# taz.de -- Hilfe für Covidkranke in Ägypten: Die Pandemiehelden | |
> Ramy Nawar fährt in Ägyptens Hauptstadt Kairo als Lebensretter durch die | |
> Nacht. Er und seine Freunde verteilen Sauerstoffgeräte an bedürftige | |
> Kranke. | |
Bild: Drei der Freiwiligen von Kairo: Ramy Nawar (links), Shorouk Mustafa und d… | |
KAIRO taz | Es ist kurz vor Mitternacht, in einer dunklen Gasse in dem | |
Arbeiterviertel Sabtiya im Zentrum Kairos. Nur das Gebell der Straßenhunde | |
ist zu hören. Ramy Nawar trägt ein Sauerstoffgerät zu seinem klapprigen | |
alten Wagen, verscheucht einen Streuner, der es sich auf seinem Autodach | |
gemütlich gemacht hat und lädt das Gerät auf die Rückbank. Mit seiner | |
kostbaren Fracht könnte er heute Nacht in der 20-Millionen-Stadt Kairo | |
vielleicht ein Leben retten. | |
Ramy Nawar ist einer von neunzig jungen Freiwilligen, die Covidkranke aus | |
ärmlichen Verhältnissen zu Hause versorgen. Angefangen haben sie letztes | |
Jahr, als sie für Erkrankte Mahlzeiten gekocht haben. Später begannen sie | |
damit, Menschen zu helfen, die mit der Krankheit von ihren Vermietern auf | |
die Straße gesetzt wurden, ein neues Zuhause zu finden. Aber nun sind es | |
vor allem Sauerstoffgeräte, die sie kaufen, vorbereiten und anliefern. | |
In einer kleinen, völlig heruntergekommen Wohnung in Sabtiya lagern sie die | |
wertvollen Geräte. Die Jugendlichen ziehen ihre Schutzanzüge, Masken und | |
Handschuhe an, bevor sie sie mit Handsprühgeräten Zentimeter für Zentimeter | |
desinfizieren. Ahmad, der jüngste unter ihnen, ist gerade einmal fünfzehn | |
Jahre alt. Es ist die Wohnung seines Onkels, in der sie der nicht | |
ungefährlichen Arbeit nachgehen. Bis vor Kurzem hing noch ein Covidkranker | |
an diesem Gerät. | |
Heute bereiten sie drei Sauerstoffgeräte vor. Die sind in den letzten Tagen | |
zurückgekommen, entweder weil ein Patient gesund geworden oder weil er | |
gestorben ist. An letzteren Fall wird sich Ramy Nawar nie gewöhnen. „Es ist | |
immer ein furchtbarer Moment, wenn wir die Nachricht bekommen, dass einer | |
der Patienten zu Hause gestorben ist“, sagt er. | |
Über 800 Covidkranke haben sie bisher versorgt. Sie verwalten Geräte im | |
Wert von vielen tausend Euro. Die Koordination läuft denkbar unbürokratisch | |
über eine Whatsapp-Gruppe. Voraussetzung dafür, dass Kranke von ihnen | |
versorgt werden, ist die klare Diagnose eines lokalen Arztes, basierend auf | |
Laborwerten und Lungen-Röntgenbildern und der Angabe, wie viel Sauerstoff | |
benötigt wird. Diese werden dann per Whatsapp von einem Netzwerk | |
freiwilliger Internisten, Lungen- und Intensivärzte gegengecheckt, die mit | |
der Gruppe online zusammenarbeiten. Auf diese Art wird auch bestimmt, wann | |
jemand doch in ein Krankenhaus transportiert und an ein künstliches | |
Beatmungsgerät gehängt werden muss. | |
Seit einigen Wochen arbeiten auch einige Psychologen mit der Gruppe, um | |
nicht nur den Kranken, sondern auch deren Angehörigen beizustehen. Über | |
Whatsapp verschickt Ramy Nawar selbstgedrehte Videos, die die Verwandten | |
der Patienten im Umgang mit den Sauerstoffmaschinen schulen. Denn zu Hause | |
sind die auf sich alleine gestellt. | |
Auch Geld wird auf diesem Weg oder über andere soziale Medien gesammelt. | |
„Wir haben die Initiative letztes Jahr mit einer Gruppe von Freunden | |
begonnen. Da war eine Krise, die wir uns nicht ausgesucht haben und wir | |
wussten, wir müssen etwas tun“, berichtet Shorouk Mustafa, die Gründerin | |
der Gruppe. Zunächst haben sie unter Freunden gesammelt, später mit | |
Aufrufen in den sozialen Medien. | |
Sie schreiben, wenn sie Geräte oder Sauerstoffflaschen brauchen, auch | |
welcher Gerätetyp benötigt wird. Dann spenden Menschen Geld oder kaufen die | |
Geräte und stiften sie. Manchmal bekommen sie auch Geräte oder | |
Sauerstoffflaschen von wohlhabenderen Covidpatienten in Kairo, die diese | |
zur Verfügung stellen, weil sie sie nicht mehr brauchen. Viele der | |
Freiwilligen, die bei ihnen arbeiten, sind selbst ehemalige Covidpatienten | |
oder deren Verwandte, denen die Gruppe zuvor geholfen hat. | |
Das Coronavirus ist ein unbekannter Gegner in Ägypten. Die offiziellen | |
Zahlen spiegeln bei weitem nicht die Realität wider. Der Staat gibt sich | |
