| # taz.de -- Staatskrise in Somalia: Chaos auf unbestimmte Zeit | |
| > Somalia sollte in diesem Monat die ersten allgemeinen Wahlen seit | |
| > Generationen erleben. Stattdessen nehmen die Spannungen zu. | |
| Bild: Nach dem Anschlag in Somalia am 13. Februar nahe dem Präsidentenpalast i… | |
| Nairobi taz | Fünf Menschen kamen ums Leben, Sicherheitskräfte und | |
| bewaffnete Bewacher der Opposition beschossen sich gegenseitig. Das | |
| Feuergefecht bei einem Protestmarsch in Somalias Hauptstadt Mogadischu am | |
| vergangenen Freitag war ein weiterer Beweis dafür, wie die Spannungen in | |
| Somalia steigen, seit die Deadline 8. Februar für historische allgemeine | |
| Wahlen ergebnislos verstrichen ist. | |
| 2017 wurde die [1][Wahl von Mohamed Abdullahi Mohamed], allgemein bekannt | |
| unter seinem Spitznamen Farmaajo (Käse), zum Präsidenten Somalias noch von | |
| der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung gefeiert. Jetzt wird er von fast | |
| ebenso vielen Somaliern beschimpft – denn er hat es nicht geschafft, | |
| Somalia nach drei Jahrzehnten Chaos und Staatszerfall wieder ein | |
| funktionierendes politisches System zu geben. | |
| [2][Farmaajos Macht als Präsident] der Bundesregierung beschränkt sich auf | |
| die Hauptstadt, im Rest des Landes – abgesehen von der [3][Republik | |
| Somaliland] im Norden, die ohnehin seit fast dreißig Jahren einen eigenen | |
| Staat bildet – herrschen fünf Teilregierungen. Weil sie sich nicht auf das | |
| Wahlverfahren einigen konnten, wurde die bereits im Dezember fällige Wahl | |
| eines Präsidenten verschoben, und bis jetzt gibt es immer noch keine | |
| Einigung und keine Wahl. | |
| Somalia hat ein einzigartiges Wahlsystem. Die Clanältesten wählen | |
| Mitglieder des Parlaments, während die fünf Staaten die Mitglieder des | |
| Senats wählen. Parlament und Senat wählen dann einen Präsidenten. Die | |
| Verfassung erlaubt es dem Staatsoberhaupt, bis zur Wahl eines neuen | |
| Präsidenten im Amt zu bleiben, wenn das Parlament zustimmt. Die Situation | |
| ist jedoch so aufgeheizt, dass die Nachbarländer, aber auch die | |
| internationale Gemeinschaft sehr besorgt sind. | |
| ## Kein Ausweg aus dem Misstrauen | |
| „Wahlen in Somalia gehen immer zusammen mit Aufregung, aber dieses Mal ist | |
| das gegenseitige Misstrauen um ein Vielfaches größer als je zuvor“, sagt | |
| Omar Mahmood von der International Crisis Group. „Somalier sind dafür | |
| bekannt, dass sie immer eine Lösung für Streitigkeiten finden können, indem | |
| sie viel und lange reden. Aber jetzt gibt es nicht einmal einen sichtbaren | |
| Ausweg.“ | |
| Alles in dem Land mit etwa 10 Millionen Einwohnern wird vom Clansystem | |
| kontrolliert. Bemerkenswerterweise gewann Farmaajo, der jahrzehntelang in | |
| den USA gelebt hatte, die Wahlen vor vier Jahren mit der Unterstützung | |
| nicht nur seines eigenen Clans, sondern auch anderer. | |
| Die Hoffnung war daraufhin, dass er ein Führer sein würde, der | |
| Clanstreitigkeiten überbrücken, Somalia vereinen und damit dem Terror der | |
| islamistischen Shabaab-Rebellen ein Ende setzen könnte. Die [4][Shabaab | |
| versuchen seit 2006], mit Gewalt aus Somalia einen islamistischen Staat zu | |
| machen, und kontrollieren immer noch weite Teile des Landes. | |
| Die Hauptaufgabe von Farmaajo bestand darin, die vorläufige Verfassung, | |
| unter der er gewählt wurde, in eine dauerhafte Verfassung umzuwandeln. | |
| Darin sollte aufgenommen werden, dass die Somalier ihre Abgeordneten direkt | |
| wählen. Es wäre ein historisches Ereignis: Allgemeine Wahlen hat es in | |
