| # taz.de -- Fridays for Future in Bitterfeld: Jonas gibt nicht auf | |
| > Manchmal steht Jonas Venediger ganz allein mit seinem FFF-Plakat für | |
| > Klimaschutz in der AfD-Hochburg Bitterfeld-Wolfen. Immer wieder setzt er | |
| > sich dem Hass aus. | |
| Bild: Eine Handvoll junger Leute demonstrieren im Juli 2020 in Bitterfeld für … | |
| Jonas greift in seinen Rucksack und zieht einen Aufkleber heraus. Darauf | |
| eine Katze mit Sonnenbrille in Herzform und den Worten: „Hier war | |
| rassistischer Dreck“. Er klebt ihn über einen rechten Spruch. | |
| Die Straßen in Bitterfeld-Wolfen sind an diesem kalten Oktobertag wie | |
| leergefegt. Regentropfen prasseln auf den Asphalt, Wasser sammelt sich in | |
| einem Schlagloch. Jonas dreht sich um, blickt nach links, nach rechts. Sein | |
| Atem lässt seine Brillengläser beschlagen. | |
| Als Jonas den „Goitzsche Front“-Sticker – eine Deutschrockband, die dem | |
| rechten Rand zugeordnet wird – auf einer Laterne überklebt, rollt ein | |
| grauer VW die Schotterstraße hinunter. Ruckelnd bleibt das Auto vor ihm | |
| stehen. Drei Männer, zwei mit rasiertem Schädel, blicken durch das Fenster. | |
| Der Fahrer lässt den Motor laufen, mustert Jonas: sein Gesicht, seine | |
| Klamotten, seine Hände. Minuten vergehen. | |
| „Das passiert hier ständig“, sagt Jonas dazu später. „Oft glotzen Leute | |
| auch aus den Fenstern.“ Langsam schleicht der VW bis an die Kreuzung, | |
| bleibt noch einmal stehen. Köpfe drehen sich, blicken zurück. Dann biegt | |
| das Auto um die Ecke. | |
| Jonas ist 17 Jahre alt. Er engagiert sich in seiner Heimatstadt in | |
| Sachsen-Anhalt nicht nur gegen rechts. Er kämpfe für mehr Gerechtigkeit auf | |
| allen Ebenen, sagt er. Und dieser Kampf hat ihn zu einem Aktivisten | |
| gemacht. Seit 2018 setzt er sich für Klimaschutz ein – und damit fast im | |
| Alleingang gegen die Kommunalpolitik: Die Stadt gibt kaum Geld für ein | |
| Klimaschutzkonzept aus. Und die AfD, zweitstärkste Partei in der | |
| 46.000-Einwohner-Stadt, stürzt sich bei jeder Demo auf Jonas und seine | |
| wenigen Mitstreiter. | |
| 2019 sind 1,4 Millionen Deutsche für Klimaschutz auf die Straße gegangen – | |
| vor allem in Metropolen wie Berlin und Hamburg. Auch in größeren Städten im | |
| Osten fanden Demos statt. Doch in der ostdeutschen Provinz scheinen sich | |
| wenige für das Thema zu interessieren. Vor allem in den kleinen Gemeinden | |
| trauen sich viele Jugendliche nicht auf die Straße: Zu groß ist die Angst, | |
| erkannt zu werden oder auf dem rechten Radar zu sein. | |
| Jonas findet in Bitterfeld-Wolfen kaum Unterstützung. Vor allem aber setzt | |
| er sich jedes Mal aufs Neue dem Hass aus. Viele der Bewohner und | |
| Bewohnerinnen kennen seinen Namen, sein Gesicht. | |
| „Ich find ja Dessau schon hässlich, aber Bitterfeld toppt alles“, sagt | |
| Mike, während er sein Fahrrad über die matschige Wiese schiebt. Um bei der | |
| Kundgebung im Bitterfelder Stadtpark „Grüne Lunge“ dabei sein zu können, | |
| sind seine Freundin und er aus Dessau mit dem Zug gekommen. Wenige Meter | |
| von ihm entfernt steht Jonas, eine Gitarre baumelt um seinen Oberkörper. Er | |
| baut einen Notenständer auf. | |
| ## Sie wollen, dass der Planet nicht vor die Hunde geht | |
| Neben Mike, der gerade seine Ausbildung bei der Deutschen Bahn macht, und | |
| seiner Freundin sind noch Henriette aus Halle und Alina aus Wolfen | |
| angereist. „Mit Berlin sind wir nicht vergleichbar“, sagt Mike, und alle | |