vollkommen intransparent. Vor allem die Armenviertel der 20-Millionen-Stadt | |
Kairo sind ein weißer Fleck auf der [1][Coronalandkarte]. Dass über 370 | |
Ärzte nach Angaben des Ärzteverbandes an Covid-19 verstorben sind, ist eine | |
der wenigen verwertbaren Zahlen im Land. | |
Lockdowns gibt es keine. Das würde in Ägypten, in dem ein Drittel der | |
Bevölkerung unter der Armutsgrenze von umgerechnet weniger als 1,30 Euro am | |
Tag lebt und einem nur rudimentär ausgeprägten Sozialsystem dazu führen, | |
dass die Familien der zahlreichen Tagelöhner am Hungertuch nagen müssten. | |
Shorouk Mustafa lobt die Ärzte und die Menschen, die im ägyptischen | |
Gesundheitssystem arbeiten. „Sie versuchen ihr Bestes. Aber selbst im | |
reichen Europa sind Gesundheitssysteme oft überfordert“, sagt sie. | |
Ihr Handy ist so etwas wie die Telefonzentrale der Gruppe. „Die Anrufe | |
kommen meist nachts. Das sind keine einfachen Telefongespräche. Da heißt | |
es, helft mir, meine Mutter stirbt, sie bekommt keine Luft mehr. Am Anfang | |
hat uns das noch schockiert, aber inzwischen sind wir gut organisiert“, | |
schildert sie. | |
Mit ihren gerade einmal 26 Jahren trägt Mustafa eine enorme Verantwortung. | |
Am meisten macht ihr die Angst zu schaffen. „Die Angst vor so vielem, die | |
Angst, dass jemand der Freiwilligen oder ich mich selbst anstecke. Die | |
Angst, dass die Hilfe nicht rechtzeitig ankommt. Die Angst, dass jemand | |
stirbt“, erzählt sie. | |
Das alles geht nicht spurlos an der jungen engagierten Ägypterin vorüber. | |
„Das ist psychologisch wirklich Hardcore. Es hat mich sogar in eine | |
Depression gestürzt“, erklärt sie offen. „Mein Arzt hat mir geraten, sofo… | |
aufzuhören. Jetzt nehme ich Medikamente dagegen. Ich muss weitermachen, | |
schließlich hängen Menschenleben von unserer Arbeit ab“. | |
## Nicht immer sind die Helfer wohlgelitten | |
Manchmal werden allerdings gerade jene, denen sie helfen wollten, zum | |
Problem, vor allem die Verwandten von Verstorbenen. Es kommt vor, dass die | |
Freiwilligen von Verwandten beschimpft oder sogar tätlich angegriffen | |
werden, wenn sie ihre Geräte bei den Verstorbenen wieder abholen. Bisweilen | |
werden sie für den Tod der Infizierten verantwortlich gemacht. „Am Anfang | |
hat uns so etwas völlig aus der Bahn geworfen und wir haben gedacht, warum | |
machen wir das, wenn wir dafür dann auch noch beschimpft werden“, erinnert | |
sich Shorouk Mustafa. | |
Inzwischen zeigt sie Verständnis für die verzweifelten Menschen, die gerade | |
ihren Vater, ihre Mutter oder ein Geschwister verloren haben. „Wir haben | |
uns daran gewöhnt und für zehn, die uns beschimpfen, gibt es zwei Fälle, | |
die überlebt haben und die uns für ihre zweite Chance im Leben dankbar | |
sind“, erklärt sie. Manchmal bekomme sie Monate später eine Anruf von | |
jemandem, der sich bedankt, dass er wieder zurück im Leben ist, arbeitet | |
und für seine Familie da sein kann. | |
„Wir machen das jetzt seit elf Monaten. Wir haben viel geweint, haben | |
gelacht und haben uns gefreut, wenn es jemand geschafft hat, waren wütend, | |
wenn nicht. Oft haben wir auch unsere Hoffnung verloren, weil wir so viele | |
schwierige Situationen erlebt haben“, blickt Mustafa zurück. Aufhören ist | |
für sie trotzdem kein Thema. | |
Unterdessen fährt Rami Nawar zu seinem Ziel. Wohin genau, das will er nicht | |
erzählen. Schließlich ginge es auch darum, die Privatsphäre und die Würde | |
der Kranken zu schützen. Es gibt Gegenden in Kairo, da fährt man nachts | |
besser nicht hinein, besonders nicht mit Geräten im Auto, die umgerechnet | |
Tausende Euro wert sind, erzählt er. Brenzlige Situationen habe er schon | |
häufiger erlebt. Aus mancher sei er nur knapp mit heiler Haut entkommen, | |
erzählt er, bevor er den Journalisten absetzt. | |
Auch er macht weiter. Denn irgendwo in der riesigen Stadt atmet jemand | |
schwer, ringt nach Luft und hofft, dass Rami Nawar in seinem klapprigen | |
Wagen noch rechtzeitig ankommen wird. | |
9 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://covid19.who.int/region/emro/country/eg | |
## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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