| Somalia zuletzt 1969 gegeben. | |
| Dann putschte sich General Siad Barre an die Macht und errichtete eine | |
| Diktatur, bis er 1991 von Rebellen gestürzt wurde. Die wurden sich danach | |
| nicht einig, das Land fiel ins Chaos, und erst 2007 wurde überhaupt wieder | |
| eine nationale Regierung installiert, die aber weitgehend machtlos | |
| geblieben ist. | |
| „Farmaajo hat in den vergangenen vier Jahren nichts für eine neue | |
| Verfassung unternommen“, sagt der britische Somalia-Experte Matt Bryden. | |
| „Als klar wurde, dass Direktwahlen aufgrund der Gewalt von Shabaab nicht | |
| möglich waren, unternahm er nichts, um einen anderen Rahmen für die Wahlen | |
| zu schaffen. Tatsächlich hat er es sogar verhindert und die Friktion | |
| zwischen den Teilstaaten und den Zentralbehörden erhöht.“ | |
| ## Kompromiss gesucht | |
| Die Teilstaaten streben nach mehr Autonomie, aber Farmaajo will mehr Macht | |
| für die Zentralregierung. Diese Spannung eskalierte um Gedo, ein Gebiet im | |
| südlichen Teilstaat Jubaland an der Grenze zu Kenia. Farmaajo schickte | |
| vergangenes Jahr föderale Streitkräfte in das Gebiet, aus dem ein Teil | |
| seiner Großfamilie stammt, weil er die Wiederwahl des Ex-Warlords Ahmed | |
| Madobe als Führer von Jubaland nicht anerkennt. | |
| Die nachfolgenden Kämpfe führten dazu, dass zwei Staaten, Jubaland und | |
| Puntland, sich weigerten, bei der Organisation von Wahlen für ganz Somalia | |
| zusammenzuarbeiten. Die Frage ist, wer jetzt einen Kompromiss zustande | |
| bringen kann. „Es muss einen externen Vermittler geben, um aus dieser | |
| gefährlichen Sackgasse herauszukommen“, meint Omar Mahmood. „Die UNO wäre | |
| am besten geeignet. Aber selbst wenn kurzfristig eine Einigung erzielt | |
| wird, wird es noch mindestens drei Monate dauern, bis die Wahlen | |
| stattfinden können.“ | |
| Die Shabaab-Rebellen könnten diese Situation ausnutzen. Fast wöchentlich | |
| verübt die islamistische Bewegung, die 7.000 bis 9.000 Kämpfer zählt, | |
| Anschläge. Erstaunlicherweise kontrolliert sie im Süden und Zentrum | |
| Somalias noch große Gebiete, in denen lokale Behörden eigentlich Steuern | |
| eintreiben. | |
| Gegen Shabaab kämpft die rund 20.000 Mann starke afrikanische | |
| Eingreiftruppe Amisom sowie die Armee der Zentralregierung, die rund 20.000 | |
| Soldaten zählt. Aber in der Vergangenheit wurden die somalischen Soldaten | |
| schlecht oder gar nicht bezahlt, weswegen manche sich Shabaab anschlossen, | |
| wo gut bezahlt wird. „Die Soldaten werden jetzt aber regelmäßig bezahlt, | |
| das ist eine der wenigen Sachen, die sich gebessert haben unter Farmaajo“, | |
| meint Bryden. | |
| Geschwächt wurde seine Regierung voriges Jahr durch den Abzug der | |
| US-Militärausbilder, die eine Eliteeinheit trainierten, während US-Drohnen | |
| Shabaab-Ziele beschossen. Somalische Soldaten werden vor allem von Uganda | |
| und der Türkei trainiert. Auch werden Soldaten in Eritrea trainiert, aber | |
| das ist von Heimlichkeit umgeben. | |
| Zwar hat die Regierung in Mogadischu bestätigt, dass sie Soldaten in | |
| Eritrea hat, aber nicht wie viele. Es gibt dazu unbestätigte Berichte, dass | |
| Eritrea somalische Soldaten für sich kämpfen ließ, als es auf Einladung | |
| Äthiopiens Truppen in die [5][nordäthiopische Region Tigray] schickte. Die | |
| Regierungen von Äthiopien und Eritrea bevorzugen beide eine zentralistische | |
| Führung ihrer Länder, was auch Farmaajo augenscheinlich für Somalia | |
| vorschwebt. | |
| 23 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ilona Eveleens | |
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