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# taz.de -- Rechtes Narrativ über den Atomausstieg: Merkel, die getriebene Tre…
> Die Kanzlerin hat mit ihrem Atomausstieg nach Fukushima die Konservativen
> in der Union überrumpelt – angeblich. Aber das ist nur eine Legende.
Bild: Auf die Barrikaden getrieben: Anti-Atom-Protest im April 2011
Berlin taz | Fukushima ist neben dem Flüchtlingsherbst 2015 das zentrale
Kapitel für die [1][Merkel-Erzählung], die sich eingebürgert hat. Die
postideologische Macherin wirft leichthändig konservative Glaubenssätze
über Bord, umarmt und erstickt die Opposition. [2][Fukushima ein
Schlüsselmoment], in dem Merkel der Union die „Anpassung an den rot-grünen
Zeitgeist“ verordnete, so der CDU-Historiker Andreas Rödder. Merkel, die
Mächtige, hat danach im März 2011 die Union zu einem abrupten Kurswechsel
genötigt und die Grünen an die Wand gedrückt. So das Narrativ. Daran ist
nicht alles falsch. Aber hatte sie nicht wenigstens einen Koch dabei?
Im Dezember 2010 verlängerte Schwarz-Gelb die Laufzeit der deutschen AKWs
um knapp 200 Betriebsjahre. [3][Der Atomindustrie winkte dadurch ein
Extraprofit von mehr als 100 Milliarden Euro.] Die Kanzlerin hatte
gezögert, dann aber Lobbyinteressen nachgegeben. Nur zwölf Wochen später
verkündet sie, dass die sieben ältesten deutschen AKWs sofort abgeschaltet
werden. An diesem 14. März 2011 steht FDP-Vizekanzler Guido Westerwelle
neben ihr. Er klingt genauso wie seine Chefin. Fukushima ändere alles, man
brauche ein Moratorium, dann eine schnellere Energiewende. Das Wort
Moratorium hatte Westerwelle schon vor dem Auftritt verlauten lassen. Er
treibt, die Kanzlerin ist zögerlich.
Wesentlich für das Wendemanöver der Union ist einer, von dem man es am
wenigsten erwartet hätte. Stefan Mappus, CDU-Ministerpräsident in
Baden-Württemberg, ein jungkonservativer Merkel-Kritiker, dem die ganze
Richtung zu liberal ist. Mappus, der auch mal den Christopher Street Day
als „abstoßend“ abkanzelt, ist eine Hoffnung der CDU-Rechten. Und mit der
Atomindustrie verwoben.
In Baden-Württemberg stehen Wahlen an. Als klar ist, dass in Fukushima ein
GAU passiert, drängt Mappus die Kanzlerin mit Blick auf die Wahlen, schnell
etwas zu tun. Man einigt sich darauf, alte Atomkraftwerke stillzulegen.
Erst Neckarwestheim, dann Philippsburg. Denn die Stimmung kippt – auch bei
UnionswählerInnen. Ende März lehnen 72 Prozent der Deutschen die Nutzung
der Atomkraft ab. In keinem anderen Bundesland stehen so viele alte Meiler
wie im Ländle. Am Abend des 13. März beschließt Schwarz-Gelb – Merkel,
Seehofer, Kauder, Westerwelle – das Ende der Atomkraft in Deutschland.
## Merkel nie eine Kritikern der Atomkraft
Hätte Merkel gegen den Atomlobbyisten Mappus, gegen die FDP, die Mehrheit
der UnionswählerInnen, SPD und Grüne und die Stimmung im Land am Kurs der
Laufzeitverlängerung festhalten können? Wohl kaum. Dass Merkel der
widerspenstigen Union rabiat einen neuen Kurs aufgenötigt hat, ist eine
Legende der Rechtskonservativen.
Treibt die Kanzlerin in den Tagen nach Fukushima den endgültigen Ausstieg
voran? Oder wird sie getrieben? Beides. Merkel war nie eine Kritikern der
Atomkraft. Im Jahr 2000 hatte sie den rot-grünen Atomausstieg als
„Ideologie“ bekämpft. Doch Fukushima hält sie für eine Zäsur. „Das wa…
soll sie Vertrauten gesagt haben, als sie die Bilder des zerstörten
Reaktors sah. Die Ruine Laufzeitverlängerung zu verteidigen, wäre
machtpolitisch riskanter gewesen, als sie abzureißen. Deshalb wird Merkel,
die sonst gern im Vagen bleibt, deutlich. Fukushima zeige, „dass das nach
wissenschaftlichen Maßstäben für unmöglich Gehaltene“ doch passieren kön…
Die Wende in der Atompolitik zahlt fortan bei Merkel ein. Die Kritik kommt
fortan von Rechtskonservativen, die ihr Anpassung an die Grünen vorwerfen
und Mappus’ Rolle ausradieren. Die nötige Kritik an Merkel hingegen – der
Staat muss wegen dieser Rolle rückwärts Entschädigung an die Atomkonzerne
zahlen – bleibt leise. Merkels Fehler fallen gnädigem Vergessen anheim.
Grüne und SPD arbeiten fortan konstruktiv an der Energiewende mit.
Merkels zentraler Missgriff war nicht die „Anpassung an den rot-grünen
Zeitgeist“, sondern der kurzsichtige Bruch mit dem rot-grünen Atomausstieg
und die Laufzeitverlängerung. Danach handelte sie wie eine Getriebene ihrer
eigenen Fehler. Das aber wird ihr später nicht als Malus angerechnet. Sie
gilt ja als jene, die die AKWs ausgeknipst hat.
Im Jahr 2013 verfehlt die Union nur knapp eine absolute Mehrheit. Der
Kanzlerin ist es gelungen, eigenes Versagen in einen Imagevorteil zu
verwandeln und die Mitte zu besetzen. Handwerklich gesehen ist das ein
Meisterstück. Für die politische Kultur, die in sich stimmiges Handeln
belohnen sollte, ist es eine Niederlage.
10 Mar 2021
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## AUTOREN
Stefan Reinecke
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Fukushima
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