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# taz.de -- Terrorismusexperte über Islamismus: „Die Gefahr ist wieder gesti…
> Geht von Islamisten heute weniger Bedrohung aus? Ja, sagt
> Terrorismusexperte Peter Neumann. Doch Anschläge der jüngsten Zeit gäben
> Anlass zur Sorge.
Bild: Gedenken in Dresden: Im Oktober 2020 ermordete ein Islamist hier einen Ma…
taz: Herr Neumann, seit der [1][Verhaftung von Abu Walaa Ende 2016] hat
sich die Diskussion über Terrorismus in Deutschland sehr verändert. Damals,
kurz vor dem [2][Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz], stand der
islamistische Terror im Mittelpunkt, inzwischen ist dieser deutlich weniger
präsent. Wie schätzen Sie die Gefahrenlage derzeit ein?
Peter Neumann: Mit Blick auf den islamistischen Terrorismus ist es deutlich
weniger gefährlich als noch vor fünf oder sechs Jahren. Zur Hochzeit des
Islamischen Staates, als es das so genannte Kalifat gab, gab es nicht nur
dort eine Infrastruktur, sondern auch hier in Europa. Abu Walaa war Teil
davon. Der IS konnte generalstabsmäßig große Anschläge organisieren – zum
Beispiel in Brüssel und Paris. Diese Fähigkeit hat der IS nicht mehr. 2017
war auf den entsprechenden Kanälen unter den Anhängern auch eine Art
Sinnkrise spürbar. Deshalb sagen manche, das sei alles vorbei.
Und: Ist es das?
Nein, in dieser Zeit wurden sehr viele Leute radikalisiert, und auch wenn
derzeit der Enthusiasmus unter den Anhängern nicht so groß ist, gibt es
weiter Leute, die die Ideen des IS, den bewaffneten Dschihad und auch
Anschläge in Europa, nach wie vor teilen. Die lassen sich wieder
aktivieren. Im Laufe des letzten Jahres, als durch die Diskussion über die
Mohammed-Karikaturen in Frankreich und die Äußerungen von Präsident Macron
die Stimmung angeheizt wurde, war das Gefühl: Es geht wieder ein bisschen
was. Das lag natürlich auch daran, dass es wieder Anschläge gab, die
weitere motiviert haben. Zuletzt ist die Gefahr also wieder etwas
gestiegen.
Wie sieht es in anderen Regionen der Welt aus?
In Syrien und im Irak agieren die Reste des IS als Untergrundarmee, eine
offen agierende Organisation ist das nicht mehr. In anderen Teilen der Welt
ist der Islamische Staat aber stärker geworden, das gilt besonders für
Afrika. Dort gibt es, zum Beispiel in Kenia, Somalia und Uganda in
Ostafrika, eine IS-Präsenz, die es vor vier oder fünf Jahren noch nicht
gab. Aber das hat nicht das Potential, so groß zu werden, wie 2014/2015 in
Syrien und im Irak.
Was heißt das konkret für Deutschland?
Viele der Radikalisierten führen das Leben, das sie vorher auch geführt
haben. Manche haben sich abgewendet, andere halten sich bedeckt. Das haben
wir auch früher schon gesehen. Die erste große Mobilisierung von
Auslandskämpfern war in den 80er Jahren nach Afghanistan. Als der Krieg
vorbei war, sind die meisten in ihre Heimatländer zurück gegangen. Für die
meisten von denen wurde der Dschihad nicht zum Hauptberuf.
Aber ein Teil von ihnen ist im Bosnienkrieg wieder aktiv geworden. In der
aktuellen Situation, in der viele enttäuscht über das Scheitern des
Kalifats sind und der [3][Strafverfolgungsdruck zudem ziemlich intensiv]
ist, warten viele ab, was passiert. Ein Teil von ihnen ist meiner Ansicht
nach ansprechbar für Deradikalisierungsprogramme, weil sie selbst
desillusioniert sind. Das sollte man nutzen.
Es gibt zahlreiche Dschihadisten, die in Deutschland oder anderen
europäischen Ländern im Gefängnis sitzen und bald rauskommen. Was ist mit
denen?
Ein Kollege und ich haben dazu im vergangenen Jahr eine europaweite Studie
gemacht. Deutschland ist das einzige Land in der EU, wo die Extremisten im
Gefängnis nicht zentral erfasst werden. Die Lage in den Bundesländern ist
sehr unterschiedlich. Mancherorts weiß man wenig darüber, ob die Leute sich
weiter radikalisiert haben oder vielleicht deradikalisiert sind.
Das ist ein Problem, denn in Deutschland geht es geschätzt um 100 bis 150
Menschen. Darauf muss man sich vorbereiten – in der Prävention und auch in
der Überwachung. Dazu braucht es eine funktionierende Riskioeinschätzung,
wie gefährlich eine einzelne Person noch ist. Damit müsste man sich jetzt
beschäftigen. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass das systematisch genug
geschieht.
Und wie sieht es bei den IS-Kämpfern aus Deutschland aus, die derzeit in
Syrien und im Irak inhaftiert sind?
Da wird in der Bundesregierung nach dem Sankt-Florians-Prinzip gehandelt –
hoffentlich bleiben sie möglichst lange dort. Da sind Frauen und Kinder
darunter, aber auch schwere Fälle: Die waren bis zum Schluss dabei und
haben gekämpft, sind ideologisch gefestigt und verroht. Früher oder später
werden einige von denen wieder bei uns auftauchen. Auch da passiert nicht
genug, um sich vorzubereiten. Es wäre sinnvoll, die Leute kontrolliert
zurückholen, natürlich nicht alle 300 auf einmal. Die einfachsten Fälle
zuerst, manche würden vielleicht gegen andere aussagen. Dann wäre es
leichter, die schweren Fälle vor Gericht zu stellen. Denn bei vielen
Gerichtsverfahren ist es ja sehr schwierig nachzuweisen, was die Leute in
Syrien konkret gemacht haben.
In Europa gab es zuletzt nur noch kleinere Anschläge, darunter auch die
Messerattacke auf ein schwules Paar in Dresden, bei der einer der Männer
starb. Und [4][der Anschlag in Wien]. In der gesellschaftlichen Debatte ist
das Thema kaum noch präsent. Besteht ein Risiko, dass die Gefahr vom Radar
verschwindet?
Nein, das glaube ich nicht. Momentan gibt es in der Politik und in den
Sicherheitsbehörden dazu noch eine ziemlich solide Haltung. Dort weiß man,
wie wichtig die Nachhaltigkeit ist, auch um die Infrastruktur für
Prävention und Deradikalisierung zu schaffen. Es wäre katastrophal, wenn
dort jetzt Mittel raus gezogen würden. Die Zeit für Prävention ist ja
idealerweise nicht nach, sondern vor Anschlägen. Aber es könnte schon sein,
wenn noch zwei, drei Jahre ohne großen Anschlag vergehen, dass solche
Stimmen lauter werden. Dem muss man unbedingt entgegenwirken.
Wir wissen, dass Islamismus und Rechtsextremismus die beiden
terroristischen Bedrohungen sind, die uns in den nächsten Jahrzehnten in
Westeuropa beschäftigen werden. Und wir müssen beide im Blick behalten.
24 Feb 2021
## LINKS
[1] /Einsatz-in-zehn-Bundeslaendern/!5357211
[2] /Islamistischer-Anschlag-in-Berlin-2016/!5641880
[3] /Urteile-gegen-IS-AnhaengerInnen/!5682111
[4] /Terroranschlag-in-Oesterreich/!5722512
## AUTOREN
Sabine am Orde
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