Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Verschwörungstheorie aus der Uni?: Schwurbeln und Schweigen
> Eine pseudowissenschaftliche Arbeit des Hamburger Nanophysikers Roland
> Wiesendanger über die Entstehung von Covid-19 sorgt weiter für Empörung.
Bild: Der Haussegen hängt schief bei Hamburgs Uni-Präsident Dieter Lenzen. Do…
Hamburg taz | Die Diskussion über ein Pseudo-Gutachten des Hamburger
Nanowissenschaftlers Roland Wiesendanger zum Ursprung des Coronavirus geht
weiter. Am Wochenanfang verteidigte der Wissenschaftler noch einmal die
Veröffentlichung seines umstrittenen 104-Seiten-Papiers über die
Pressestelle der Hamburger Universität. Deren Präsident Dieter Lenzen habe
ihn persönlich ermuntert, seine Gedanken zum Ursprung des Coronavirus unter
dem Logo der Uni zu verbreiten. Während die Veröffentlichung in Politik und
Wissenschaft vernichtende Kritik erfährt, schweigt sich der ansonsten eher
nicht öffentlichkeitsscheue Lenzen zum Thema aus – und gerät damit
zunehmend selbst in den Fokus der Kritik. Sogar seine Sprecherin ist
derzeit nicht erreichbar.
In dem am [1][vorigen Donnerstag verbreiteten Text] kommt Wiesendanger zu
der Einschätzung, dass zahlreiche von ihm zusammengetragene Indizien für
einen Laborunfall am virologischen Institut im chinesischen Wuhan als
Auslöser der Pandemie sprächen. Damit fährt der Wissenschaftler der
Weltgesundheitsorganisation in die Parade, die nach einer Vor-Ort-Visite in
Wuhan zum genau gegenteiligen Ergebnis gekommen war.
Für seine These legte Wiesendanger laut Uni-Pressemitteilung „keine
hochwissenschaftlichen Beweise“, sondern nur „zahlreiche und schwerwiegende
Indizien“ vor. Diese „Indizien“ bestehen im Wesentlichen aus
Youtube-Videos, Zeitungsartikeln und recht freihändigen Gedankenspielen des
Professors, was Wiesendanger als „interdisziplinären Ansatz“ preist. Mit
fachlicher Expertise kann er auch kaum aufwarten: Die liegt nicht im
medizinischen Bereich, sondern in der Rastertunnelmikroskopie.
Die sogenannte Studie verfehlt alle wissenschaftlichen Standards.
Publiziert wurde das deutschsprachige Dokument auf dem sozialen Netzwerk
Researchgate. Eine inhaltliche Prüfung der Arbeiten durch andere
Expert*innen, das sogenannte Peer-Review, wie es für in Fachmagazinen
publizierte Studien Standard ist, gibt es hier nicht.
Irritiert vom Vorgehen der Uni zeigen sich Hamburgs
Bürgerschaftsfraktionen. „Diese Arbeit entspricht nicht den hohen
wissenschaftlichen Standards, die wir von der Universität gewohnt sind“,
sagt die Grünen-Abgeordnete Miriam Block. Die Linken-Politikerin Stephanie
Rose ordnet das Papier politisch ein: „Ohne vorher durch ein peer review
gegangen zu sein, äußert sich der Physiker anschlussfähig an
Verschwörungsideologen wie Xavier Naidoo.“
## Der Asta wittert antiasiatischen Rassismus
Auch der Uni-Asta beklagt, die Veröffentlichung spiele
Verschwörungstheoretiker*innen in die Hände und schüre
antiasiatischen Rassismus. Tatsächlich weisen einige der von Wiesendanger
verwendeten Quellen in diese Richtung. So taucht – wie die taz berichtete –
als Quelle die strikt antikommunistische Zeitschrift Epoch Times auf,
hinter der Falun Gong, eine von Exilchinesen geführte und in China als
Sekte verbotene Glaubensgemeinschaft, steht.
