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# taz.de -- Artenschutz und Klimakrise: Die Natur der Grünen
> Die Grünen wollen Nachhaltigkeit und Macht. Dabei übersehen sie die
> natürlich gewachsenen Netzwerke des Lebens.
Bild: Ein Vogelschwarm fliegt durch den Windpark Tempelfelde
Die Natur der Grünen ist nicht ökologisch. Sie ist technisch, und das
verheißt für den notwendigen Systemwechsel zum Erhalt der biologischen
Vielfalt nichts Gutes. Die Forderung nach einem Systemwechsel stammt
übrigens von dem Klima- und Umweltwissenschaftler [1][Robert T. Watson,
Vorsitzender des Weltbiodiversitätsrats IPBES]. Die Weltgemeinschaft
brauche einen Neustart, um zu retten, was zu retten ist, fordern Watson und
seine Wissenschaftskolleg:innen aus 50 Ländern.
Die Grünen wollen jedoch keine systemweite Veränderung, die die
Lebensbedürfnisse von Tieren, Pflanzen und anderen Lebensformen
berücksichtigt. [2][Sie wollen Nachhaltigkeit, also weitermachen wie
bisher, nur mit Elektroauto statt Benziner]. Ab und zu wallt der Wunsch
nach dem Systemwechsel für die biologische Vielfalt auf, wie bei dem
Biologen Anton Hofreiter. Doch wenn er vorschlägt, aus ökologischen Gründen
keine weiteren Einfamilienhäuser in dichtbesiedelten Regionen und Städten
zu bauen, kontert Grünen-Parteichef Robert Habeck: die Grunderwerbssteuer
für Privatleute senken, damit sich die grüne Wählerklientel leichter „den
Lebenstraum vom eigenen Haus“ erfüllen kann.
Die komplexen Verflechtungen der Natur überfordern die Grünen. Die
Parteifunktionäre sind nicht in der Lage, eine politisch-planvolle
Strategie für den Erhalt der biologischen Vielfalt zu denken. Denn würden
sie den Erhalt der biologischen Vielfalt politisch verfolgen, müssten sie
ihr Narrativ von der Energiewende verändern, vermutlich sogar aufgeben.
Retter in der Klimakrise zu sein ist aber ihr Alleinstellungsmerkmal.
Die Aura des Retters strahlt, der Schein vom nachhaltigen Leben beruhigt
einen erklecklichen Teil der bürgerlichen Mitte, die deshalb die Grünen
wählen. Mit Natur- und Artenschutz hat das alles nichts zu tun, auch wenn
die Grünen beharrlich behaupten, mit der Energiewende den Klimawandel
aufzuhalten und damit auch das Artensterben zu stoppen.
Diese Wirkungskette ist wissenschaftlich nicht belegt. [3][Ausgestorbene
Arten und zerstörte Ökosysteme] leben auch nach einer hypothetischen
Begrenzung der Erderwärmung um 1,5 oder 2 Grad Celsius nicht wieder auf.
UN-Generalsekretär António Guterres hat gerade wieder die Weltgemeinschaft
aufgefordert, Klimaschutz und den Artenschutz zusammenzudenken.
Zusammendenken bedeutet, bei den notwendigen Industrievorhaben wie dem Bau
erneuerbarer Energieanlagen die Natur mitzudenken.
## Primat der Windkraft
Die Grünen machen das Gegenteil und bereiten auf Bundesebene bereits die
Gesetzesänderungen im Natur- und Artenschutz vor, die sie dann bei einer
Regierungsbeteiligung ab Herbst umsetzen wollen. Wie sie sich das
vorstellen, zeigen die Grünen in Hessen. In einem Erlass haben
Umweltministerin Priska Hinz und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir Anfang
des Jahres festgelegt, dass Windkraftanlagen grundsätzlich wichtiger seien
als der Schutz von Vögeln, die durch die Anlagen sterben könnten. Der
Hessische Verwaltungsgerichtshof hat diesen Erlass gekippt und
festgestellt, dass Gerichte sich nicht an die Vorschrift halten müssen.