| lachen. Keiner von ihnen hat ein Plakat dabei. Keiner hat sein Gesicht mit | |
| Glitzer bemalt oder trägt ein buntes Banner. Auf ihre Demo haben sie sich | |
| nicht groß vorbereitet, die Flyer zum Verteilen haben sie auch zu Hause | |
| vergessen. | |
| Alina zieht sich ihre Kapuze tief ins Gesicht: „Du weißt nie, mit wem du | |
| hier sprichst“, sagt sie und nickt hinüber zu einem Mann, der von einer | |
| Parkbank zu den fünf Aktivist_innen herüberschaut. Etwas verloren stehen | |
| sie auf dem fußballfeldgroßen Gelände. Mehr werden heute nicht kommen. | |
| Am Donnerstagmorgen, einen Tag nach der Demonstration, sind alle | |
| Rollatorenparkplätze im Café Schäfer am Marktplatz belegt. Auf den | |
| Porzellantellern der Gäste türmen sich Makronentörtchen und Prasselkuchen. | |
| Jonas Venediger sitzt zusammen mit Christian Hennicke an einem Tisch in der | |
| hintersten Ecke, sie wärmen ihre Hände an ihren Kaffeetassen. | |
| Christian Hennicke sitzt für die Grünen im Stadtrat von Bitterfeld – als | |
| einer der Letzten seiner Partei. 2015 wurde die Fensterscheibe des | |
| Grünen-Büros mit einem Gullydeckel eingeworfen, seitdem trifft er sich mit | |
| Jonas lieber an öffentlichen Orten. Seine Parteikollegen, erzählt Hennicke, | |
| seien alle nach Süddeutschland gezogen, meist nach Baden-Württemberg oder | |
| Bayern: Dort könne man mehr bewegen als in der AfD-Hochburg Bitterfeld – | |
| und man habe zumindest ein Parteibüro. | |
| Wenn Hennicke von Westdeutschland spricht, sagt er: „Die von drüben.“ Seit | |
| 2019 engagiert er sich privat für die kleine Fridays-for-Future-Community. | |
| Jonas unterstützt er seit Tag eins. „Das ist schon sehr ungewöhnlich, wenn | |
| Leute aus Bitterfeld jung und begeistert sind“, sagt Hennicke während er | |
| zwei Päckchen Zucker aufreißt. Nicht selten bekommt er vorgehalten, er | |
| mache das nur aus politischem Kalkül, er wolle bei Fridays for Future (FFF) | |
| nur neue Wähler_innen finden. | |
| Im September 2018 plante Jonas im Café Schäfer seine erste FFF-Kundgebung. | |
| Zwanzig Leute erschienen zu der Veranstaltung. Und binnen Minuten auch die | |
| AfD. „Schuften für Eure Dekadenz“ stand auf einem Plakat, das der | |
| AfD-Landtagsabgeordnete Hannes Loth vor ihnen auf den Bordstein stellte. | |
| „Wir wurden angeglotzt und abfotografiert wie im Zoo“, erzählt Jonas und | |
| fährt sich durch seine blonden langen Haare. „Das war abartig.“ | |
| Es dauerte nicht lange, bis die Hetze auch die sozialen Medien erreichte: | |
| „Zu DDR-Zeiten wären die in Torgau im Jugendknast“, schrieb ein Nutzer auf | |
| Facebook unter ein Foto von Jonas bei der FFF-Demo. „Die hätten nicht so | |
| viel Müll labern sollen. Hier zeigt sich der wahre Charakter von Hennicke | |
| und seinen Vasallen“, kommentierte jemand. „Wir prügeln euch mit Büchern�… | |
| schrieb ein anderer. | |
| Zur zweiten Demo, ein paar Wochen später, erschien keiner mehr. Seitdem | |
| steht Jonas oft allein mit Gitarre und Plakat auf dem Robert-Schumann-Platz | |
| vor dem Stadtpark. Passanten spucken ihm mitunter vor die Füße, schütteln | |
| den Kopf, brüllen ihn an, erzählt er. Nach seiner Aktion findet Jonas | |
| Bilder von sich in rechten Facebook-Gruppen mit der Schlagzeile: „Kein | |
| Durchhaltevermögen von FFF in Bitterfeld.“ Und Jonas sagt: „Auf die AfD ist | |
| Verlass. Die ist immer da.“ | |
| ## Da gibt es nichts zu beschönigen | |
| Vor dem Café Rainbow in Bitterfeld steht eine menschengroße Eistüte aus | |
| Plastik. Ihre Kugeln hat jemand schwarz-rot-gold angemalt. Leer stehende | |
