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# taz.de -- Die Wahrheit: Tausend nackte Lappen
> Zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys wirft ein jetzt entdecktes Planbuch
> ein neues Licht auf den legendären Aktionskünstler und Magier mit Hut.
Für die einen ist er ein Scharlatan, für die anderen ein Schamane der
Kunst. Für den amerikanischen Romancier Dan Brown („Illuminati“) ist Joseph
Beuys der direkte Nachfahre Leonardo da Vincis, wie er in einer aufwendigen
Recherche nachgewiesen haben will. Sicher ist nur, dass der
niederrheinische Nussknacker mit Hut in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag
feiern würde. Und pünktlich zum Jubiläum sind geheimnisvolle Papiere
aufgetaucht, die Beuys und seine Aktionskunst in einem bislang nicht
gekannten Licht erstrahlen lassen.
Für sein neues Buch wollte der Bestseller-Autor Dan Brown eigentlich
belegen, dass Michelangelo und Galileo Galilei ein intimes homosexuelles
Verhältnis hatten. Leider stellte sich bei den Recherchen des
dreißigköpfigen Teams heraus, dass Michelangelo exakt drei Tage nach der
Geburt Galileis am 15. Februar 1564 verstorben ist. Allerdings stießen
Browns Hilfskräfte bei ihren Recherchen im Archiv der Andy-Warhol-Stiftung
auf einen Brief der Witwe von Joseph Beuys aus dem Jahr 1986, in dem Eva
Beuys Warhol ein Geheimnis anvertraute. In einer verschlüsselten Botschaft,
die Brown persönlich decodierte, berichtet die Witwe Beuys von einem
klandestinen Einband, der versteckt im Keller von Schloss Moyland liegt:
Joseph Beuys’ Planbuch der „Zukunftsaktionen“.
Dan Brown, der eine heiße Spur für eine gewagte These witterte, reiste an
den Niederrhein und fand tatsächlich, wie im Code beschrieben, einen
Schlüssel unter den Nutzpflanzenbeeten im Garten von Schloss Moyland. Der
klobige Schlüssel passte exakt in eine zugestaubte Vertiefung, die in die
hinterste Ecke des Schlosskellerbodens eingelassen war. Nun konnte das
letzte Geheimnis des Joseph Beuys und damit aller Kunst gelüftet werden.
Schloss Moyland, in der Nähe der niederrheinischen Irrenanstalt
Bedburg-Hau, war bis ins Jahr 1990 nur ein vergessenes und verfallenes
Wasserschloss, vor dessen verwunschener Kulisse in den sechziger Jahren die
Edgar-Wallace-Filme gedreht worden waren. In den siebziger Jahren legten
dort junge Kiffer auf dem Rückweg von Haschischkäufen im niederländischen
Nimwegen an der Bundesstraße B 57 zwischen Kleve und Kalkar nachts ihre
Pausen ein, um Tüten zu rauchen und darauf zu warten, dass die gefürchtete
Wallace-Schauspielerin Elisabeth Flickenschildt durch das Unterholz brach.
## Schloss im Dornröschenschlaf
Doch Ende der neunziger Jahre weckten die Kunst sammelnden Brüder Hans und
Franz Joseph van der Grinten, die über fünfzig Jahre lang Werke von Beuys
zusammengetragen hatten, das Schloss aus seinem Dornröschenschlaf. Sie
brachten ihre Sammlung in die Stiftung Museum Schloss Moyland ein und
errichteten gemeinsam mit dem Land Nordrhein-Westfalen, das die Anlage
kostspielig restaurierte, den gigantischen und abgelegenen Kunsttempel zu
Ehren des Meisters.
Wie Dan Brown ermittelte, müssen die Brüder van der Grinten damals in einer
Nacht-und-Nebel-Aktion zusammen mit der Witwe und einem wenige Tage später
ums Leben gekommenen Baumeister im ehemaligen Verlies des Schlosses eine
Geheimkammer eingerichtet haben – nur für einen Zweck: der Nachwelt das
weitere geplante Werk von Joseph Beuys vorzuenthalten. Doch der Spürhund
Dan Brown wollte sich mit der perfiden Unterschlagung nicht zufrieden geben
und spielte die in Filz und Fett eingewickelte Schulkladde einigen
ausgewählten Beuys-Kennern wie dem Autor dieser Zeilen zur Überprüfung zu.
