# taz.de -- Neuer Roman von Alexander Osang: Der Autor hat es drauf | |
> Eigentlich soll es die Lebensgeschichte von Uwe aus Ostberlin sein. Doch | |
> Alexander Osang schreibt in „Fast hell“ nur über sich selbst. | |
Bild: Ein Ostdeutscher der von einem Ostdeutschen erzählt, um über sich zu sc… | |
Im Herbst 2019, als der Mauerfall sich zum 30. Mal jährt, schreibt der | |
[1][Journalist Alexander Osang] einen Essay für ein Spiegel-Spezial: „Die | |
Erziehung des Ostens“. In dem Text geht es um die Frage, warum nach 1989 | |
eigentlich stets von den Ostdeutschen erwartet wurde, sich westlichen | |
Gepflogenheiten und Strukturen anzupassen; warum dieser Prozess nie in die | |
andere Richtung verlaufen ist. | |
„Meine Fremdheit hat weniger mit meiner Zeit im Osten zu tun als mit der | |
Zeit danach“, schreibt Osang. „Ich fühle mich wie in einem 30 Jahre | |
währenden Resozialisierungsprogramm.“ Es ist ein großer Text, gehalten in | |
diesem Ich-empirischen Osang-Sound, den der 1962 in Berlin geborene | |
Journalist und Autor in drei Jahrzehnten perfektioniert hat: eine Mischung | |
aus Lakonie und Ironie, dazwischen klug gesetztes Pathos. | |
Anfang 2021 erscheint im Aufbau-Verlag ein Roman von Alexander Osang. „Fast | |
hell“ lautet der Titel. In dem Buch geht es um die Lebensgeschichte von Uwe | |
aus Ostberlin, der seit Jahrzehnten frei schweifend durch die Welt zieht, | |
weil ihm sein Land DDR abhandengekommen ist. Eigentlich, das offenbart | |
Osang gleich auf den ersten Seiten, handelt es sich um eine | |
unveröffentlichte Story für den oben erwähnten Mauerfall-Spiegel. | |
„Der Redakteur wollte eigentlich ein Porträt über Angela Merkel, die | |
Bundeskanzlerin, aber ich dachte gleich an Uwe. Seine Geschichte schien aus | |
dem Stoff zu sein, aus dem die letzten dreißig Jahre unseres Lebens | |
bestanden.“ Uwe statt Angela also. Und natürlich Osang. Um die | |
Vielschichtigkeit der Ostdeutschen zu beschreiben, hat er mit Uwe und | |
dessen verbiesterter Mutter eine Schiffsreise von Helsinki nach Sankt | |
Petersburg und zurück unternommen. Reisen und reden – das ist der Plan. | |
## Fast larmoyant | |
Doch tatsächlich geht es fast ausschließlich um ihn, den Autor des Buches. | |
Uwe, der schwule Berliner, der ein Haus in New York besitzt, in Russland | |
studiert, in China und in Hongkong gelebt hat und dessen ostdeutsche | |
Familie heute nach rechts abrutscht, bildet lediglich die Folie, auf der | |
Osang sich spiegelt. Sein Leben, seine Krisen, die Frauen, die Kinder, | |
seine Jobs. Vor allem: seine Gefühle. | |
Man mag diesen dramaturgischen Kniff kulturelle Aneignung nennen. Doch | |
Osang ist eben auch sprechfähig und authentisch. Er ist ein Ostdeutscher, | |
der von einem Ostdeutschen erzählt, um über sich als Ostdeutschen schreiben | |
zu können. „Das ist unsere Geschichte“, schreibt Osang. „Ein Mann und se… | |
Mutter auf einer Schiffspassage, begleitet von einem Reporter. Niemand muss | |
sterben, aber ganz ohne Schmerz geht es auch nicht.“ | |
Osang weiß, welche dramaturgischen und sprachlichen Knöpfe er drücken, | |
welche Gefühle er bei der Leserschaft hoch- und wieder runterpegeln kann. | |
Die Figur Uwe ist spannend: kaputt und gewitzt, offenherzig und tricky. | |
Aber so richtig interessant ist doch immer nur Osang selbst. | |
Wann immer Uwe tatsächlich ins Erzählen kommt, dreht Osang seinem | |
Protagonisten den Saft ab, um seine eigene Biografie durch dessen | |
Geschichte hindurchzuleiten. Fast schon larmoyant wirkt das Bemühen, sich | |
selbst als den einfachen Jungen aus Prenzlauer Berg zu beschreiben, der | |
auch mal Scheiße gebaut hat, der üble Kompromisse eingegangen ist, um im | |
Osten und im Westen dazuzugehören – aber seltsamerweise nirgends richtig | |
ankommt. | |
## Auf Kohls Beerdigung | |
Das Ganze ist erzählt mit einer Weltbürgerattitüde, die nicht weiter | |
entfernt sein könnte von jenen, denen er sich zugehörig zu fühlen | |
behauptet. Denn Alexander Osang ist zweifellos einer der erfolgreichsten | |
Journalisten der ostdeutschen Boomer-Generation. Noch zu DDR-Zeiten | |
Berufsausbildung und Volontariat bei der Berliner Zeitung, | |
Journalistikstudium in Leipzig und Antrag auf Aufnahme in die SED. | |
Nach dem Mauerfall wird er zur wichtigen Erzählstimme des | |
gesellschaftlichen Umbruchs, im Jahr 2000 folgt der Wechsel zum Spiegel. | |
[2][Er reportiert aus allen Winkeln] der Welt, gewinnt wichtige Preise, | |
schreibt sechs [3][erfolgreiche Romane]. Angekommener als er kann kaum | |
jemand sein. | |
In „Fast hell“ flutscht er von New York nach Tel Aviv und Australien, er | |
wartet an den Passkontrollen nach Russland, China, Indien und Iran, findet | |
Japan seltsam, aber Hildesheim fremd. Und als sein Vater stirbt, erreicht | |
ihn seine Schwester in Speyer, wo er tags zuvor die Beerdigung von Helmut | |
Kohl beobachtet hat. | |
Nichts ist gewöhnlich, alles aufgeladen mit Bedeutung und Schmerz und Komik | |
zu gleichen Teilen. Uwe, von dem der Autor behauptet, er sei die Hauptfigur | |
dieser – sagen wir – biografischen Novelle, kippt derweil in der Bordbar | |
Unmengen Wodka in sich hinein. | |
Das alles liest sich ungemein flüssig. Osang hat es einfach drauf, die | |
Linien zu verweben und seine Figuren leuchten zu lassen, auch sich selbst. | |
Vergleichbar dem Kreuzfahrtschiff, auf dem sie reisen, steuert die | |
Uwe/Alexander-Story auf ein wuchtiges Finale zu. Was da passiert, soll hier | |
nicht vorweggenommen werden. Doch wer das letzte Wort haben wird, ist wohl | |
keine Frage. | |
15 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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