| Geschäfte, Bestattungsunternehmen und Seniorenheime säumen die Gehwege der | |
| Innenstadt. Eine Ziegelsteinwand ruft mit schwarzer Schrift Passanten auf: | |
| „Weg von der Glotze. Rein in den Widerstand! Widerstand.info“. Wer die | |
| Website aufruft, findet unter dem Schlagwort „Patrioten Propaganda – Dein | |
| heimattreuer Versand“ Gesichtsmasken und Sturmhauben in den Farben der | |
| Reichskriegsflagge. | |
| Am Stadtrand von Bitterfeld heißen die Schrebergärten „Erholung e. V.“ und | |
| „Kühler Grund“. Unter einem Vordach spielen Männer Karten, über ihnen | |
| flattert eine Deutschlandflagge. Von den Balkonen eines alten | |
| DDR-Wohnblocks hängen vertrocknete Topfpflanzen. | |
| Auf den ersten Blick bestätigt Bitterfeld sämtliche Klischees eines | |
| hässlichen Deutschland: Armut, Arbeitslosigkeit, rechte Gewalt. Ein | |
| abgehängter Ort. Stillstand. Wären da nicht auch Menschen wie Jonas | |
| Venediger und Christian Hennicke, die gegen das Klischee ankämpfen. Die | |
| sich für mehr Gerechtigkeit einsetzen, für Nachhaltigkeit und ein | |
| solidarisches Miteinander. Die zeigen wollen: Ja, hier läuft viel schief. | |
| Aber uns gibt es auch noch. | |
| 17 Kilometer schiebt Jonas sein Fahrrad heute durch Bitterfeld-Wolfen, um | |
| seine Heimatstadt zu zeigen. Im Vorjahr hat er seine Ausbildung zum Bäcker | |
| abgebrochen. Der Sexismus am Arbeitsplatz sei unerträglich gewesen, erzählt | |
| er: Die frauenfeindlichen Sprüche seiner Kollegen, die Kommentare zu seinen | |
| langen Haaren, das Gelächter, weil Jonas im Alltag gendert. Was er in der | |
| Zukunft machen möchte, weiß er noch nicht. Fotograf wäre sein Traum. Und in | |
| eine große Stadt ziehen, vielleicht nach Halle. | |
| Doch Jonas fehlt das Geld. Weder von seiner alleinerziehenden Mutter noch | |
| von seinem Vater bekommt er Taschengeld. „Es ist verdammt schwierig, hier | |
| einen Job zu finden. Entweder man wird Verkäufer, oder man geht in die | |
| Chemie“, sagt er und tritt gegen seinen Fahrradreifen. Dann biegt er ab in | |
| eine Seitenstraße: „Schwarzer Weg“ heiße die Gasse neben den Gütergleise… | |
| Früher habe er diese Straße nie nach Hause laufen dürfen. Seine Mutter | |
| hatte es ihm verboten: In der dunklen Gasse hingen nur Nazis und | |
| Obdachlose ab. | |
| Häuser mit verwitterten Ziegelsteinen säumen die Straße. Spitzengardinen | |
| und Plastikorchideen sind hinter gesplittertem Fensterglas zu sehen. | |
| ## Keine Vorzeigestadt | |
| Parallel zum Schwarzen Weg, auf der anderen Seite der Gütergleise, | |
| erstreckt sich ein Teil des „Solar Valley“ – einer Photovoltaikplantage, | |
| die seit gut zehn Jahren stillsteht. Der einst aufstrebende Solarstandort | |
| wurde von der asiatischen Konkurrenz vom Markt gedrängt: Tausende | |
| Bitterfelder verloren damals ihre Arbeit. | |
| „In der DDR war Bitterfeld mal eine Vorzeigestadt“, sagt Jonas. „Heute ist | |
| hier nichts mehr was wert. Die Menschen sind total frustriert.“ | |
| Seit über 100 Jahren ist Bitterfeld-Wolfen Chemiegebiet, produziert | |
| Kopfschmerztabletten und Glasfaserkabel, Kohle und Ton für ganz Europa. Der | |
| Chemiepark gibt auch heute noch über 11.000 Menschen Arbeit. Doch jeder | |
| Fünfte hier ist ohne Job, viele merken nichts von dem wirtschaftlichen | |
| Aufschwung, der ihnen einst versprochen wurde. | |
| Doch nicht nur die konstante Arbeitslosigkeit setzt der Stadt zu: 2015 | |
| stand Bitterfeld vor allem wegen rechter Gewalt in den Schlagzeilen. Damals | |