Eine Offenbarung! Ein faszinierendes Zeugnis eines Universalkünstlers! Das
erstmals auch Arbeitsschritte offenlegt, wie Beuys seine Aktionen plante
und durchführte. Ursprünglich war der Krefelder ein mittelmäßiger Zeichner
und Bildhauer, der, um zu überleben, Friedhöfe mit belangloser Grabkunst
verzierte. Doch dann entdeckte er seine genussbringende Profession: die
Aktionskunst. Beuys verbrachte schon mal ein paar Tage mit einem Coyoten in
New York, streichelte tote Hasen oder pflanzte 7.000 Eichen in Kassel, die
er durch Whisky-Werbung in Japan finanzierte. Der Whisky „Super“ der Firma
Nikka sollte eine besondere Antriebsquelle werden, wie Beuys’
„Zukunftsbuch“ zeigt.
Vier bahnbrechende Aktionen hatte der Professor der Düsseldorfer Akademie
vor seinem Ableben noch geplant. Zunächst wollte er seinem Schüler Günther
Uecker, dem sturen Nagelkünstler, der in seinem Leben sicher mindestens
eine Million Nägel eingehämmert hatte, ein provokantes Erfolgserlebnis
gönnen. Die beiden Kunstmittel Nagel und Fett sollten erstmals synchron
eingesetzt werden.
Dafür erwarb Beuys, seinem Gewicht von 84 Kilo entsprechend, 336 Pakete
Butter à einem halben Pfund. Schon die Zahl 336 verwies laut Beuys, der die
Idee im Planbuch mit der doppeldeutigen Anmerkung „Super wie Luther“
versah, auf das Mysterium des Todes von Jesus, der im Jahr 36 n. Chr. von
drei römischen Soldaten ans Kreuz genagelt worden sein soll. Beuys und
Uecker wollten die 336 Päckchen Butter unter dem Titel „Fettjesus“ als
mahnendes Kreuz gegen den Kapitalismus an die Tür des Kölner Doms nageln.
Warum das Happening schließlich scheiterte, liegt im Dunkeln.
Für eine zweite Performance namens „Tausend nackte Lappen“ hatte Beuys
bereits Verhandlungen mit dem skandinavischen Urvolk sowie dem Technischen
Hilfswerk, der Wasserschutzpolizei und anderen Behörden aufgenommen.
Angedacht war, dass genau 1.000 Angehörige der früher Lappen genannten
Samen völlig nackt mit ihren Rentieren bei Düsseldorf den Rhein durchqueren
sollten. Was schiefging, beantwortet das Planbuch leider nicht, am Rand
vermerkt ist nur das auffällige Wort „Superlativ!“.
## Spektakel mit Tiermythos
Seine handelsüblichen Materialien Fett und Filz wollte Beuys für ein
drittes Spektakel erweitern: „Borken und Knöker“. Der Plan, tagelang Popel
zu sammeln, um sie, in Fett und Filz eingehüllt, als Mahnung an die
mythische Kraft des Tieres zu verzehren, wurde allerdings fallengelassen.
Interessant ist die handschriftliche Notiz, die einen Bezug zu Beuys’
Kriegsvergangenheit herstellt: „Popel abgeschossen!“ Beuys fasst hier
erstmals auch sein Credo in einen Satz: „Kunst ist super!“
Eine letzte Kunstaktion wollte Beuys offenbar kurz vor seinem Tod 1986 mit
seinem alten Antipoden Andy Warhol durchführen. Inspiriert von der
Puccini-Oper „Tosca“, bei der die Protagonistin im Schlussakt von der
Engelsburg in den Fluss Tiber springt, plante er, dass Warhol und er zwei
Superhelden gleich Hand in Hand vom New Yorker Empire State Building in den
East River rauschen. Da die Entfernung zwischen Gebäude und Fluss für die
Aktion „Jump“, die mit der Musik Van Halens unterlegt werden sollte, zu
groß war und der ängstliche Warhol die Show als „foolish“ ablehnte, wurde
das Projekt gestoppt. „Super, Andi!“, kritzelte Beuys kritisch unter seine
Vision.
Am 12. Mai 2021, pünktlich zum 100. Geburtstag des Magiers mit dem breiten
Hut und Ego, wird nun der literarische Detektiv Dan Brown seine
Erkenntnisse in der gastlichen Anstalt Bedburg-Hau der Weltöffentlichkeit
vorstellen: „Der letzte Jesus“ heißt sein neuer Megaseller. Die Filmrechte
sind längst an Hollywood verkauft, Tom Hanks soll Joseph Beuys spielen. Und
zur Premiere wird Bruce Springsteen den wahrlich größten Protestsong aller
Zeiten neu auflegen: „Wir wollen Sonne statt Reagan.“ Ein klangliches
Meisterwerk der Popkultur für die Ewigkeit aus dem Hause Beuys, das noch
heute jeden Menschen bang erschauern lässt.
20 Feb 2021
## AUTOREN
Michael Ringel
## TAGS
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