| # taz.de -- Kino als Stream: Der große Gescheiterte | |
| > Roland Klick machte großes, aufwühlendes Publikums-Kino. Der Berliner | |
| > Verleih „Filmgalerie 451“ widmet dem Kultregisseur eine Online-Werkschau. | |
| Bild: Psychedelische Treibjagd im Niemandsland: Mario Adorf in „Deadlock“ (… | |
| Er ist der große Gescheiterte des Neuen Deutschen Films: Roland Klick. Er | |
| hat sich reingehängt ins Filmemachen wie kaum ein anderer seiner | |
| Generation, radikal [1][seine Vorstellung eines Kinos] verfolgt, das nicht | |
| langweilen wollte mit sogenanntem künstlerischen Anspruch wie so viele | |
| andere in Deutschland, sondern gut unterhalten. | |
| Aber irgendwas ging immer schief bei ihm. Geschichten, die davon erzählen, | |
| wie er von allen Seiten ständig sabotiert wurde, so lange, bis er einfach | |
| innerlich ausbrannte, gibt es massenhaft. Sein erster Kinofilm “Bübchen“ | |
| (1968) etwa wurde von der Kritik verrissen: ein Junge bringt aus Langeweile | |
| seinen kleinen Bruder um, seine Familie versucht, die monströse Tat zu | |
| vertuschen, denn: was würden die Nachbarn sagen? Zu wenig sozialkritisch, | |
| ergo: zu wenig didaktisch, hieß es damals. | |
| Mag sein. Dafür ist Klicks Blick hinter bürgerliche Fassaden in einem | |
| Deutschland Ende der Sechziger so schonungslos, dass er einen auch noch | |
| heute schockieren kann. Was sich über so manchen Kritikerliebling aus | |
| dieser Zeit nicht unbedingt sagen lässt. | |
| Oder “Deadlock“, Klicks zweiter großer Spielfilm aus dem Jahr 1970: Der | |
| muss seine Regiekollegen so getriggert haben, dass sie persönlich in Cannes | |
| intervenierten, damit dieser dort nicht groß auf dem Festival präsentiert | |
| wurde. Kaum zu glauben eigentlich, dass das damals wirkich so war, doch | |
| tatsächlich wurde “Deadlock“ dann nicht mehr als offizieller | |
| Festivalbeitrag aus Deutschland gezeigt, sondern nur in einer popeligen | |
| Sondervorführung. | |
| ## Zu wenig grüblerisch | |
| Der Film sei zu wenig künstlerisch wertvoll, zu wenig grüblerisch, zu wenig | |
| so, wie sich die deutschen Autorenfilmer damals selbst sahen, soll die | |
| Begründung für das Mobbing gewesen sein. Und sie hatten ja auch Recht: | |
| “Deadlock“ ist ein komplett wahnsinniger, undeutscher Film. Eine Art | |
| Italo-Western, nur halt mit deutschen Schauspielern und deutscher Musik. | |
| Mario Adorf und Marquard Bohm spielen die beiden Hauptrollen in diesem Film | |
| über Gier, Rache und menschliche Verkommenheit. Die Musik, wie immer in | |
| Klick-Filmen, ist fantastisch und stammt von Can. Gedreht wurde in der | |
| israelischen Negev-Wüste. Israel befand sich nach dem Sechstagekrieg immer | |
| noch in kriegerischen Auseinandersetzungen mit Ägypten und die Spannungen, | |
| die in dem Land spürbar waren, übertrugen sich auf den fiebrig glühenden | |
| Film. | |
| Und so geht es eigentlich immer weiter mit den Dramen rund um das Schaffen | |
| dieses großen deutschen Regisseurs, der es nie wirklich geschafft hat. Nach | |
| “Deadlock“ rief Hollywood an, Steven Spielberg etwa war Fan des Films: Komm | |
| doch zu uns, wenn sie Dich in Deiner Heimat nicht haben wollen, wurde ihm | |
| gesagt. Aber Klick wollte nicht. Er wollte kein Rädchen einer | |
| Filmmaschinerie sein, sondern weiter für seine eigenen, persönlichen | |
| Filmvisionen kämpfen. | |
| ## Realist, nicht Idealist | |
| Anfang der Achtziger kam es dann zum Trauerspiel rund um “Wir Kinder vom | |
| Bahnhof Zoo“. Filmmogul Bernd Eichinger rief Klick eines Nachts an und | |
| sagte ihm: Du, ich habe gerade die Rechte an dem Buch über die Geschichte | |
| von Christiane F. gekauft. Und Du wirst diese verfilmen. Klick wollte alles | |
| wieder auf seine Weise machen. Er wollte Realität abbilden, denn als | |
| Realist und nicht etwa als Idealist sah er sich, sagte er immer wieder. | |
| Und dafür wollte er mit echten Junkies und Straßenkindern drehen und nicht | |
| mit irgendwelchen gecasteten Jungschauspielern. Er lud sie also ein zu | |
| sich, die echten Kinder vom Bahnhof Zoo, zig von ihnen, wollte sie richtig | |
| kennenlernen, sie durchdringen. Bis dann jemand von Eichingers | |
| Produktionsfirma vorbeikam und sah, dass die Straßenkids sich nicht ganz so | |
| benahmen, wie er sich das vorstellte. | |
| Unter anderem soll die Klobrille beschmutzt gewesen sein. Klick wurde | |
| gefeuert. Was der letztendlich für einen “Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ | |
| abgeliefert hätte, darüber kann nur spekuliert werden. Immerhin lässt sich | |
| sagen: Besser als mit David Bowie hätte er es, was die Musik betrifft, dann | |
| doch nicht machen können. | |
| Und dann wäre da noch Klicks berüchtigter “White Star“ (1983), in dem | |
| niemand Geringeres als der große Dennis Hopper in der Rolle eines | |
| abgehalfterten Tourmanagers durch die Berliner Punkszene torkelt und | |
| versucht, den mittelmäßigen Musiker Moody zur nächsten Popsensation zu | |
| pushen. | |
| Doch Hopper war zu der Zeit so hoffnungslos abhängig von Kokain, dass er | |
| sich in seinem Hotel handgreiflich mit dem Personal anlegte und keine zwei | |
| Stunden ohne die nächste Line drehen konnte. So entstand mit Mühe und Not | |
| ein bizarrer und kaputter, aber kein wirklich gelungener Film. | |
| Klicks Weggefährte und Kollege, der Regisseur und Schauspieler Hark Bohm, | |
| nannte ihn einmal einen Sisyphos, weil er einfach nicht aufgeben wollte. | |
| Irgendwann tat er es aber doch. Der heute 83-Jährige, der in Hamburg und | |
| Irland lebt, verabschiedete sich Ende der Achtziger vom Film. Auch Dank der | |
| unermüdlichen Arbeit seines Berliner Verleihs Filmgalerie 451 gilt er heute | |
| immerhin als Kultregisseur, verehrt von Kollegen wie Doris Dörrie und | |
| Dominik Graf. Wenigstens das. | |
| 19 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Hartmann | |
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