Selbst von seinen Uni-Kolleg*innen bekommt der Physikprofessor volle
Breitseite. Das Dekanat der Fakultät für Mathematik, Informatik und
Naturwissenschaften, der auch Wiesendanger angehört, betont, es handele
sich bei dessen Thesen um einen [2][„nichtwissenschaftlichen Aufsatz oder
eine Meinungsäußerung“], von der sich die Fakultät „distanziere“. Die
Coronavirus Structural Task Force der Uni, die genau zu den von
Wiesendanger nun behandelten Themen forscht, lässt wissen: „Diese Studie
ist gar keine, sondern eine reichlich verworrene Medienrecherche“ – um sie
anschließend auch inhaltlich komplett zu zerreißen.
Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) scheut klare Worte und
beruft sich dabei – zu Recht – auf die Freiheit von Forschung und Lehre.
„Wissenschaftsfreiheit ist ein unverrückbares Gut. Gleichwohl gilt für alle
Form wissenschaftlicher Forschung, dass bei unklarer oder unsicherer
Datenlage Zurückhaltung in der Bewertung angebracht ist“, geht ihr Sprecher
auf vorsichtige Distanz.
Welche Reaktionen er auslösen könnte, sei ihm bewusst gewesen, erklärt
Wiesendanger stolz. Sein Ziel, „eine breite öffentliche Debatte“ seiner
Theorien anzuzetteln, hat er erreicht. So haben zahlreiche Medien vom
Hamburger Abendblatt über den NDR bis zur Bild die schwach abgesicherten
Thesen zunächst fast kritiklos verbreitet. Inzwischen sind sie
zurückgerudert.
## Heute Hamburg, morgen die ganze Welt
Anders als die Uni und Wiesendanger selbst: Die Uni-Homepage verbreitet die
[3][umstrittene Presserklärung] mit Wiesendangers wirren Behauptungen nach
wie vor auf der Startseite ihres Presseportals. Doch der Nanophysiker will
mehr: „Wir werden die Studie jetzt zeitnah in vielen anderen Sprachen zur
Verfügung stellen.“ Seine Erkenntnisse müssten unter der Bevölkerung vieler
Länder thematisiert werden, meint der Professor.
24 Feb 2021
## LINKS
[1] https://www.researchgate.net/publication/349302406_Studie_zum_Ursprung_der_…
[2] https://www.min.uni-hamburg.de/ueber-die-fakultaet/aktuelles/2021/0219-stel…
[3] https://www.uni-hamburg.de/newsroom/presse/2021/pm8.html
## AUTOREN
Marco Carini
## TAGS
Wissenschaftler
Universität Hamburg
Verschwörungsmythen und Corona
Wissenschaftsfreiheit
Wuhan
Universität Hamburg
Wissenschaftsfreiheit
Jens Spahn
Staatsoper Hamburg
Universität Hamburg
## ARTIKEL ZUM THEMA
„Studie“ zu Ursprung des Coronavirus: Uni-Präsident verteidigt sich
Nach der Veröffentlichung einer umstrittenen „Studie“ an der Uni Hamburg
äußert sich Präsident Dieter Lenzen. Er sieht kaum eigene Fehler.
Pseudostudie zu Corona-Ursprung im Labor: Von der Lehr- zur Narrenfreiheit
Erst eine Pseudostudie kritiklos hochjazzen, dann sie verdammen und nach
der Regierung rufen: Autoritäre Denkstrukturen gefährden Journalismus.
Fehlerserie der Coronapolitik: Die Vertrauensfrage
Politiker*innen sind schon für weniger zurückgetreten als die vielen
Fehler in der Coronapolitik. Doch derzeit schützen sich alle gegenseitig.
Uni bewirbt schräge Studie: Totalversagen der Uni
Ein Physikprofessor schreibt eine fragwürdige Studie zum Corona-Ausbruch.
Die Uni Hamburg bewirbt sie offensiv. Wie konnte das passieren?
Vermeintliche Studie an der Uni Hamburg: Youtube-Videos als Quelle
Ein Physikprofessor der Uni Hamburg hat eine fragwürdige These zum Ursprung
des Coronavirus veröffentlicht. Nun steht auch die Uni in der Kritik.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.