| schmissen Rechtsradikale einen Molotowcocktail auf einen Wohnwagen der | |
| linken Wohnsiedlung AKW. Seitdem seien Gewalttaten zwar seltener geworden, | |
| der Hass sei aber keinesfalls aus Bitterfeld verschwunden, sagt Steffen | |
| Andersch, Mitarbeiter der mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. Die | |
| Gewalt habe sich in größere umliegende Städte verlagert, wie Dessau-Roßlau | |
| und Halle. | |
| Steffen Andersch beschäftigt sich intensiv mit Rechtsextremismus in Anhalt | |
| und Umgebung. Landesweit seien die AfD-Strukturen in Bitterfeld-Wolfen am | |
| stärksten, sagt er am Telefon: „Sie durchdringen praktisch die Mitte der | |
| Gesellschaft.“ | |
| Der Klimawandel spiele bei der AfD und im Rechtspopulismus bisher eine | |
| untergeordnete Rolle. Aber: „Kleine Gruppen und einzelne Personen, die sich | |
| für das Klima und die Demokratie starkmachen, werden hier im Osten bedroht. | |
| Im Internet, aber auch von einzelnen Neonazis“, sagt Andersch. | |
| ## „Every day for the future“ | |
| Das Klimaschutzkonzept von Oberbürgermeister Armin Schenk lautet: | |
| Baumpflanzung, Verminderung des Strom- und Wasserverbrauchs, Sanierung und | |
| Ausbau von öffentlichen Gebäuden und Infrastruktur. Nicht Fridays for | |
| Future, sondern „every day for the future“, sagt Schenk am Telefon. Und im | |
| gleichen Atemzug fügt er hinzu: „Wenn’s um das Eingemachte geht, setzen | |
| sich Jugendliche nicht weiter für das Klima ein.“ Jedenfalls solange man | |
| ihnen nicht das Handy wegnehme. | |
| Auf die Frage, ob Klimawandelleugner_innen in seiner Stadt wohnen, | |
| antwortet er, die gebe es überall. Das Klima sei ihm nicht unwichtig, doch | |
| die Stadt trage noch einen großen Sack Schulden mit sich herum. Und um den | |
| müsse man sich auch kümmern. | |
| Vor einiger Zeit, erzählt Schenk, der 2016 als CDU-Kandidat zum | |
| Oberbürgermeister gewählt wurde, wurde er von dem Verein „Demokratie lebt“ | |
| in Bitterfeld zu einer Klimadebatte eingeladen. Dort seien nur zwei | |
| Jugendliche dabei gewesen, einer davon war Jonas. „Am Ende ging es nur um | |
| die Verwendung von Plastikgeschirr auf Stadtfesten und von nachhaltigem | |
| Kopierpapier“, sagt Schenk. | |
| Die Berichterstattung über den Osten, besonders aber über seine Stadt sei | |
| zu negativ, sagt er: „Erst das mit dem Umweltskandal in den 80ern“, er | |
| meint die Verschmutzung durch die Chemieindustrie, „jetzt haben wir auch | |
| noch die AfD. Das klingt nicht nach einem Ort, wo man hinwill. Solche | |
| Botschaften will keine Stadt haben.“ Es müsse mal andere Schlagzeilen | |
| geben. Die Industrie, etwa, sei viel weltoffener geworden. Nur wisse das | |
| fast keiner. Was die Unternehmen angehe, biete Bitterfeld mittlerweile eine | |
| ganze Bandbreite an Internationalität. „Ich wünsche mir, dass sich das | |
| irgendwann auch in unserer Stadt widerspiegelt“, sagt Schenk. „Das wird | |
| kein einfacher Weg, daran muss man kontinuierlich arbeiten.“ | |
| Ein sehr großes Problem, das Schenk in seiner Stadt sieht, ist die | |
| Abwanderung der jungen Menschen. Sie gehen wegen der Ausbildung. Fast | |
| keiner kehrt zurück. Die beruflichen Aussichten hier seien nicht rosig, | |
| sagt der Bürgermeister. Auch Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche | |
| seien kaum vorhanden. Schenk spricht von „Klebeeffekten“, die junge | |
| Menschen an die Stadt binden sollen. Ihm ist es wichtig, dass Bitterfeld | |
| eine attraktive Stadt wird, die jungen Heranwachsenden eine Zukunft bietet. | |
