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# taz.de -- kinotipp der woche: Die totale Seuche
> Das Filmmuseum Potsdam hat seit Jahresbeginn einen eigenen
> Video-on-Demand-Streamingkanal. Zu sehen ist auch die tolle Reihe „Film
> und Pandemie“.
Bild: Leergefegte Autobahnen: “Die Hamburger Krankheit“ (1979) von Peter Fl…
Anfang des Jahres hat sich auch das Filmmuseum Potsdam mit einem eigenen
[1][Video-on-Demand-Streamingkanal] für die pandemischen Zustände gerüstet.
Wie so viele Kinos gerade hat es damit begonnen, sein Programm raus aus dem
geschlossenen Kinosaal und hin auf die Online-Plattform Streaminglovers zu
holen. Das ganze ist natürlich eine Notlösung, aber auch eine mit
innovativem Charakter.
Elena Baumeister, wissenschaftliche Volontärin am Filmmuseum Potsdam, sagt
dazu, der Online-Kanal “soll auch über die Zeit des Lockdowns hinaus eine
zusätzliche Plattform sein, die Seitenblicke und Kommentare zu den Reihen
und Themen des Kino-Programms bietet. Wir wünschen uns nicht zuletzt, dass
unser Programm auf die Art in Zukunft noch inklusiver sein wird.“
Mehrere Filmreihen werden aktuell vom Filmmuseum Potsdam über das
Streamingportal angeboten. Etwa eine in Erinnerung an den kürzlich
verstorbenen südkoreanischen Regisseur Kim Ki-Duk. Oder eine mit “Kino
gegen Rechts“, in der der Stummfilm “Die Stadt ohne Juden“ von Hans Karl
Breslauer aus dem Jahr 1924 gezeigt wird.
Zusätzlich lässt sich eine Einführung in dieses Werk von dem Filmhistoriker
Nikolaus Wostry ansehen. Womit gleich mal demonstriert wird, was so ein
akribisch und wissenschaftlich kuratierter Streamingkanal kann: Nämlich
zusätzlich zu den eigentlichen Filmen informativen Content anbieten, mit
dem sich diese besser einordnen lassen.
## Alles schon mal dagewesen
So läuft das auch bei der aktuell vielleicht spannendsten VOD-Reihe des
Filmmuseum Potsdam: “Quarantäne-Kino: Film und Pandemie“. In diese startet
man am besten direkt mit dem halbstündigen Vortrag des
Medienwissenschaftlers Denis Newiak. Der hat vor kurzem ein Buch
geschrieben mit dem Titel “Alles schon mal dagewesen – Was wir aus
Pandemie-Filmen für die Coronakrise lernen können.“
Seine These: Man schaue sich einfach mal Seuchenfilme wie “Contagion“ oder
“Children Of Men“ an. Dort wurde alles mögliche, auf was man auch aktuell
stößt, bereits ziemlich präzise vorausschauend vorweggenommen. Eine
aufgrund des Pandemieschocks desorientierte Bevölkerung etwa, die sich
teilweise von Verschwörungserzählern verführen lässt.
Ein überforderter Staat, der mit hilflos konzertierten Maßnahmen reagiert:
Findet sich alles bereits in den einschlägigen Science-Fiction- und
Katastrophenthrillern. Der Medienwissenschaftler glaubt, dass die
fiktionalen Bilder aus diesen Seuchenfilmen wiederum durchaus helfen
können, bestimmte Phänomene der Coronawirklichkeit besser einordnen und
verarbeiten zu können.
Ebenfalls in seinem Buch behandelt er “Die Stadt der Blinden“ von Fernando
Meirelles aus dem Jahr 2008, der auch vom Filmmuseum Potsdam gezeigt wird.
In dem dystopischen Endzeitthriller nach einer Romanvorlage des
portugiesischen Nobelpreisträger José Saramago, bricht in einer Stadt
plötzlich eine rätselhafte Seuche aus.
## Nicht nachahmenswert
Die Menschen erblinden, einer nach dem anderen, so gut wie niemand bleibt
verschont. Die Opfer der Pandemie werden in eine streng bewachte
Quarantäneeinrichtung gesteckt und beginnen, weitgehend auf sich selbst
gestellt, ihr Leben zu organisieren. Was sie freilich nicht wirklich
hinkriegen. Stattdessen fangen sie an, sich selbst zu zerfleischen. Harter
Stoff und nicht nachahmenswert.
Highlight der kleinen Reihe mit Pandemiefilmen ist sicherlich “Die
Hamburger Krankheit“ von Peter Fleischmann aus dem Jahr 1979, ein äußerst
bizarres Werk. Von jetzt auf gleich grasiert in Hamburg eine Seuche,
wahrscheinlich eingeschleppt von türkischen Matrosen. Die von dem
unbekannten Virus Betroffenen starren kurz vor sich hin, zucken noch
einmal, begeben sich in die Embryonalhaltung und sterben.
Ein Wissenschaftler versucht, der Sache auf den Grund zu gehen, doch
präzise Forschung ist schnell gar nicht mehr möglich, denn in der Stadt
bricht Panik aus. Behörden versuchen, Massenimpfungen zu organisieren, doch
das System kollabiert. Allerlei dubiose Gestalten beginnen, sich auf ihre
Art mit der Seuche zu arrangieren, darunter auch solche, die diese leugnen,
was erstaunliche Parallelen zu heutigen Querdenker-Spinnern aufzeigt.
Irgendwann mischt auch noch das Militär mit und setzt Panzer zur
Krisenbewältigung ein: Pandemiechaos total und in Teilen durchaus Blaupause
zu aktuellen Ereignissen. In einer Nebenrolle: Die legendäre Glamour-Queen
Romy Haag. Und vor allem ist Alt-Achtundsechziger und Harems-Leiter Rainer
Langhans als Alexander zu bewundern, der mit einem Wohnwagen durch die
verseuchte Gegend tuckert.
Der geht mit der Pandemie ziemlich entspannt um. Was der echte Langhans
auch tut. “Corona ist ein Segen“, gab der letztes Jahr zu Protokoll. Weil
er Dank der Seuche und der Lockdowns so schön zu sich finden würde. “Die
Hamburger Krankheit“ zeigt: von Alexander zum Rainer ist es nur ein kurzer
Weg.
6 Mar 2021
## LINKS
[1] http://www.filmmuseum-potsdam.cinemalovers.de/en/home
## AUTOREN
Andreas Hartmann
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