Hinz und Al-Wazir haben vorsorglich im Januar 2021 auch die
Abstandsregelung von Windrädern zu den Horsten von Rotmilanen um 500 Meter
auf 1.000 Meter gesenkt. Bundesweit gilt noch die
1.500-Meter-Abstandsregel, die erst 2015 nach jahrelangen Verhandlungen der
staatlichen Vogelschutzwarten untereinander im „Helgoländer Papier“ als
Kompromiss gefunden wurden. Die Grünen in Hessen zeigen auch bei ihren
Bebauungsplänen für den Reinhardswald, dass sie lieber einen industriellen
Windpark kontrollieren als ein natürliches Ökosystem erhalten, das von
Natur aus Tausende Tonnen CO2 speichert.
Auf Bundesebene haben die Bundestags-Grünen mithilfe der
Windkraftlobbyisten der Verbände in Berlin-Mitte ein Strategiepapier zum
Ausbau der Windenergie erarbeitet. Bedrohte Arten wie Schreiadler oder
Rotmilan werden darin zu „windenergiesensiblen Tierarten“, den Tod
geschützter Vogelarten nennen die Grünen „negative Auswirkungen auf
windenergiesensible Tierarten“. „Windenergiesensibel“ passt gut in die
grüne Wohlfühlrhetorik, die im Grundsatzprogramm von „unserer Natur“ und
„unseren Lebensgrundlagen“ spricht.
## Bedrohte Schutzgebiete
Das Ziel des Grünen-Strategiepapiers ist es, das gesetzliche Tötungsverbot
bedrohter Tierarten im Bundesnaturschutzgesetz zu umgehen. Außerdem wollen
sie die deutschen und europäischen Naturschutzgesetze aussetzen. Die
Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, die Vogelschutz-Richtlinie oder auch die
internationale Ramsar-Konvention zum Schutz von Feuchtgebieten hemmen noch
den Bau von Windenergieanlagen in Wäldern und Mittelgebirgen und an
Seeufern. Für die Grünen existieren diese Meilensteine des internationalen
Artenschutzes nicht mehr, sondern sie erfinden in ihrem Strategiepapier
„Dichtezentren besonders konfliktträchtiger Vogelarten“.
Nur zum Verständnis: Ein „Dichtezentrum“ wäre zum Beispiel das Rastgebiet
von wandernden Vogelarten an der Ostsee. Noch sind solche Gebiete nach
international gültigen Richtlinien und deutschen Gesetzen geschützt. Die
Grünen im Aufwärmlauf für die nächste Bundesregierung sprechen den
gesetzlich geschützten Tierarten schon mal die über Jahrzehnte von
Naturschützern erkämpften Rechte ab.
Die Grünen wollen „gestalten“, wie Robert Habeck beständig wiederholt. Und
sie wollen 2 Prozent der Landesfläche Deutschlands mit Windkraftanlagen
bebauen. In ihrem Willen nach Umbau, nach Kontrolle und Macht ist kein
Platz für die natürlich gewachsenen ökologischen Netzwerke des Lebens. Doch
die Fixierung der Grünen auf den Klimawandel ist unterkomplex und gestrig
angesichts der Erkenntnisse zum Artensterben. Das ist umso tragischer, als
die noch amtierende Bundesregierung bislang nicht einmal versucht hat, die
Klimaschutzziele umzusetzen.
23 Feb 2021
## LINKS
[1] /Schutz-der-biologischen-Vielfalt/!5742712
[2] /Living-Planet-Report-2020/!5707889
[3] /Klimawandel-und-Biodiversitaet/!5626458
## AUTOREN
Ulrike Fokken
## TAGS
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2050 – die, die überleben wollen
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