| Nur wie er diese Effekte schaffen soll, weiß er noch nicht. | |
| ## AfDler verteilen Flyer | |
| Draußen, auf dem Marktplatz, zwischen Obst- und Gemüseständen und vor dem | |
| Café Schäfer, verteilen Mitarbeiter des Wahlkreisbüros der AfD am frühen | |
| Morgen Kugelschreiber, Feuerzeuge und Flyer an Passanten. Jeden Freitag. | |
| Jede Woche im Jahr. „Die haben hier eine unglaubliche Marketingmaschine“, | |
| sagt der Grüne Hennicke. Und Klimaaktivist Jonas sagt: „Die AfD pflanzt | |
| einen einzigen Apfelbaum und schreibt sich Umweltschutz auf die Fahne.“ Es | |
| sei die Reichweite, die sie so erfolgreich mache. Die Rechtspopulisten | |
| seien hier auf lokaler Ebene sehr gut vernetzt. „Kommunalpolitisch macht | |
| die AfD hier mehr als alle anderen. Die machen es einfach besser“, sagt | |
| Jonas. | |
| „Nee, die sind nicht besser. Die verkaufen sich besser“, wirft Hennicke | |
| ein. „Sich für das Klima einsetzen hat hier eine andere Bedeutung als im | |
| Westen.“ | |
| Seit Oktober sucht Jonas nach einem Ausbildungsplatz. Ein Dutzend | |
| Bewerbungen hat er geschrieben – und bisher nur Absagen bekommen. Der | |
| Lockdown setzt ihm zu, erzählt er am Telefon. „Ich habe keine Ahnung, was | |
| ich machen soll, es gibt ja kein Recht auf Ausbildung, und auch die | |
| aktivistische Eingeschränktheit drückt einen emotional runter.“ | |
| Wegen Corona sind bis jetzt alle FFF-Demos und die Woche gegen Rassismus | |
| abgesagt. Freund_innen, die er kurz vor den Kontaktbeschränkungen bei Demos | |
| in Halle und Dessau kennengelernt habe, verliere er so aus den Augen. Dabei | |
| seien gerade diese Bekanntschaften in Zeiten von Corona und für die | |
| gegenseitige Motivation wichtig. | |
| Stellt er sich nicht manchmal die Sinnfrage, wenn er ganz allein auf dem | |
| Marktplatz in Bitterfeld steht? Natürlich seien Demos an einem Ort, wo es | |
| mehr Anhänger gebe, wirksamer als in Bitterfeld, sagt Jonas. Aber | |
| Aktivismus für eine richtige Sache sei immer sinnvoll, ist er überzeugt – | |
| egal in welcher Form und welchem Ausmaß. | |
| ## Music for Future | |
| Seine ganze Energie steckt Jonas jetzt in das Vorbereiten des „Music for | |
| Future“-Livestreams, der noch im Frühsommer 2021 stattfinden soll. Eine | |
| andere Form des Klimaprotests. Es sei die größte Planung, die er bisher in | |
| seinem Leben machen musste, sagt er – zusammen mit seiner Freundin. Zu | |
| zweit sind sie verantwortlich für das gesamte Marketing, die Organisation | |
| von Kameratechnik und Musiker_innen, für das Aufstellen eines Finanzplans | |
| und eines Hygienekonzepts. Dabei arbeitet Jonas zurzeit Vollzeit in einem | |
| Jugendclub, und seine Freundin macht gerade ihr Abitur. | |
| Für dieses Jahr hat sich Jonas vorgenommen, mit seinen Mitteln der AfD mehr | |
| Druck zu machen, sie noch stärker mit dem Thema Klima öffentlich zu | |
| konfrontieren. Er hofft auf eine öffentliche Diskussion auf dem Marktplatz. | |
| Auch mit dem 80-seitigen Klimaschutzkonzept der Stadt gibt er sich nicht | |
| zufrieden. Das könne Bitterfeld-Wolfen besser. Seine ganze Hoffnung steckt | |
| er in die anstehende Landtagswahl im Juni. Dort müsste an den Urnen gezeigt | |
| werden, wie wichtig den Menschen das Klima ist. | |
| Und noch einen Wunsch habe er, fügt er hinzu. Er wünscht sich ein | |
| Bitterfeld, das es einem schwer macht, zu gehen. | |
| 14 Mar 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Madeleine Claire Londene | |
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