# taz.de -- Wahlen in Palästina: Rückendeckung fällig | |
> Bald wird in Palästina gewählt. Wegen des Konflikts zwischen Israel und | |
> dem Nachbarland wird das nicht leicht. Es bedarf der Kooperation Israels. | |
Bild: PalästinenserInnen nach ihrer Impfung gegen den Coronavirus am militäri… | |
Noch sind [1][Wahlen in Palästina] über zwei Monate entfernt, die | |
Vorbereitungen laufen. Am 22. Mai ist Termin für die Parlamentswahl, im | |
Juli soll ein neuer Präsident gewählt werden. Noch ist offen, ob die Wahlen | |
überhaupt stattfinden. Neben Störfeuer aus Israel und Zwietracht unter den | |
Palästinensern tobt schließlich auch noch eine Pandemie. | |
Israel gilt zwar vielen als [2][vorbildlich beim Impftempo], den | |
völkerrechtlichen Verpflichtungen als Besatzungsmacht für die | |
palästinensische Bevölkerung hat sich Israel aber entzogen. Das Ergebnis: | |
steigende Infektionszahlen. Sollten die Wahlen dennoch stattfinden, wäre es | |
der erste Urnengang seit 15 Jahren. | |
Um das möglich zu machen, braucht es auch das Zutun der EU. Seit Beginn des | |
Osloer Friedensprozesses hat die EU [3][fast 6 Milliarden Euro] ausgegeben, | |
um den Aufbau eines palästinensischen Staatswesens zu unterstützen. Der | |
letzte Premierminister, der den Staatsaufbau gegen alle Widerstände, aber | |
mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft vorantrieb, mit dem | |
erklärten Ziel: „Die Besatzung beenden, den Staat errichten“, hieß Salam | |
Fayyad. | |
Palästina erhielt in den Vereinten Nationen einen Status als „beobachtender | |
Nichtmitgliedsstaat“. Für Fayyad bedeutete das internationale Rückendeckung | |
für seinen Weg. 2013 schmiss er das Handtuch, die Eigenstaatlichkeit kam | |
bekanntlich nicht. | |
## 6 Milliarden Euro aus Brüssel | |
In Israel führte Benjamin Netanjahu Regierungen, die mit ihren Zielen nicht | |
hinter dem Berg hielten: einen palästinensischen Staat verhindern, den | |
Ausbau der Siedlungen, die schleichende und jüngst offen angestrebte | |
Annexion des noch unter Besatzung stehenden palästinensischen Landes. | |
Ex-US-Präsident Donald Trump unterstützte mit seinem umstrittenen | |
„Jahrhundertplan“ für Frieden im Nahen Osten die formale Annexion weiter | |
Teile des Westjordanlandes. | |
Auch in Ramallah selbst läuft die Entwicklung nicht gerade in Richtung | |
demokratischer Staat. Kritiker von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sind | |
[4][infolge von Facebook-Posts inhaftiert] worden, die freie | |
Meinungsäußerung wird per Dekret massiv beschnitten. | |
Noch schlimmer ist die Lage im Gazastreifen, wo Demokratie, freie | |
Meinungsäußerung und Menschenrechte Tabuthemen sind für die Führung der | |
Hamas, die keine Opposition duldet und ihre Kritiker – liberale auf der | |
einen Seite und deutlich radikalere dschihadistische Gruppen auf der | |
anderen – unterdrückt. Die Legitimität der palästinensischen Politik ist, | |
auch weil das Mandat des Präsidenten lange abgelaufen ist und weil es kein | |
funktionierendes Parlament mehr gibt, auf einem Tiefpunkt. | |
Die bevorstehenden Wahlen sind überfällig und Grundvoraussetzung für jeden | |
wie auch immer gearteten politischen Prozess. EU und USA sind aufgefordert, | |
mehr zu tun, als eine Wahlbeobachtungsmission aufzusetzen. Um nicht in | |
dieselbe Sackgasse zu geraten wie nach den Wahlen 2006, sollten sie ihre | |
Strategie zeitnah abstimmen. Damals unterstützte die internationale | |
Gemeinschaft die Parlamentswahlen, schickte Beobachter und bestätigte | |
