
„Dann haben wir hoffentlich Klarheit“, sagte die Ministerpräsidentin von | |
Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer. | |
Zumindest ein Stück weit könnten die durch den vorläufigen | |
AstraZenca-Impfstopp verursachten Verzögerungen im Laufe des zweiten | |
Quartals ausgeglichen werden. | |
Die EU hat mit Biontech und dem Partner Pfizer eine vorgezogene Lieferung | |
von 10 Millionen Impfstoffdosen im zweiten Quartal vereinbart. Diese | |
stammen aus der Option von 100 Millionen Dosen, die im dritten | |
beziehungsweise vierten Quartal geliefert werden sollten, teilt die | |
EU-Kommission mit. Im zweiten Quartal würden somit über 200 Millionen | |
Impfdosen zur Verfügung gestellt. Zu den vorgesehenen rund 40 Millionen | |
Dosen, die Deutschland bis Jahresmitte von Biontech erwartet, kommen damit | |
10 Millionen von dem Mainzer Unternehmen hinzu. Von AstraZeneca war auch | |
ohne den vorläufigen Impfstopp mit weniger zu rechnen. Das Unternehmen | |
hatte angekündigt, wegen Lieferengpässen im zweiten Quartal ohnehin nur | |
etwa die Hälfte liefern zu können. | |
16 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
Manuela Heim | |
Felix Lee | |
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