# taz.de -- Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“: Im Hier und Gestern | |
> Das Remake bringt den Mythos „Christiane F.“ zurück. Die Amazon-Serie | |
> wabert erfolgreich zwischen Neuinterpretation und Werktreue. | |
Bild: Christiane (Jana McKinnon, 2.v.r) und ihre Freund:innen sind die Kinder v… | |
Vor ziemlich genau 40 Jahren startete Uli Edels „Christiane F. – Wir Kinder | |
vom Bahnhof Zoo“ mit der damals erst 13-jährigen Natja Brunckhorst in der | |
Hauptrolle in den deutschen Kinos. Drei Jahre zuvor, im Jahr 1978, war die | |
Buchvorlage der beiden Stern-Journalisten Kai Hermann und Horst Rieck | |
erschienen. | |
Seither hat sich [1][„Christiane F.“] als ein Schlagwort etabliert, das | |
besonders eindrücklich vor den Gefahren des Drogenmissbrauchs mahnt. Die | |
Jugend der mittlerweile 59 Jahre alten Berlinerin und der Bahnhof Zoo sind | |
längst zum Mythos avanciert. Da ist die Frage, [2][was eine | |
Amazon-Prime-Serie dem heute noch hinzuzufügen hat], ganz unvermeidlich. | |
Dass die Serienschöpfer*innen ihre weiterhin unter dem Titel „Wir | |
Kinder vom Bahnhof Zoo“ firmierende Produktion unbedingt über die | |
Aktualität des Stoffes gegen eine solche Frage schützen wollen, lässt sich | |
an zahlreichen Interview-Äußerungen erkennen: Head-Autorin Annette Hess | |
(„Ku’damm“-Reihe) hebt das „Universelle“ der Geschichte hervor, Regis… | |
Philipp Kadelbach („Parfum“) betont die „Zeitlosigkeit“ des Themas. | |
Unter anderem durch einen jungen Soundtrack wurde versucht, der Serie einen | |
heutigen Anstrich zu verleihen. In der legendären Berliner Disco „Sound“ | |
spielt man anachronistisch Techno, während einer der zahlreichen Szenen in | |
einer verdreckten Bahnhofstoilette untermalt ein Hip-Hop-Track den nächsten | |
„Schuss“. | |
## Heroin als Schreckensdroge | |
Durch Zeitgeistigkeit tun sich die acht jeweils einstündigen Episoden | |
allerdings trotzdem nicht hervor – [3][nicht nur weil Heroin weiterhin als | |
größte Schreckensdroge fungiert]. Die gezeigten Milieus sind klar im | |
Kontext der Siebziger verhaftet. Und auch, wenn die Krisen, die die | |
Jugendlichen in die Sucht treiben, bis zu einem bestimmten Grad global sein | |
mögen, treffen sie doch nicht den Kern des Lebensgefühls der Generation Z. | |
Dass die künstliche Verjüngung nicht ganz aufgeht, tut dem | |
Unterhaltungswert der Serie jedoch keinen Abbruch – im Gegenteil: Es | |
bewahrt sie davor, ein schlechtsitzendes Lehrstück zu sein. | |
Durch inszenatorische Kniffe, die sich aus dieser ständigen Gratwanderung | |
zwischen Werktreue und Neuinterpretation ergeben, kann sie sich | |
eigenständig positionieren. Trotz einiger Querverweise – manche | |
Einstellungen rund um den Akt des Konsumierens erinnern sehr an den | |
Kultfilm „Trainspotting“ – tut sie sich durch eine gestalterische Finesse | |
hervor, wie es sie in der deutschen Serienlandschaft noch viel zu selten | |
gibt. | |
So kommt der Berlin-Hymne „Heroes“ und ihrem Schöpfer David Bowie wie in | |
der Vorlage eine tragende Rolle zu, nicht jedoch ohne ganz eigenen Bruch: | |
Das erste Mal Heroin konsumiert Christiane (Jana McKinnon) während eines | |
seiner Konzerte, serviert von einem Wolf auf dem sprichwörtlichen | |
Silbertablett. Traum, Wirklichkeit und Halluzination verschwimmen immer | |
wieder und machen „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ausgerechnet aus | |
ästhetischen Gesichtspunkten so sehenswert. | |
Eine weitere Besonderheit der Serie ist, dass sie sich den Raum nimmt, die | |
Perspektive von Christiane allein auf besagten Freundeskreis auszuweiten. | |
Nach Klassenkameradin Stella (Lena Urzendowsky), die ihrer | |
alkoholabhängigen Mutter regelmäßig in der Kneipe aushelfen muss, kommen | |
bald die suizidale Babsi (Lea Drinda) und der bereits Heroin-konsumierende | |
Axel (Jeremias Meyer) mit seinen Kumpels Michi (Bruno Alexander) und Benno | |
(Michelangelo Fortuzzi) in ihr Leben. | |
## Der unvermeidbare Absturz | |
Bereits am Ende der ersten Folge verlieren sie das erste Mal gemeinsam | |
buchstäblich die Bodenhaftung, als sie „high“ unter der Decke des „Sound… | |
schweben. Zum Fall kommt es erst wesentlich später. Bis dahin lässt sich | |
„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ausreichend Zeit, um ein spannendes Netz an | |
Figuren zu weben und die einzelnen Charaktere und ihre mannigfaltigen | |
Beziehungen umfassend vorzustellen. | |
Es ist wohl auch dem durchweg hervorragend aufspielenden Cast und der sich | |
so einstellenden Sympathie zu verdanken, dass die einzelnen | |
Handlungsstränge trotz einer gewissen Vorhersehbarkeit interessant bleiben. | |
Der unvermeidbare Absturz der Teenager*innen ist gerade wegen der | |
zeitweise lichten, unbeschwerten Momente in der ersten Hälfte der Staffel | |
dann umso drastischer: Ein Kreislauf aus verstörenden Anfällen auf „Turkey�… | |
und „Anschaffen gehen“ auf dem „Kinderstrich“ in der Kurfürstenstraße | |
entsteht, der für manche im Gefängnis und andere im Grab endet. An der | |
Heftigkeit des Niedergangs der Kinder ändert selbst das bestechend | |
stylische Kostüm- und Szenenbild nichts. | |
19 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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