anschließend freie und faire Wahlen. | |
Nur das Ergebnis, der Wahlsieg der Hamas, kam unerwartet. Israel, die | |
Bundesrepublik, die USA und andere westliche Staaten banden jegliche | |
Kooperation an drei Bedingungen: Gewaltverzicht, die Anerkennung aller | |
bisherigen Abkommen im Rahmen des Friedensprozesses und die Anerkennung | |
Israels. Politisch hat sich die Hamas in den letzten Jahren durchaus | |
bewegt. Sie steht zwar mit gutem Grund weiterhin auf der EU-Liste der | |
Terrororganisationen. | |
Doch [5][die Partei hat 2017 ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet], | |
das frühere antisemitische Tiraden unterlässt und die Errichtung eines | |
palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 als „nationalen Konsens“ | |
bezeichnet. Darauf könnte eine neue Regierung aufbauen. Die Hamas | |
verzichtete darauf, einen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufzustellen. | |
Dass der 85 Jahre alte Präsident Mahmud Abbas erwägt, erneut für die Fatah | |
anzutreten, gilt vielen als Bankrotterklärung. | |
## Ein Déjà-vu vermeiden | |
Ohne eine geordnete Machtübergabe droht Chaos. Um ein Déjà-vu zu vermeiden, | |
muss die EU jetzt klarstellen, unter welchen Umständen sie bereit zur einer | |
Kooperation mit der künftigen palästinensischen Regierung ist. Ein erneuter | |
Wahlsieg der Hamas ist keineswegs ausgeschlossen. Denkbar ist offenbar auch | |
[6][eine gemeinsame Liste zwischen Fatah und Hamas]. Diese auf den ersten | |
Blick unwahrscheinliche Koalition zweier Erzfeinde könnte ein Arrangement | |
sein, mit dem beide ihren Machterhalt sichern wollen. | |
Wahlen in Palästina, die keinerlei Reformen anstoßen, sondern den Status | |
quo zementieren, wären jedoch eine Katastrophe. Doch zunächst sind weitere | |
Schritte erforderlich, damit die Wahlen überhaupt stattfinden. Bei den | |
israelischen Wahlen im März zeichnet sich schon jetzt ab, dass die künftige | |
Regierung in Jerusalem noch weiter rechts von Netanjahus bisherigen | |
Koalitionen stehen könnte. | |
Die neuen Machthaber Israels werden – wie schon die jetzige Regierung – | |
eine Wahlbeteiligung der Menschen im annektierten Ostjerusalem nicht | |
zulassen. Für Israels Rechte bleibt die politische Teilung zwischen | |
Westjordanland und Gazastreifen komfortabel, muss sie sich nicht mit den | |
legitimen Ansprüchen der Palästinenser auf einen eigenen Staat | |
auseinandersetzen. Um den palästinensischen Staat wieder auf die | |
Tagesordnung zu bringen, bedarf es einer legitimen Führung. | |
Der [7][Amtsantritt von US-Präsident Joe Biden] ist eine Chance. Die EU – | |
wichtigste Unterstützerin der palästinensischen Autonomie – ist | |
aufgefordert, diesen lange überfälligen demokratischen Prozess mit allen | |
Mitteln zu untersützen und ihren Einfluss auch auf Israel stark zu machen. | |
Denn ohne Wahlbeteiligung der Palästinenser in Ostjerusalem wird es gar | |
nicht erst zu Wahlen kommen. | |
5 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Spaltung-zwischen-Fatah-und-Hamas/!5744565 | |
[2] /Bekaempfung-von-Corona-in-Israel/!5753387 | |
[3] https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/neighbourhood/countries/pale… | |
[4] /Pressefreiheit-im-Westjordanland/!5635506 | |
[5] https://hamas.ps/en/post/678/A-Document-of-General-Principles-and-Policies | |
[6] https://www.jpost.com/middle-east/will-fatah-and-hamas-run-together-in-the-… | |
[7] /Bidens-Politik-nach-Amtsantritt/!5742160 | |
## AUTOREN | |
René Wildangel | |
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